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Mikroorganismen bauen biobasierte Rasenfüllung ab

Bio-Kunstrasen: Der Sportplatz, der für Mensch und Umwelt gut ist

In Deutschland gibt es Tausende von Kunstrasenplätzen. Sie sind zwar äußerst praktisch, aber oft überhaupt nicht umweltfreundlich. Denn jedes Mal, wenn es regnet oder der Platz bespielt wird, können Kunststoffteilchen aus Gummigranulat in die Umgebung gelangen und bleiben auch dort. Forschende der Universität Stuttgart und von TECNARO entwickeln nun einen spieltauglichen Kunstrasen, dessen Füllung biologisch abgebaut wird, sobald sie den Platz verlässt. In Ellwangen soll in den nächsten Monaten einer der ersten Bio-Sportplätze entstehen.

Nahezu jede Gemeinde hat ihn: den örtlichen Sportplatz für den Fußball- und Leichtathletikverein, Schulsport oder für den Nachmittagskick der Jugendlichen. Ursprünglich fast immer aus Naturrasen, weil dieser aber zu pflegeintensiv ist und Sand- und Ascheplätze zu hart und damit zu verletzungsträchtig sind, wird die natürliche Variante aber mehr und mehr von Kunststoffrasenflächen abgelöst. Im Gegensatz zum natürlichen Pendant sind diese zu jeder Jahreszeit nutzbar und pflegeleichter – also auch kostengünstiger zu unterhalten. Und gerade der enorme Aufwand für die Bewässerung des Naturrasens ist in den zunehmend heißen und trockenen Sommern ein gutes Argument für den Sportplatzbelag aus Kunststoff.

Einstreugranulat aus Altreifen verbleibt jahrhundertelang in der Umwelt

Beine von zwei Fußballern, die um einen Ball auf Kunstrasen kämpfen
Die vielen tausend Kunststoffrasensportplätze, die es in Deutschland gibt, sind pflegeleicht und gut für Sportler – aber leider meist gar nicht gut für die Umwelt. © Tobias Flyckt auf Unsplash

Das künstliche Grün an sich ist also eine gute Idee – wäre da nicht der Umweltaspekt. Dabei ist die Grundstruktur des Rasenteppichs nicht das Hauptproblem. Hier wird der künstliche Grashalm wie mit einer Nähmaschine durch ein Trägergewebe gezogen und fixiert. Eine darunter liegende Elastikschicht sorgt für Nachgiebigkeit und Elastizität zum Wohl der Sportlergelenke und den Schutz des Rasens vor Trittschäden. Gemeinsam mit zusätzlichen Fasern mit jeweils unterschiedlichen Eigenschaften entsteht so das typische Gefühl des natürlichen Rasens – zumindest fast. Denn für eine gute sportliche Performance wird die oberste Faserschicht je nach Sportart und gewünschten Spieleigenschaften mit verschiedenem Einstreugranulat – dem Infill – aufgefüllt. Dieses besteht aus Sand und zusätzlich aus einem weiteren Einfüllstoff, z. B. natürlichen Füllelementen aus zerkleinerten Olivenkernen, Maisspelzen oder Kork, insbesondere bei älteren Sportplätzen, aber oft auch Gummigranulat aus Altreifen.

Dabei handelt es sich um Sondermüll - würde das Gummigranulat aber an Ort und Stelle verbleiben, wäre dies nicht das Problem. Durch Witterung und Sportler kommt es aber zu einem erheblichen Austrag aus den Kunstrasenplätzen, etwa wenn es regnet, windet oder die Infill-Kügelchen an Schuhen und Trikots hängen bleiben. Nach Schätzungen der Europäischen Chemikalienagentur ECHA entsteht so europaweit ein Mikroplastikaustrag von bis zu 16.000 t im Jahr – schädliche Substanzen, die keiner im Erdreich haben möchte und die dort jahrhundertelang nicht abgebaut werden. Deshalb steht das künstliche Grün seit Jahren unter Kritik und hat eine intensive Nachhaltigkeitsdiskussion entfacht. Die ECHA hat der EU-Kommission bereits empfohlen, den Einsatz von Kunststoffgranulat auf Kunstrasenflächen zu verbieten, und Hersteller sowie Sportindustrie suchen nun dringend nach praktikablen Alternativen.1)

Bio-Kunstrasen überwiegend aus natürlichen Materialien

Schnitt durch den Bio-Kunststoffrasen mit grünen Fasern und weißen Granulatkügelchen auf beigem, kleinkörnigem Untergrund.
Prototyp des Bio-Kunststoffrasens, der derzeit von Forschenden der Universität Stuttgart gemeinsam mit Partnern entwickelt wird. Die grünen Kunststofffasern sind aus biobasiertem Material, die weiße Granulatfüllung soll biologisch abgebaut werden, sobald sie den Sportplatz verlässt. © Universität Stuttgart, Institut für Biomaterialien und biomolekulare Systeme, Prof. Dr. Franz Brümmer

Deshalb haben Forschende am Institut für Kunststofftechnik IKT und dem Institut für Biomaterialien und biomolekulare Systeme IBBS der Universität Stuttgart gemeinsam mit dem Biopolymerunternehmen TECNARO aus Ilsfeld bereits vor einiger Zeit begonnen, Kunstrasen aus biobasierten Materialien zu entwickeln. Mit Erfolg: Der Bau eines Bio-Sportplatzes im baden-württembergischen Ellwangen ist gerade in der Umsetzung. „Dieser sporttaugliche Kunstrasenplatz wird erstmals überwiegend aus nachwachsenden Rohstoffen bestehen. Neben den ökologischen Auswirkungen wird man mit dem System also auch fossile Ressourcen einsparen können“, berichtet Felix Baumgärtner, der die Arbeitsgruppe am IKT leitet, in der die Untersuchungen durchgeführt werden. „Das wird auch für uns Wissenschaftler weiterhin ein hochgradig spannendes Projekt, weil wir nicht nur Untersuchungen zu Bespielbarkeit und tatsächlichem Umwelteintrag durchführen werden, sondern unter anderem auch eine komplette Ökobilanz des Platzes erstellen wollen. Der Platz soll Vorbild und Anschauungsobjekt sein: Wir werden Nutzer, Bürger, aber auch Studierende einbeziehen, um so umfassende Erkenntnisse für den Bau weiterer Sportstätten zu gewinnen.“

Die sporttechnischen Eigenschaften – also die Spieltauglichkeit - sind neben dem Umweltaspekt von herausragender Bedeutung: „Das war bisher immer der Knackpunkt der natürlichen Infills wie den Olivenkernen“, erklärt Baumgärtner. „Alternative Werkstoffe haben natürlich eine andere Spielperformance, der Ball springt anders – ein wichtiger Punkt auch zum Schutz der Sportler. Und bisher ist kein Naturstoff an die Füllung aus Gummi herangekommen.“

Dies soll sich nun ändern. Die Forschenden haben einen Kunststoff aus Biomaterialien entwickelt, der diese Eigenschaften erfüllen soll: Der Werkstoff Arboblend® von TECNARO, mit dem der künstliche Rasenteppich befüllt werden soll, bietet ähnliche Eigenschaften für den Sport wie die Infills aus Gummigranulat. Obwohl biobasiert und bioabbaubar, soll der Kunststoff im Platz sehr witterungsbeständig sein. Sobald er aber den Platz verlässt und in die Umwelt gelangt, soll er biologisch abgebaut werden. Und zwar fast vollständig: 90 Prozent innerhalb von 24 Monaten im Erdreich und innerhalb von sechs Monaten im Wasser.

Der biologische Abbau setzt erst außerhalb des Platzes ein

Was sich gut anhört, funktioniert im Labor tatsächlich schon – in einem ersten Schritt für die Fasern: „Bei TECNARO arbeitet man aber noch weiter an der perfekten Formulierung, um auch der Faserschicht möglichst viele natürlich vorkommende Substanzen beizumischen“, sagt der Kunststoffexperte. „Die Entwicklung des Einfüllgranulats ist noch in vollem Gange: Der Abbau des Austrags soll durch Mikroorganismen im Boden mit entsprechenden Enzymsystemen ausgeführt werden. Solange das Infill auf dem Platz im Kunststoffteppich ist, wird die Aktivität der Mikroorganismen und damit der Abbau des Infills gehemmt – etwa durch antibakterielle Additive im Teppich -, und der Bio-Kunststoff bleibt länger beständig. Sollten die Kügelchen aber die Fläche verlassen, setzt der biologische Abbau zeitverzögert ein.

Die Rezepturentwicklung unterstützen wir an der Universität im Labormaßstab, bei TECNARO findet das dann in größerem Volumen statt. Der Sportplatzbau wird später dann von einem Hersteller übernommen werden, der für die Gesamteigenschaften auch haftet. Dies umfasst beispielsweise auch die Vorbereitung des Untergrunds.“

Was in den nächsten Monaten vor der Errichtung der Sportstätte in Ellwangen noch für die Forschenden ansteht, sind neben der Granulatentwicklung verschiedene Tests der idealen Formulierung für den Faserwerkstoff: „Diese soll neben den zahlreichen ökologischen Anforderungen auch einfach verarbeitbar bleiben – es geht nun noch um das letzte Feintuning der Rezeptur“, so Baumgärtner. „Und dann hoffen wir, dass man die positiven Auswirkungen auf die Umwelt möglichst rasch merkt.“

Projekt „NaKuRa: Nachhaltiger Kunststoffrasenplatz – Entwicklung und Untersuchung am Beispiel der Stadt Ellwangen“

Laufzeit: 01.07.2022 bis 30.06.2025

Beteiligte Institute und Industriepartner:

  • Institut für Kunststofftechnik IKT und Institut für Biomaterialien und biomolekulare Systeme IBBS der Universität Stuttgart
  • TECNARO Gesellschaft zur industriellen Anwendung nachwachsender Rohstoffe mbH

unterstützt von

  • Morton Extrusionstechnik GmbH, FieldTurf Tarkett, Stadt Ellwangen, Ministerium für Ländlichen Raum und Verbraucherschutz Baden-Württemberg, Ministerium für Umwelt, Klima und Energiewirtschaft Baden-Württemberg, Bundesinstitut für Sportwissenschaft, Landessportverband Baden-Württemberg

Förderung und Betreuung durch:

  • Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft BMEL und Fachagentur Nachwachsende Rohstoffe e.V. FNR

Quellen:

1) European Chemicals Agency: Wissenschaftliche Themen in der Diskussion: Mikroplastik. https://echa.europa.eu/de/hot-topics/microplastics

Seiten-Adresse: https://www.biooekonomie-bw.de/fachbeitrag/aktuell/bio-kunstrasen-der-sportplatz-der-fuer-mensch-und-umwelt-gut-ist