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Auf dem Weg in die Wasserstoffwirtschaft mit einer Abwasser-Bioraffinerie: Das Projekt SmartBioH2-BW
Unter Nutzung industrieller Abwasser- und Reststoffströme entsteht in Rheinfelden (Baden) eine Bioraffinerie, die zwei Bioreaktoren mit Purpurbakterien und Mikroalgen miteinander koppelt und „grünen“ Wasserstoff sowie organische Grundstoffe wie Carotinoide und Proteine synthetisiert. SmartBioH2-BW ist ein Pilotprojekt der Fachinitiative urbane und industrielle Bioraffinerien und wird durch das Ministerium für Umwelt, Klima und Energiewirtschaft im Rahmen des europäischen Strukturfonds EFRE gefördert.
Wenn es gelingen soll, die menschengemachte Erderwärmung entsprechend dem Pariser Abkommen bis Ende des Jahrhunderts auf 1,5 °C zu begrenzen, muss die auf fossilen Kohlenstoffquellen basierte Wirtschaft nachhaltig transformiert und die Bilanz der globalen Treibhausgasemissionen - vor allem Kohlenstoffdioxid (CO2) – auf null abgesenkt werden. Für diese fundamentale Transformation der Weltwirtschaft gilt Wasserstoff (H2) - neben erneuerbaren Energien zur Stromerzeugung - als der Energieträger der Zukunft. Wie die Europäische Kommission erklärte, ist „Wasserstoff das fehlende Teil des Puzzles auf dem Weg zu einer vollständig decarbonisierten Wirtschaft“. Dazu hat die Bundesregierung im Juni 2020 ihre Nationale Wasserstoffstrategie vorgestellt, die eine Milliardenförderung für den Einstieg in die nachhaltige Wasserstoffwirtschaft der Zukunft bereitstellt.
Die Industrie verwendet H2 schon seit langem als vielseitig einsetzbaren Grundstoff und sauberen Energieträger (der bei der Energiefreisetzung nur Sauerstoff benötigt und Wasser erzeugt), beispielsweise bei der Ammoniaksynthese für Düngemittel, der Herstellung von Methanol, der Stahlproduktion und der Ölraffination. Die Crux ist, dass das ökonomischste und meist verwendete Herstellungsverfahren von H2 auf Erdgas (Methan) beruht und dabei je Tonne H2 elf Tonnen CO2 erzeugt werden, die entweder in die Atmosphäre emittiert oder aufwendig und teuer abgefangen und gespeichert werden müssen (Carbon Capture and Storage, CCS). Es ist gängig, das eigentlich farblose H2-Gas abhängig vom Herstellungsverfahren mit einer Farbe zu kennzeichnen; aus Erdgas erzeugter H2 wird als „grauer Wasserstoff“ bezeichnet.1)
Für das Erreichen der Klimaziele ist entscheidend, dass die Bilanz bei der Wasserstoffherstellung, -speicherung und -verwendung CO2-neutral ist. Man spricht dann von „grünem Wasserstoff“, den man zum Beispiel erhält, wenn die Energie zur elektrolytischen Spaltung von Wasser in Wasserstoff und Sauerstoff von Wind oder Sonne geliefert wird. Bisher sind diese Verfahren noch relativ ineffizient und teuer. Dass auch Mikroorganismen Wasserstoff herstellen können, hatte Felix Hoppe-Seyler, einer der Pioniere der Molekularbiologie, bereits Ende des 19. Jahrhunderts beschrieben. Inzwischen hat man die Fähigkeit zur Erzeugung von Biowasserstoff in zahlreichen Bakterien, Pilzen und sogar grünen Algen nachgewiesen. Dabei werden unterschiedliche Stoffwechselwege beschritten, die in jüngerer Zeit auch deshalb intensiv erforscht werden, weil sie möglicherweise einen alternativen, klimaneutralen und kostengünstigen Weg zur Erzeugung von „grünem Wasserstoff" als Energieträger der Zukunft eröffnen.
Kopplung der Syntheseleistungen von Bakterien und Algen
Das vom Fraunhofer-Institut für Grenzflächen- und Verfahrenstechnik IGB koordinierte Projekt SmartBioH2-BW verfolgt für die Produktion von Biowasserstoff einen vielversprechenden Ansatz in Hinblick auf die Energiewende und zukünftige Wasserstoffwirtschaft in Deutschland. Im Zentrum steht ein Bioreaktor mit Purpurbakterien, die aus organischem Material Bio-H2 herstellen können. Im Projekt wird Rhodospirillum rubrum verwendet, ein so genanntes photoheterotrophes Nichtschwefel-Purpurbakterium, das bei Licht und in Abwesenheit von Sauerstoff aus einer Vielzahl von Substanzen, wie sie auch in Abfällen und Abwässern enthalten sind, Wasserstoffgas erzeugen kann. Der Photosyntheseapparat dieser Purpurbakterien (der sich wesentlich von dem der grünen Pflanzen unterscheidet) enthält Carotinoide, die als begehrtes Nebenprodukt für die Kosmetik- und Nahrungsmittelindustrie aus den Bakterien gewonnen werden können.
Bei der bakteriellen Photosynthese wird neben H2 auch CO2 freigesetzt, das in einen angekoppelten zweiten Bioreaktor geleitet wird, der grüne Mikroalgen der Art Chlorella vulgaris enthält. Diese binden das CO2 durch Photosynthese und bauen den Kohlenstoff in ihre Biomasse ein. Zusätzlich wird ihnen als Stickstoffquelle Ammoniumchlorid (NH4Cl) zugeführt, damit sie gut wachsen und Proteine synthetisieren können. Seit langem schon werden Chlorella-Algen für die sehr ertragreiche, zur Hälfte aus Protein bestehende Produktion von Biomasse zur Verwendung in Industrie und Landwirtschaft kultiviert. Man gewinnt aus ihnen auch spezielle Moleküle wie zum Beispiel Lutein, ein sauerstoffhaltiges Carotinoid (Xanthophyll), das als Futtermittelzusatz und Nahrungsergänzungsmittel genutzt wird. Diese einzelligen Grünalgen haben außerdem die Fähigkeit, mithilfe des Sonnenlichts unter bestimmten Umständen aus Wasser H2 zu produzieren. Dadurch kann die Ausbeute an Wasserstoff im SmartBioH2-BW-Projekt weiter gesteigert werden.
Vom Labor zur industriellen Anwendung
Der vollständige Titel des Projektes lautet: „SmartBioH2-BW – Biowasserstoff aus industriellen Abwasser- und Reststoffströmen als Plattform für vielseitige Biosynthesewege“. Das Verbundprojekt ist eines von fünf Pilotprojekten der Fachinitiative urbane und industrielle Bioraffinerien der baden-württembergischen Landesagentur für Umwelttechnik und Ressourceneffizienz im Rahmen des EFRE-Förderprogramms „Bioökonomie – Bioraffinerien zur Gewinnung von Rohstoffen aus Abfall und Abwasser – Bio-Ab-Cycling“.
SmartBioH2-BW verknüpft nicht nur auf intelligente Weise die im Labor erforschten Fähigkeiten von Purpurbakterien und Mikroalgen zur klimaneutralen Biosynthese von Wasserstoff und organischen Spezialmolekülen, sondern erprobt diesen Ansatz auch in Hinblick auf Effizienz und Wirtschaftlichkeit in einem industriellen Umfeld. Dazu wurde Evonik Industries, ein weltweit führendes Unternehmen der Spezialchemie, als assoziierter Partner für das Projekt gewonnen und die Bioraffinerie mit den gekoppelten Bioreaktoren für Purpurbakterien und Mikroalgen in den großen Industriestandort der Evonik Operations GmbH in Rheinfelden integriert. Die Purpurbakterien werden dort mit Abwasser- und Reststoffströmen aus industriellen Prozessen gefüttert. Seit vielen Jahrzehnten bereits produziert Evonik am Standort Rheinfelden „grauen Wasserstoff“ aus Erdgas, um beispielsweise Wasserstoffperoxid für die Raumfahrt- und Lebensmittelindustrie herzustellen.2) Wenn das von der Europäischen Union und dem Ministerium für Umwelt, Klima und Energiewirtschaft Baden-Württemberg geförderte Pilotprojekt SmartBioH2-BW erfolgreich verläuft, wird zukünftig mindestens ein Teil dieses „grauen Wasserstoffs" durch „grünen Bio-Wasserstoff" ersetzt werden können.
Infokasten: Projektpartner bei SmartBioH2-BW
- Fraunhofer-Institut für Grenzflächen- und Bioverfahrenstechnik IGB, Stuttgart (Koordination)
- Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung IPA, Stuttgart
- Universität Stuttgart, Institut für Biomaterialien und biomolekulare Systeme IBBS
- Universität Stuttgart, Institut für Energieeffizienz in der Produktion EEP
- Evonik Industries AG, Standort Rheinfelden (Baden) (Assoziierter Partner)
Referenzen:
1) Wasserstoffherstellung. https://de.wikipedia.org/wiki/Wasserstoffherstellung
2) "H2 Chemie 2050": Evonik und die Hochschule Pforzheim erkunden Wege für grünen Wasserstoff. https://corporate.evonik.com/de/presse/pressemitteilungen/standorte/standort-rheinfelden/evonik-und-die-hochschule-pforzheim-erkunden-wege-fuer-grunen-wasserstoff-173004.html