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Projekt ProGrün

Aus Grünlandschnitt extrahierte Proteine zu Tierfutter verwerten und alle Nebenströme abgrasen

Tierfutter enthält häufig Protein aus Soja, dessen Import mit großen Umweltschäden einhergeht. Im Projekt ProGrün entwickeln Forschende der Universität Hohenheim, u. a. die Arbeitsgruppe von Prof. Dr. Andrea Kruse, ein skalierbares technologisches Verfahren, um Proteine aus Grünlandschnitt zu extrahieren und aus diesen nachhaltig und regional erzeugtes Tierfutter herzustellen. Sonstige anfallende Nebenströme werden in der Bioraffinerie zu hochwertigen Endprodukten aufgewertet.

Für Futtermittel, die in der Nutztierhaltung in Deutschland verwendet werden, wird auf die proteinreiche Hülsenfrucht Soja-Bohne als Basis zurückgegriffen. Das Soja-Schrot stammt jedoch zum Großteil aus Importen und nicht aus heimischem Anbau. Neben der bekannten Problematik in den Anbaugebieten – Stichwort Regenwaldabholzung – bedingt die Verfütterung von Soja-Tierfutter auch eine insbesondere in Krisenzeiten nachteilige Abhängigkeit von ausländischer Versorgung.

Zu sehen ist eine gelbe Maschine, in deren trichterförmige Öffnung Grünlandschnitt mithilfe eines Förderbands in die Maschine gegeben wird. Ein Mann steht hinter der gelben Maschine und überwacht den Prozess. Im Hintergrund sieht man die Bioraffinerie-Halle.
Hier wird der Grünlandschnitt in die Pressschnecke gefüllt. © Universität Hohenheim

In dem vom Ministerium für Ernährung, Ländlichen Raum und Verbraucherschutz Baden-Württemberg (MLR) geförderten Projekt „ProGrün - Proteine aus der Grünlandnutzung“ hat sich das Team rund um die Professorin Dr. Andrea Kruse, Leiterin des Fachgebiets Konversionstechnologien nachwachsender Rohstoffe an der Universität Hohenheim, das Ziel gesetzt, proteinreiches Tierfutter aus regionalen Quellen nachhaltig herzustellen. Um dieses Ziel zu erreichen, arbeiten die Forschenden mit den Arbeitsgruppen von Prof. Dr. Markus Rodehutscord vom Fachgebiet für Tierernährung sowie von Prof. Dr. Reinhard Kohlus vom Fachgebiet für Lebensmittelverfahrenstechnik und Pulvertechnologie zusammen.

Als lokale Alternative zur Soja-Bohne haben die Forschenden Gras und andere Grünlandschnitte ins Auge gefasst, die beim regelmäßigen Mähen von Dauergrünland anfallen. Roher Grünlandschnitt kann aufgrund des enthaltenen Lignins und der Cellulose jedoch nicht von Nichtwiederkäuern wie Schweinen und Hühnern verdaut werden: Die im Gras enthaltenen Proteine müssen daher mit Hilfe eines technischen Verfahrens extrahiert und so konvertiert werden, dass sie auch für Nichtwiederkäuer verdaubar sind. „Tatsächlich ist unsere Idee, Proteine aus Grünlandschnitt zu extrahieren und zu verwerten, nicht neu, sondern entstand bereits in den 1940er- und 50-er Jahren in der Nachkriegszeit und kam auch wieder in den 1970-ern und 80-ern während der Ölkrise auf“, erzählt Kruses Mitarbeiter, der Projektkoordinator Przemyslaw Maziarka. „Allerdings wurde die Idee in beiden Zeiträumen nicht erfolgreich mit der Entwicklung einer skalierbaren, marktreifen Technologie verwirklicht. Heutzutage ist der Bedarf für eine solche Technologie sehr groß, daher sind wir hoffentlich der letzte und erfolgreiche Versuch.“

Die Extraktion vom Grünlandschnitt zum (fast) reinen Protein

In der Bioraffinerie des Unteren Lindenhofs, einer Versuchsstation der Universität Hohenheim bei Reutlingen, wurde der skalierbare Maßstab zur Proteinextraktion entwickelt. Maziarka zur Technologie: „Das Verfahren setzt sich aus drei Hauptschritten zusammen. Zuerst wird der Grünlandschnitt in einer Schneckenpresse mechanisch bearbeitet, wodurch das Gras in einen festen Presskuchen sowie flüssigen Presssaft getrennt wird. Hierbei verbleiben zwei Drittel der Gesamtproteinmenge im Presskuchen, ein Drittel im Presssaft. Die Proteine im Presssaft werden durch Zugabe einer geringen Menge umweltfreundlicher Säure ausgefällt. Anschließend wird die Suspension aus Proteinen und Flüssigkeit in einer Zentrifuge aufgetrennt. Die feste Proteinpaste wird anschließend in einem Vakuumtrockner getrocknet, um jegliche Restfeuchtigkeit zu entfernen. Die vollständig trockenen Proteinflocken können nun lange gelagert werden und sind bereit zur Zugabe ins Tierfutter.“

Die Forschenden untersuchten das Gras-Proteinfutter auf seine Zusammensetzung im Vergleich zur sojabasierten Variante. „Das Gras-Proteinfutter hat in Bezug auf die Trockenmasse einen etwas geringeren Gesamtproteingehalt als das Soja-Schrot. Die Aminosäuremuster1) sind sich aber sehr ähnlich, was andeutet, dass das Gras-Proteinfutter qualitativ ähnlich hochwertig ist wie das Soja-Schrot“, erläutert Maziarka. Auch die ersten Fütterungsversuche mit Hühnern und Schweinen verliefen vielversprechend: „Die Versuche haben gezeigt, dass unser Gras-Protein Soja-Schrot als Komponente im Futter teilweise ersetzen kann. Das genaue Ausmaß muss aber noch untersucht werden.“.

Eine Herausforderung des Gras-Proteins stellt bisher noch der Geschmack dar: „Das Gras-Proteinfutter hat einen sehr bitteren Geschmack, da die Flocken neben den isolierten Proteinen auch noch mit ausgefällte Sekundärmetabolite2) enthalten“, sagt der Experte. In einem zukünftigen Projekt planen die Forschenden eine reine Proteinmasse - ohne Geruch und Geschmack - zu isolieren, die dann auch für die menschliche Ernährung genutzt werden kann, zum Beispiel als Additiv in Joghurt . „Unser jetziges Gras-Proteinfutter hat einen Proteingehalt von 30 bis 40 Prozent, das isolierte Proteinpulver kann bis zu 70 Prozent oder mehr enthalten“, so Maziarka.

Abgebildet ist ein Schema, welches das technologische Verfahren zur Extraktion von Proteinen aus Grünlandschnitt zeigt (obere Zeile). Über den grünen Pfeilen steht der jeweilige Schritt, während danach jeweils das Zwischenprodukt abgebildet ist. Abgehen Nebenströme werden mit einem grauen Pfeil nach unten dargestellt.
Überblick über das technologische Verfahren zur Gewinnung von Proteinen aus Grünlandschnitt. Dieses setzt sich aus 3 Hauptschritten zusammen, bei welchen auch verwertbare Nebenströme anfallen. © Universität Hohenheim

On-Farm-Ansatz mit Zero Waste

Während der Extraktion, die in einer Anlage auf dem landwirtschaftlichen Betrieb stattfindet (On-Farm), fallen zwei Nebenströme an, die das Forschendenteam im Sinne einer Bioökonomie weiternutzen möchte: Erstens der während der Pressung anfallende, Lignocellulose enthaltende Presskuchen. Dieser kann perspektivisch an Wiederkäuer wie Rinder verfüttert werden, da er zwei Drittel der ursprünglichen Proteinmenge enthält. „Der Presskuchen könnte als Futtermittel in Form von Silage oder getrockneten Pellets sogar geeigneter als rohes Gras sein, da die Tiere beim Fressen von rohem Gras häufig einen zu hohen Proteingehalt zu sich nehmen“, berichten Kruse und Maziarka.

„Ebenso können die Fasern im Presskuchen zur Herstellung von Graspapier genutzt werden. Hier sind wir mit einer Firma in Kontakt. Außerdem können Pilze auf dem Presskuchen kultiviert werden, wobei die sich im Presskuchen befindlichen Fasern durch das wachsende Pilzmycel zusammengebunden werden und so zum Beispiel zu Isolierschaum verarbeitet werden können“, so Kruse zu weiteren Verwertungsmöglichkeiten. „Als letzter Verwertungsschritt kann der Presskuchen als Substrat für die Biogasanlage der Versuchsstation dienen. Der Gärrest kann dann als Dünger auf den umliegenden landwirtschaftlichen Flächen ausgebracht werden, wodurch der Stickstoffkreislauf sich schließt.“

Voll im Saft – Herstellung von Plattformchemikalien mittels Grüner Chemie

Im linken Bild ist ein Glasgefäß zu sehen, in dem sich eine braune Flüssigkeit befindet. Im Rechten Bild ist ein Garn zu sehen, der auf eine Rolle aufgewickelt ist.
Aus der gewonnenen Plattformchemikalie HMF-5 (links) kann Bioplastik, beispielsweise PEF-Garn (rechts), hergestellt werden. © BIOPRO Baden-Württemberg GmbH

Der zweite anfallende Nebenstrom ist der braune Saft, der nach der Abtrennung der ausgefällten Proteine vom Presssaft übrigbleibt. Dieser enthält sehr viele Einfachzucker, die als Ausgangsstoff für Fermentation, Biogas-Synthese oder auch zur Herstellung von Plattformchemikalien genutzt werden sollen.

Ihr Augenmerk richten die Forschenden vor allem auf die Synthese der Plattformchemikalie HMF-5 (5-(Hydroxymethyl)furfural), aus der Bioplastik (Polyethylenfuranoat PEF) hergestellt werden kann. „Eine Besonderheit in diesem On-Farm-Ansatz ist es, dass die Plattformchemikalien mit Hilfe von Grüner Chemie synthetisiert werden. So können wir auf den Einsatz von toxischen Stoffen verzichten, wofür wir auch eine geringere Ausbeute in Kauf nehmen“, sagt Kruse. Neben der erhöhten Sicherheit der Mitarbeitenden der Anlage ermöglicht dieser Verzicht weitere Verwendungsoptionen, so Kruse: „HMF-5 bewirkt physiologisch in Haustieren und Menschen eine erhöhte Sauerstoffaufnahme aus dem Blut in die Körperzellen hinein. Dadurch hat HMF-5 das Potenzial, sowohl als Nahrungsergänzungsmittel als auch als Medikament für Menschen mit Sichelzellanämie eingesetzt zu werden.“

Viele Wege führen auf den Markt – aber nur gemeinsam

Zu sehen ist ein ausgewachsenes, weißes Huhn, das in einem Stall steht. Im Hintergrund befindet sich ein weiteres Huhn.
Das Grasprotein-Tierfutter wurde an Hühner und Schweine als Nicht-Wiederkäuer verfüttert. © Universität Hohenheim

Um den skalierbaren Maßstab zu erreichen, arbeitet das Team mit verschiedenen landwirtschaftlichen Partnern zusammen, sowohl mit Grünlandschnitt-Produzenten als auch -Verarbeitern. „Damit der Technologietransfer gelingen kann, brauchen wir ein Forschungskonsortium mit mehreren Partnern“, betonen Kruse und ihr Mitarbeiter. Maziarka hebt hierbei das Potenzial der Bioraffinerie hervor: „Mit den vielen Verwertungsoptionen der Stoffströme setzen wir zahlreiche Möglichkeiten frei, wie die Entwicklung der Anlage zur Marktreife weiter voranschreiten kann: Vielleicht wird dies über die Plattformchemikalien als Produkt gelingen, vielleicht aber auch über etwas anderes“. Und Kruse ergänzt in Bezug auf die allgemeine Strategie: „Von der Strategie her macht es erst einmal Sinn, einen kleinen Markt mit einem hohen Preis zu haben und danach einen großen Markt mit niedrigen Preisen wie dem Tierfutter als Produkt. Denn der Preis sinkt ja, je mehr Anlagen stehen.“

Die Forschenden sehen insgesamt positiv in die Zukunft und hoffen, noch weitere landwirtschaftliche Partner aus Baden-Württemberg für eine Zusammenarbeit zu gewinnen, damit in der Zukunft möglichst viele solcher Bioraffinerien in landwirtschaftlichen Betrieben stehen werden.

Infokasten: Projekt ProGrün - Proteine aus der Grünlandnutzung

Laufzeit: 01.12.2020 bis 30.11.2023

Beteiligte Arbeitsgruppen an der Universität Hohenheim:

·     Prof. Dr. Andrea Kruse, Fachgebiet für Konversionstechnologien nachwachsender Rohstoffe

·     Prof. Dr. Markus Rodehutscord, Fachgebiet für Tierernährung

·     Prof. Dr. Reinhard Kohlus, Fachgebiet für Lebensmittelverfahrenstechnik und Pulvertechnologie

Gefördert durch das Ministerium für Ernährung, Ländlichen Raum und Verbraucherschutz Baden-Württemberg (MLR)

Fußnoten:

1) Größe, die den Gehalt jeder Aminosäure angibt.

2) Sekundärmetaboliten sind eine Gruppe chemischer Stoffe, die für Pflanzen nicht unbedingt lebensnotwendig sind. Sie dienen beispielsweise von zur Abwehr von Pflanzenfressern, Herbivoren.

Seiten-Adresse: https://www.biooekonomie-bw.de/fachbeitrag/aktuell/aus-gruenlandschnitt-extrahierte-proteine-zu-tierfutter-verwerten-und-alle-nebenstroeme-abgrasen