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Bioökonomisches Modellprojekt: Vanillin aus Reststoffen der Prozessindustrie
Aus in Schwarzlauge gelöstem Lignin Vanillin gewinnen und zu einem für die Industrie skalierbaren Verfahren entwickeln - das ist der bioökonomische Ansatz, den Forschende der Hochschule Biberach und der Universität Ulm in einem auf fünf Jahre angelegten Projekt verfolgen.
Dem wässrigen Reststoffstrom der Zellstoff- und Papierindustrie – Schwarzlauge – soll vor dessen Verbrennung noch ein werthaltiges Produkt abgerungen werden. Im Erfolgsfall, so die Überlegung, ließe sich damit der vorwiegend petrochemische Syntheseprozess von Vanillin durch einen auf biogenen Rohstoffen basierten ersetzen.
Bei der Herstellung von Zellstoff und Papier ist der Holzbestandteil Lignin unerwünscht. Er wird daher in mehreren Stufen eingedampft und schließlich verbrannt1), für die Wertstoffvalorisierung ist dies aber nur der allerletzte Schritt. Für eine vorgeschaltete stoffliche Verwertung spricht indes, dass das Biopolymer Lignin eine interessante zyklische (C6-Kreise) Molekülstruktur besitzt, die sich für viele Plattformchemikalien im Bioraffineriekonzept grundsätzlich eignet.
Dem Reststoffstrom Schwarzlauge abzweigen
Schwarzlauge ist eine substanzreiche, heterogene Brühe, die das darin gelöste Biopolymer Lignin enthält, einem der drei Hauptbestandteile von Holz. Das aus dem Lignin gewonnene Produkt Vanillin (4-Hydroxy-3-Methoxy-Benzaldehyd) ist ein weltweit stark von Lebensmittel-, Parfüm- und Pharmaindustrie nachgefragter Duft- und Aromastoff, der auf natürlichem oder synthetischem Weg hergestellt wird.2)
„Der Biberacher Ansatz gehorcht einer bioökonomischen Logik“, sagt Projektleiterin Prof. Dr. Heike Frühwirth von der Hochschule Biberach. Denn er tauscht die fossile Rohstoffquelle Erdöl gegen die nachwachsende Ressource Holz ein. Das Gros der Vanillinproduktion setzt auf die klimaschädliche Variante Erdöl, bei deren mehrstufiger Verarbeitung aus Benzol über Guajacol giftige Neben- und Abfallprodukte anfallen.3) Der Vorteil der synthetischen Herstellung ist wirtschaftlicher Natur: Sie ist um ein Vielfaches (bis Faktor 100) günstiger als diejenige für natürliches Vanillin, Hauptaromabestandteil der Schoten von Vanilla planifolia aus der Familie der Orchideengewächse.4)
Selten und teuer: natürliches Vanillin
Denn natürliches Vanillin ist knapp und sehr teuer. Die natürliche Gewinnung dieses weltweit stark nachgefragten Aromastoffes deckt nur einen Bruchteil der auf rund 25.000 Jahrestonnen geschätzten weltweiten Produktion. Weitere natürliche, aber wirtschaftlich nicht konkurrenzfähige Vanillinquelle ist die Ferulasäure, die vornehmlich aus Reiskleie auf fermentativem Weg gewonnen wird. Natürliches Vanillin kann aber auch biotechnologisch aus Eugenol zum Beispiel aus Nelkenöl oder Curcumin aus Kurkuma hergestellt werden.
„Ziel des unter dem Dach des Hochschulverbunds InnoSÜD laufenden kooperativen Projektes ist es, den Herstellungsprozess für die Industrie so vorzubereiten, dass er in einen größeren Maßstab umsetzbar ist“, sagt die Sprecherin des 2022 auslaufenden Projekts und Verfahrensingenieurin Frühwirth.
Oxidation im Druckreaktor
Die biogene Vanillinquelle Schwarzlauge beziehen die Forschenden von einer regionalen Papierfabrik. Für jeden Versuch werden etwa 300 bis 1.000 ml des Materials benötigt. Erste Versuche starteten mit dem Biopolymer aus dem Chemikalienschrank. Die Umwandlung oder Überführung des Reststoffes Lignin in ein wertvolleres Molekül geschieht durch eine katalytische Oxidation (Natriumhydroxid) in einem Reaktor bei moderatem Druck (10 bar).
Den Investitionskosten für einen Druckreaktor und dem Handling unter Druck stehen der Partialdruck von Sauerstoff und verbesserte Reaktionsbedingungen für die Umsetzung als Vorteile entgegen. Denn je mehr Sauerstoff unter Druck eingebracht wird, desto mehr begünstige das nach Frühwirths Worten die Reaktion. Die Umsetzung bei moderatem Druck sei eine Gratwanderung, denn höhere Drücke führten eben auch zu vermehrter Weiterreaktion des Vanillins. Mit anderen Worten: Ist das Maximum an Vanillinausbeute überschritten, nimmt dessen Konzentration wieder ab.
Aufreinigung mit ionischen Flüssigkeiten
Vanillin lässt sich in nachgelagerten Prozessschritten aufreinigen. Als Verfahren zur Extraktion setzen die Forschenden in Kooperation mit einer österreichischen Firma auf ionische Flüssigkeiten. Als Lösungsmittel werden weniger toxische verwendet, die weniger flüchtig und günstig für die Laborsicherheit sind – Namen werden erst nach einer geplanten Publikation genannt. Unterdessen wird in den Biberacher Laboren die Reaktion optimiert, um eine möglichst vollständige Umsetzung unter geringem Einsatz von Katalysator zu erzielen.
„Die Aufreinigung soll derart geschehen, dass Vanillin weiter reaktionsfähig bleibt“, erläutert Frühwirth. „Der Prozess muss unter Kontrolle bleiben, sodass man das Reaktionsende abstoppt, die Reaktionsmischung entnimmt, abtrennt und die Fraktionen so aufteilt, dass man möglichst reine Reaktionsprodukte erhält.“
Inzwischen ist der Prozess der Vanillingewinnung aus Schwarzlauge laut Frühwirth etabliert. Der erste Skalierungsschritt im kleinen Labormaßstab (100 ml) ist gemacht, der nächste in den mittleren Labormaßstab (2 l) werde auch gelingen. Dazu müsse man wissen, erklärt die Verfahrenstechnikerin, dass das Skalieren bevorzugt in kleinen Schritten geschehe, um Unwägbarkeiten aus dem Weg zu gehen.
Erdölpreise machen Alternativen unrentabel
Die Gewinnung von Vanillin aus Lignin selbst ist nicht neu. Erste Arbeiten gab es schon 1936, bereits 1940 berichtete Karl Freudenberg über ein Verfahren.3) Bis in die 90er Jahre wurden 60 Prozent des Vanillins aus Lignin hergestellt. Dann aber kehrten zwei Entwicklungen die Verhältnisse um: rund 90 Prozent des Vanillins stammt inzwischen aus petrochemischer Herstellung.5) Zum einen machten die niedrigen Rohölpreise alle vorherigen Herstellungsverfahren unrentabel. Zum anderen sorgte die Umstellung vieler Papier- und Zellstoffanlagen auf die bis heute vorherrschende Krafttechnologie dafür. Dank dieser Technologie ist nicht nur die Wiederverwertbarkeit der anorganischen Aufschlusschemikalien (Na2S/NaOH) möglich, sondern auch die effiziente Stromerzeugung über Rückgewinnungskessel.6)
Es gibt viele Prozesse für den Aufschluss von Lignin (vgl. dazu ausführlich Rinaldi et al. 2016), als mittelfristige (biotechnologische) Option schweben den Forschenden um Frühwirth enzymatische Prozesse vor.
Literatur:
1) https://www.abfallbewertung.org/repgen.php?report=ipa&char_id=0303_Zell&lang_id=de&avv=&synon=&kapitel=2>active=no
2) Manuel Breiner, Jan Strugatchi, Siegfried R. Waldvogel: Vanillin aus Lignin. Eine der wichtigsten Aromachemikalien aus dem heimischen Rohstoff Holz, 13.1.2021, Wiley Analytical Science, https://analyticalscience.wiley.com/do/10.1002/was.000400098
3) https://chemistry-europe.onlinelibrary.wiley.com/doi/abs/10.1002/cber.19400730302, zitiert nach: https://www.lebensmittelmagazin.de/wirtschaft/20200619-vanillin-aus-holzabfaellen-neues-energieeffizientes-verfahren-aus-mainz/
4) http://aromenverband.de/fact-sheets__trashed/woher-kommt-vanillin/
5) Rinaldi, R. , Jastrzebski, R. , Clough, M. T. , Ralph, J. , Kennema, M. , Bruijnincx, P.C. A. , Weckhuysen, B. M.: Wege zur Verwertung von Lignin: Fortschritte in der Biotechnik, der Bioraffination und der Katalyse, in: Angewandte Chemie, Bd. 128, Ausgabe 29, S. 8296-8354, 17 Juni 2016, https://doi.org/10.1002/ange.201510351, S. 8314ff.
6) Ebd., S. 8325f.
7) https://www.bbi.europa.eu/projects/selectiveli, https://www.igb.fraunhofer.de/de/referenzprojekte/LIBERATE.html, https://www.sintef.no/en/latest-news/2018/from-lignin-to-valuable-products/