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Biogas als Baustein der Energiewende
Dr. Andreas Lemmer beschäftigt sich seit über 20 Jahren mit der Energiegewinnung aus Biomasse. Sein Arbeitgeber, die Landesanstalt für Agrartechnik und Bioenergie, betreibt die Biogas-Versuchsanlage am Unteren Lindenhof bei Reutlingen. Hier arbeiten Wissenschaftler unter Praxisbedingungen und erproben neue Techniken.
Wozu brauchen wir überhaupt noch Biogasanlagen? Lässt sich der Strom nicht inzwischen wesentlich günstiger aus Sonne und Wind gewinnen?
Ja, mit Photovoltaik und Windkraft lässt sich der Strom billiger und mit einer besseren Treibhausgasbilanz produzieren. Was aber, wenn kein Wind weht und keine Sonne scheint? Wir wollen eben auch bei 80 oder 85 Prozent Bruttostromerzeugung aus erneuerbaren Energien noch eine verlässliche Stromversorgung haben. Deswegen brauchen wir eine Regelenergie, mit der wir die natürliche Fluktuation von Sonne und Wind ausgleichen können. Es ist der Riesenvorteil von Biogasanlagen, dass sie auf der Basis erneuerbarer Energien dezentral die Regelenergie zur Verfügung stellen können, die wir brauchen, um die Netze zu stabilisieren. Die Biomasse aus Bioabfällen, Reststoffen und nachwachsenden Rohstoffen ist ein natürlicher Energiespeicher, den wir nach Bedarf einsetzen können.
Wie soll die Biogasanlage der Zukunft aussehen?
Die meisten der rund 9.500 kleinen bis mittleren Biogasanlagen in Deutschland kommen zurzeit noch auf über 8.000 Volllaststunden im Jahr, d.h. sie laufen fast das ganze Jahr durch [ein Jahr hat 8.760 Stunden]. Sie produzieren also kontinuierlich Gas, das dann über ein Blockheizkraftwerk (BHKW) Strom und Wärme erzeugt. Um die Vorteile dieser regelbaren und spitzenlastfähigen Energiequelle auszuspielen, müssen wir die Anlagen viel stärker flexibilisieren. Denn besonders im Winter, wenn die Photovoltaik sehr wenig Energie liefert, ist der Strom- und Wärmebedarf hoch. Die Idee ist also, dass die Biogasanlagen insgesamt nicht unbedingt mehr Energie produzieren, aber eben viel stärker an den Bedarf gekoppelt. In Zukunft werden die Anlagen dann nur noch auf 2.000 bis 2.500 Volllaststunden im Jahr kommen, dafür aber mit einer etwa vierfach höheren Leistung in dieser Zeit. Im Sommer müssen die Anlagen nur nachts für ein bis zwei Stunden laufen, um die notwendige Wärme für die mikrobiellen Prozesse zu produzieren und die Wärmepuffer aufzuladen. Ansonsten bleibt das BHKW ausgeschaltet, weil tagsüber der Strom durch Photovoltaik wesentlich günstiger und mit einer besseren Treibhausgasbilanz produzierbar ist. Dafür fahren wir im Winter die Leistung der Anlage hoch. Durch die gleichzeitige Nutzung von Strom und Wärme kann so auch der Gesamtnutzungsgrad der Anlage deutlich gesteigert werden.
Wie kann eine solche flexible und leistungsstarke Anlage technisch funktionieren?
Wir haben die technische Seite der Flexibilisierung schon ziemlich gut im Griff. Wir arbeiten dabei mit modellbasierten Anlagensteuerungen, d. h. wir erstellen Prognosen zum Strom- und Wärmebedarf eines Ortes, Stadtviertels oder Industriegebietes. Das funktioniert sehr gut mit selbstlernenden Computermodellen, die man mit historischen Daten füttert. Und auch der zu erwartende Energieertrag aus Photovoltaik und Windkraft lässt sich kalkulieren, das ist gar nicht so kompliziert. Aus diesen Prognosen können wir dann den Energiebedarf aus der Biogasanlage im Jahresverlauf ziemlich genau vorhersagen und die Anlage entsprechend steuern. Das geht nicht per Knopfdruck, denn die Biogasproduktion ist ja ein mikrobieller Prozess, da brauchen wir eine gewisse Vorlaufzeit, in etwa 48 Stunden, in der die Fütterung der Mikroben entsprechend gesteigert oder reduziert wird. Um die nötige höhere Leistungsfähigkeit der Anlage hinzubekommen, muss außerdem ein leistungsstärkeres Blockheizkraftwerk, also Gasverbrennungsmotor plus Stromgenerator installiert werden, die Rührtechnik muss angepasst und je nach Anlage müssen auch der Gas- und Wärmespeicher erweitert werden. Teilweise sind das aber ohnehin Verschleißteile. So muss ein BHKW nach acht bis zehn Jahren oder ein Rührwerk nach fünf bis acht Jahren ersetzt werden.
Braucht man dann nicht auch noch mehr Anlagen und entsprechend mehr mit Silomais bepflanzte Ackerflächen?
Nein, zurzeit werden nur wenige neue Anlagen gebaut. Es geht vielmehr darum, die bestehenden Anlagen fit für die Zukunft zu machen. Die bestehenden Anlagen könnten wir sicher nochmal 20 bis 25 Jahre nutzen. Dafür spricht auch, dass die hohen Anfangsinvestitionskosten für den Aufbau einer solchen Anlage ja schon getätigt wurden. Bei der verwendeten Biomasse gibt es sehr viele gute neue Ansätze zur Diversifizierung auf dem Acker, über Blühmischungen, Mischkulturen, Einbeziehung von Energiepflanzen in Fruchtfolgen bis hin zu Dauerkulturen wie der Durchwachsenen Silphie, von der wir jetzt auch probehalber 2,5 Hektar in Reutlingen anbauen. Diese Kulturen müssen sich erst langsam etablieren. Der Mais hatte den großen Vorteil, dass er züchterisch schon jahrzehntelang top bearbeitet war und er ein optimales Kohlenstoff-Stickstoff-Verhältnis bietet. Von daher kann man es den Landwirten auch kaum verdenken, dass sie diese Pflanze angebaut haben. Derzeit bauen wir in Deutschland auf 1,35 Millionen Hektar nachwachsende Rohstoffe für Biogas an und erzeugen pro Hektar etwa 50 Tonnen an Biomasse – wir reden also über 67,5 Millionen Tonnen hoch energetische Biomasse, und das ist energetisch eine andere Nummer als die 15,6 Millionen Tonnen an Bioabfällen1, die über die Braune Tonne gesammelt werden und derzeit überwiegend in der Kompostierung landen. Wir müssen die Reststoffe wie Bioabfälle auch nutzen, das ist gar keine Frage, da gibt es aus energetischer Sicht keine sinnvollere Nutzung als die Biogaserzeugung. Aber wenn Biogas einen nennenswerten Beitrag zur Stabilisierung der Stromnetze liefern soll, dann brauchen wir auch eine Nutzung von nachwachsenden Rohstoffen in etwa auf dem Level, auf dem wir sie derzeit haben.
Warum speist man das Biogas nicht einfach ins Erdgasnetz ein?
Der Methangehalt in dem bei der Fermentation von den Bakterien erzeugten Biogas liegt bei 50 bis 60 Prozent. Um das Gas auf Erdgasqualität, also auf einen Methangehalt von über 90 Prozent zu bringen, muss entschwefelt und CO2 abgeschieden werden2. Nach einer Odorierung, Druckanpassung und ggfs. einer Brennwertangleichung lässt sich dieses reine Biomethan direkt ins Erdgasnetz einspeisen. Das Erdgasnetz ist ein unglaublich leistungsfähiges Transport- und Speichermedium, mit wesentlich höheren Transportkapazitäten als im ganzen Stromnetz. So kann die Energie praktisch unabhängig von Zeit und Ort bereitgestellt werden. Ein Vorteil, der allerdings durch den relativ hohen technischen und energetischen Aufwand bei der Produktion erkauft wird. Das lohnt sich deswegen nur bei größeren Biogasanlagen. Momentan haben wir deutschlandweit etwa 230 Anlagen, die reines Biomethan einspeisen können. Schätzungsweise ließe sich diese Zahl auf 1.000 bis 1.500 Anlagen erhöhen. Für die übrigen ist es besser, das ungereinigte Gas direkt vor Ort im BHKW der Anlage in Energie umzuwandeln. Im Idealfall wird der Strom genutzt, um das lokale Stromnetz zu stabilisieren, und die Wärme heizt über Nahwärmenetze Gebäude in der näheren Umgebung.
Wo kann Biogas sonst noch sinnvoll genutzt werden?
Gerade im landwirtschaftlichen Bereich ist die dezentrale Herstellung von Kraftstoffen aus Biogas interessant. Dazu haben wir im September zusammen mit der DVGW-Forschungsstelle am Engler-Bunte-Institut des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT) und Industriepartnern das Pilotprojekt ProBioLNG gestartet. Dabei wird über die Technik der Druckmethanisierung kraftstofffähiges Biomethan erzeugt, das dann je nach Bedarf als Bio-CNG-Gas in Schleppern und anderen Landmaschinen zum Einsatz kommen kann. Oder, wenn wir noch eine Feinreinigung und eine Verflüssigung nachschalten, können wir ein BioLNG erzeugen, also verflüssigtes Biomethan, was dann als Kraftstoff in LKW verwendet werden kann. Das ist eine mögliche Lösung für die Energiewende im Schwerlastverkehr, wo wir ja derzeit noch sehr weit von der Elektromobilität entfernt sind.
Wie beurteilen Sie die politischen Rahmenbedingungen?
Die regelbare, flexible Energie aus Biogas ist eine Systemdienstleistung. Einerseits haben wir günstigen Strom aus Photovoltaik und Windkraft, der aber stark fluktuiert. Andererseits haben wir mit Biogas eine Regelenergie, die immer dann produzieren soll, wenn die Sonne nicht scheint oder der Wind nicht weht. Diese Energie muss natürlich teurer sein, denn sie bringt mit der Stabilisierung der Netze eine zusätzliche Dienstleistung. Das spiegelt sich momentan nicht in der EEG-Förderung wider, da bräuchte es entsprechende Weichenstellungen. Früher hatten wir in der Stromerzeugung wenige große Kraftwerke. Das hat sich mit den Erneuerbaren gewandelt. Jetzt haben wir Hunderttausende kleine Erzeugungsanlagen und das wird in Zukunft noch mehr werden. Deswegen wäre es sinnvoll, dass wir auch die Aufgabe der Netzstabilisierung weg von den großen Übertragungsnetzbetreibern hin zu lokalen und regionalen Stromversorgern verlagern und ihnen die Verantwortung für ihre Netze übertragen. Wenn sie ihre Netze mit lokalen Einspeisungen stabilisieren, könnte man sie im Gegenzug für den Strom innerhalb des eigenen Netzes von den entsprechenden EEG-Umlagen wie KWK-Umlage, Offshore-Umlage usw. befreien, sodass sie diese Gebühren nur für zugekauften Strom zahlen müssten. Dann könnten wir den riesigen Netzausbau, den wir derzeit betreiben, deutlich minimieren. Und wir könnten wieder verstärkt marktwirtschaftliche Instrumente in den Strommarkt einfließen lassen – der ist ja im Moment vollkommen überreguliert. Leider gibt es meines Wissens im Moment überhaupt keine Ansätze in diese Richtung aus der Politik.
Welche weiteren politischen Weichenstellungen würden Sie sich wünschen?
Wir brauchen noch mehr Förderung dezentraler Ansätze. Nehmen Sie zum Beispiel einen Landwirt, der eine größere Photovoltaikanlage und eine Biogasanlage auf seinem Hof betreibt, im Norden hat er vielleicht auch noch eine Windkraftanlage. Wenn jetzt noch Industriebetriebe in erreichbarer Nähe sind, was gar nicht so selten der Fall ist, dann könnte der Landwirt durch seine Kombination aus Windkraft, Biogasanlage und PV als zuverlässiger lokaler Energieversorger agieren und ein Kabel oder eine Nahwärmeleitung zu den benachbarten Unternehmen rüberlegen. Das ist aber etwas, was derzeit rechtlich vollkommen undenkbar ist. Die damit verbundenen Auflagen sind derart hoch, dass das einfach nicht passiert.
Wagen Sie noch einen Ausblick in die Zukunft?
Technisch gibt es bei der Energiewende riesige Potenziale. Es kann z. B. sein, dass wir die Brennstoffzelle mal ins Haus bekommen. Und ich könnte mir durchaus vorstellen, dass unsere Häuser in Zukunft nicht mehr unbedingt einen Strom- und einen Gasanschluss brauchen, sondern nur noch das eine oder das andere. Wenn ich über eine Wärmepumpe oder ein Nahwärmenetz heize, brauche ich weder einen Heizöltank noch einen Gasanschluss. Umgekehrt, wenn ich eine BHKW-Stromerzeugung in Kombination mit einer Photovoltaik-Anlage auf einem Wohngebäude habe, dann kann es auch durchaus sein, dass ich auf meinen Elektroanschluss verzichten kann und das Ganze über einen Batteriespeicher läuft. Die Technik dafür ist schon da, man könnte da also richtig viel Schwung reinbringen.
Literatur:
1 Umweltbundesamt (UBA 2017): www.umweltbundesamt.de/daten/ressourcen-abfall/verwertung-entsorgung-ausgewaehlter-abfallarten/bioabfaelle#textpart-1
2 biogas.fnr.de/gewinnung/anlagentechnik/biogasaufbereitung/