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CO2 aus der Luft als Rohstoff für Chemikalien
Einem Fraunhofer-Team ist es gelungen, mittels aus der Luft adsorbiertem CO2 einen Farbstoff herzustellen. Das Motiv: klima- und ressourcenschonende Kreislaufwirtschaft. Neben Chemikalien lassen sich auch Kraftstoffe kosteneffizient herstellen. Wie verläuft das technische Verfahren, und welche Chancen eröffnen sich?
Um dem Klimawandel entgegenzuwirken, werden Zukunftstechnologien zur Verwertung von CO2 gesucht. Das Fraunhofer-Institut für Grenzflächen- und Bioverfahrenstechnik (IGB) hat dazu gemeinsam mit Partnern aus Wissenschaft und Industrie im Rahmen des EU-Projekts CELBICON1) ein bahnbrechendes Verfahren entwickelt: Sie setzen das klimaschädliche CO2 kosteneffizient in Chemikalien und Kraftstoffe um.
„Nationale und internationale Vereinbarungen zielen darauf ab, den Anteil erneuerbarer Energien am Energiemix rapide zu erhöhen und die CO2-Emissionen einzudämmen. Die Industrie steht unter Handlungsdruck“, erläutert Projektleiter Lénárd-István Csepei die Motivation zu neuen Lösungsansätzen. Durch den interdisziplinären Forschungsansatz konnte am Straubinger Standort des Fraunhofer IGB eine beispielhafte Prozesskette im Pilotmaßstab demonstriert werden.
Innovativer Dreisprung: CO2-Adsorption, Elektrochemie und Biotechnologie
Das Ziel des IGB-Teams: Die Entwicklung von innovativen CO2-to-Chemicals-Technologien, bei denen aus Kohlendioxid Zwischenprodukte wie Ameisensäure und Methanol hergestellt werden, die sie mithilfe von Bakterien durch Fermentation zu hochwertigen Chemikalien umwandeln.
„Wir haben mit unserem Projektpartner Climeworks eine Kollektoranlage errichtet, die nach dem Ansaugen der Luft CO2 an einem Filter bindet“, beschreibt Csepei den ersten Schritt der dreistufigen Prozesskette. Nachfolgend wird das Treibhausgas über elektrochemische Reaktionen zu einfachen C1-Intermediaten umgewandelt, beispielsweise Ameisensäure oder Methanol. „Für eine effiziente Konversion von CO2 und hohe Produktausbeute haben wir zunächst im Labormaßstab verschiedene Katalysatoren gescreent und Parameter wie die Zusammensetzung der Elektrolyte optimiert“, ergänzt IGB-Wissenschaftlerin Dr. Luciana Vieira. Mit Erfolg: Das Fraunhofer-Team konnte unter Einsatz von zinnhaltigen Katalysatoren und phosphatbasierten Pufferelektrolyten die Prozesse optimieren und validieren.
Dann der entscheidende Punkt: „Die Herstellung dieser einfachen Verbindungen alleine ist allerdings nur begrenzt wirtschaftlich attraktiv, unter anderem aufgrund der schwankenden Verfügbarkeit von regenerativ erzeugter elektrischer Energie, die für den elektrochemischen Prozess benötigt wird. Ein deutlicher wirtschaftlicher Mehrwert wird dann erreicht, wenn sich die einfachen Verbindungen kostengünstig in höherwertige Produkte umsetzen lassen“, erklärt Csepei den innovativen dritten Prozessschritt. Hauptakteure dabei: Bakterien.
Elektrosynthese – eine Zwischenstation
Die mit regenerativem Strom betriebene Demonstratoranlage zur CO2-Umsetzung zu Ameisensäure am Fraunhofer IGB in Stuttgart wird von Dr. Carsten Pietzka betreut. „In Elektrolysezellen lässt sich CO2 über elektrochemische Reaktionen zu einfachen Verbindungen umsetzen, beispielsweise zu Ameisensäure“, so der Ingenieur.
Die Elektrosynthese wurde in einer Demonstratoranlage mit einer Elektrolysezelle und 100 cm2 Elektrodenfläche mit 10 l Elektrolytvolumen bei einem Technologie-Reifegrad TLR42) demonstriert – mit interessantem Detail: „Es lassen sich auch Elektrodenstapel, sogenannte Stacks, integrieren. Somit können wir die Produktionsrate an Ameisensäure erhöhen und weitere Elektrolysezellen entwickeln“, erklärt Pietzka.
Bakterien für einen klima- und kosteneffizienten Produkt-Output
Die Zwischenprodukte Ameisensäure oder Methanol werden als Substrat für methylotrophe Bakterien eingesetzt. Diese fleißigen Abnehmer nutzen C1-Intermediate wie Methanol oder Ameisensäure als Kohlenstoff- und Energiequelle. „Im nachfolgenden chemisch-biotechnologischen Verfahren können wir so aus den Produkten der Elektrosynthese hochwertige Chemikalien herstellen“, erklärt Projektleiter Csepei. Ein wichtiger Aspekt, denn die generierten Chemikalien haben einen großen Wachstumsmarkt. Beispiele sind organische Säuren, die als Polymer-Bausteine zur Kunststoffherstellung verwendet werden können, oder Oligomere von Isopren als synthetische Drop-in-Kraftstoffe.
Die Wissenschaftler am IGB verwenden ein Bakterium namens Methylorubrum extorquens. „Dieses Bakterium kann über seinen natürlichen Stoffwechsel Ameisensäure zu Biomasse oder Wertprodukten umsetzen. Im CELBICON-Projekt wurde über den mikrobiellen Terpenstoffwechsel ein roter Farbstoff produziert und aufgereinigt“, erklärt der verantwortliche Wissenschaftler Dr. Jonathan Fabarius.
Ein entscheidender Entwicklungsschritt dabei: Der für die Elektrosynthese verwendete Elektrolyt, in dem die produzierte Ameisensäure gelöst ist, darf weder toxisch für die Bakterien sein noch Enzyme hemmen. So kann er ohne vorherige Aufreinigung dem biotechnologischen Prozess zugeführt werden. „Herkömmliche Verfahren benötigen neben viel Energie oft auch toxische Reagenzien und Lösungsmittel. Mit unserem Prozess können wir unter energieeffizienten und ungiftigen Bedingungen produzieren, denn die Fermentation durch Mikroorganismen erfolgt in wässrigen Lösungen“, fügt Fabarius‘ Kollegin Viera hinzu.
Fabarius nennt ein weiteres Ziel: „Wir optimieren die Stoffwechselwege und Enzyme, die für die Produkterzeugung benötigt werden, durch Metabolic Engineering weiter.“ Dafür übertragen die Wissenschaftler Gene in die Bakterien, die den Bauplan für spezielle Enzyme enthalten. Die daraufhin von den Mikroben produzierten Enzyme katalysieren die Herstellung eines bestimmten Produkts. Zusätzlich können Gene, die diese Produktion negativ beeinflussen, gezielt unterdrückt werden. „Somit können wir die Produktpalette und -ausbeute und damit auch die Effizienz des Gesamtprozesses erhöhen. Und das komplett klimaneutral.“
Am wertschöpfenden Carbon Capture teilnehmen
Mehrere Aspekte versprechen geringe Investitions- und Betriebskosten für die gesamte Prozesskette: Die Nutzung von CO2 und regenerativer Energie für den Elektrosynthese-Schritt gewährleistet die Herstellung von regenerativen Zwischenprodukten. Die Nutzung von CO2 aus dezentralen Quellen hat sich für bisherige Anlagen nicht gelohnt. Mithilfe der neuen Verfahrenskette können Chemikalien mit hohem Marktwert auch in kleinen Mengen nun wirtschaftlich effektiv hergestellt werden.
„Für eine industrielle Anwendung des Verfahrens ist ein weiteres Upscaling nötig, wobei die Skalierungseffekte speziell untersucht werden müssen. Hierfür suchen wir Fördermöglichkeiten auf nationaler und internationaler Ebene wie auch die direkte Kooperation mit Industriepartnern für die Katalysatoroptimierung und Prozessentwicklung in vollautomatisierten Pilotanlagen“, erklärt Csepei das Zukunftspotenzial. Zusätzlich erweitert das Fraunhofer-Team das Produktportfolio in Richtung Polymer-Bausteine und arbeitet an einer weiteren Optimierung der elektrochemischen Reaktion sowie des mikrobiellen Produktionsstamms.
Das Fraunhofer IGB bietet zudem Expertise in der Durchführung technoökonomischer Studien, der Recherche und Analyse relevanter Patente und der Marktforschung. „Durch derartige Studien können wir Firmen beim Technologie-Scouting und bei ihrer Positionierung im Bereich der boomenden Power-to-X-Technologien unterstützen“, so Csepei.
Carbon Capture and Utilization-Technologien (CCU), wie das am Fraunhofer IGB entwickelte Verfahren, werden immer effizienter und erschwinglicher. Ein wegweisender Ansatz einer Kreislaufwirtschaft, um aus dem CO2-Abfall etwas Wertvolles zu machen.
Fußnote:
1) CELBICON (Cost-effective CO2 conversion into chemicals via combination of Capture and ELectrochemical and BIochemical CONversion technologies), https://celbicon.org/: Die Forschungsarbeiten wurden im Zuge des Rahmenprogramms für Forschung und Innovation Horizont 2020 der Europäischen Union für die Projektlaufzeit 2016 – 2019 gefördert.
2) TRL: Technologiereifegrad (Technology Readiness Level) zur Bewertung des Entwicklungsstands von neuen Technologien. Die am IGB mit TRL4 validierten Technologien werden in eine auf TRL5 betriebene Technologieplattform integriert.