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Das große Potenzial biologischer Reststoffe
Sowohl während der Produktion von Lebensmitteln als auch beim Verbraucher fallen große Mengen an Abfällen an. Das Fachgebiet Konversionstechnologien nachwachsender Rohstoffe am Institut für Agrartechnik der Universität Hohenheim hat ein Verfahren entwickelt, mit dem diese Biomasse in die hochpotente Basischemikalie Hydroxymethylfurfural (HMF) umgewandelt werden kann, die zur Herstellung von Kunststoffen dient.
Jedes Jahr werden in Deutschland rund 12 Mio. Tonnen Lebensmittel weggeworfen.1 Der Großteil der Abfälle (52 %) entsteht dabei in Privathaushalten, weil die Produkte alt, unansehnlich oder verdorben sind. Doch auch auf dem Weg zum Verbraucher fallen beträchtliche Mengen an: Obst und Gemüse werden häufig bereits auf dem Acker aussortiert, wenn sie den gängigen Vorstellungen bezüglich Größe, Form oder Farbe nicht entsprechen und deshalb keine Abnehmer finden (12 %). Die während der industriellen Verarbeitung der Nahrungsmittel anfallenden Reste landen genauso im Müll (18 %) wie Übriggebliebenes aus Restaurants und Großküchen (14 %). Und immerhin vier Prozent des Abfalls entstehen im Handel aufgrund von Transport- oder Lagerungsschäden. Auch wenn durch Verbrennung oder Umsetzung in Biogasanlagen aus dem weggeworfenen Material noch Energie gewonnen wird, ist dies nicht besonders nachhaltig, da für die Erzeugung der Nahrungsmittel deutlich mehr Ressourcen (Energie, Wasser, Nährstoffe) verbraucht werden.
HMF als hochpotente Basischemikalie für Kunststoffe
Um die Lebensmittelverschwendung zu reduzieren, gibt es unterschiedliche Vorgehensweisen. Einerseits kann die Qualität der Verpackungen verbessert werden, damit die Produkte besser geschützt und länger haltbar sind. Andererseits sollen Möglichkeiten für eine sinnvollere Verwertung der unvermeidbaren Reste gefunden werden. An beiden Lösungsansätzen ist Markus Götz, Doktorand am Fachgebiet Konversionstechnologien nachwachsender Rohstoffe am Institut für Agrartechnik der Universität Hohenheim unter Leitung von Prof. Dr. Andrea Kruse maßgeblich beteiligt. Schon während seines Masterstudiums „Nachwachsende Rohstoffe und Bioenergie“ beschäftigte er sich intensiv mit der Nutzung von biologischem Material zur Synthese von 5-Hydroxymethylfurfural (HMF). „HMF ist eine hochpotente Basischemikalie, die als Ausgangsstoff für Kunststoffe und viele weitere Materialien dient“, erläutert Götz.
Bisher stellen Produzenten das HMF direkt aus dem Zucker Fructose her, der allerdings teuer und selbst ein Nahrungsstoff ist. „Wir haben deshalb die Herstellungskette vorne erweitert und nutzen verschiedenste Kohlenhydratquellen aus Reststoffbiomasse. Die Palette ist sehr groß: von Cellulose aus Holz oder Miscanthus (Chinagras) über Inulin aus der Chicorée-Wurzelrübe oder Zwiebelschalen bis hin zu Stärke aus alten Brötchen oder Kartoffelschalen.“
Bei der Herstellung von HMF kommt das Verfahren der hydrothermalen Umwandlung zum Einsatz. Dabei wird das biologische Ausgangsmaterial in einem Reaktor quasi wie in einem Schnellkochtopf mit leicht angesäuertem Wasser und unter Druck (20 bar) auf 160 bis 200 °C erhitzt. Dies führt zur Zersetzung der Kohlenhydratketten in die einzelnen Zuckerbausteine. Aus Fructose entsteht dann unter diesen Bedingungen durch dreifache Wasserabspaltung HMF. Glucose hingegen ist kein direktes Ausgangsmaterial, sondern muss sich erst in Fructose umwandeln (Tautomerisierung). Damit nicht zu viele unerwünschte Nebenprodukte entstehen, wird der Prozess nach kurzer Zeit gestoppt und das HMF aus der noch vorhandenen Zuckerlösung entfernt. Die Restzucker können in der nächsten Runde zur erneuten HMF-Synthese eingesetzt werden.
HMF dient als Basischemikalie für die Synthese des Kunststoffs PEF (Polyethylenfuranoat), eines neuartigen Hochleistungspolymers, das ähnlich wie PET (Polyethylenterephthalat) zu Flaschen, Textilfasern oder Folien verarbeitet werden kann. Im Gegensatz zu PET, das aus fossilem Erdöl erzeugt wird, ist das aus nachwachsenden Rohstoffen bzw. biologischen Abfallprodukten hergestellte PEF deutlich nachhaltiger, auch weil seine Verarbeitung weniger Energie benötigt. Zudem besitzt PEF bessere Barriere-Eigenschaften gegenüber Kohlendioxid, Sauerstoff und Wasser, wodurch die Haltbarkeit verpackter Lebensmittel verbessert wird, bzw. die Verpackungen dünner und damit auch leichter sein können. Dies spart Material und Gewicht und reduziert so die Entstehung von Treibhausgasen.
EU-Projekt MyPack unterstützt Markteinführung
Aufgrund des hohen Preises von PEF ist der kommerzielle Einsatz allerdings noch Zukunftsmusik und wird deshalb von der Arbeitsgruppe im Rahmen des EU-Projekts MyPack (Best markets for the exploitation of innovative sustainable food packaging solutions) näher untersucht. MyPack unterstützt die Markteinführung innovativer Verpackungen, um sowohl Lebensmittelverschwendung als auch Verpackungsmüll zu reduzieren. „Wir führen eine Ist-Analyse durch und entwerfen für die Akteure der Verpackungsindustrie einen Entscheidungskatalog“, beschreibt Götz das Vorhaben. Die Synthese großer Mengen von HMF ist machbar, bei der Herstellung von PEF-Produkten gibt es allerdings bisher noch technische Herausforderungen. Zudem ist das PEF-Granulat nicht transparent, sondern hat eine gelbliche Farbe; eine Eigenschaft, die viele Lebensmittelanbieter abschreckt.
Obwohl PEF biobasiert und damit ein Biokunststoff ist, ist es nicht kompostierbar. Genau wie PET gehört es in den gelben Sack und kann wiederaufbereitet werden. „Wir haben uns aus Überzeugung dazu entschlossen, nicht an biologisch abbaubaren Kunststoffen zu arbeiten“, erklärt der Wissenschaftler. „Abbaubare Kunststoffe sind nicht sehr nachhaltig. Sie werden nur kurz genutzt, aber auch ihre Herstellung erfordert Energie und verursacht Emissionen. Im Recyclingkreislauf wird das Material länger genutzt, die Wiederverwertung benötigt weniger Energie, und es muss weniger neues Material produziert werden.“
Modellraffinerie an der Universität Hohenheim
Die Umsetzung von biologischen Reststoffen zu HMF ist das Spezialgebiet der Arbeitsgruppe. Da erst seit etwa zehn Jahren intensiv auf diesem Gebiet geforscht wird, gibt es bisher keine fundierten Daten zur industriellen Anwendung des Verfahrens. Um es für Landwirte oder die lebensmittelverarbeitende Industrie etablieren zu können, entstand deshalb am Versuchsstandort Lindenhöfe der Universität Hohenheim in Eningen unter Achalm eine kleine Bioraffinerie als Anschauungsobjekt. Hier können einige Kilogramm Biomasse pro Stunde umgesetzt werden. Abhängig von Zuckerart und -gehalt des Ausgangsstoffs variieren die Verarbeitungsparameter und auch die erzeugte Menge an HMF. Ein wichtiger Punkt des Produktionskonzepts ist die Kopplung der Raffinerie an eine Biogasanlage, die die Energie für das benötigte heiße Wasser liefert.
Zurzeit sind Götz und seine Kollegen auf der Suche nach Fördermitteln bzw. Investoren für den Bau einer großen Demonstrationsanlage, mit deren Hilfe genaue Daten zur Wirtschaftlichkeit generiert werden können. Ziel ist eine voll automatisierte, einfach zu handhabende Bioraffinerie, die vor allem für Landwirte und kleinere Industriebetriebe attraktiv ist.
Vielseitige Verwendung von HMF
Ein entscheidender Faktor für die Wirtschaftlichkeit ist der Bedarf an HMF in der weiterverarbeitenden Industrie. Großes Potenzial hat die Chemikalie als Ersatz für das giftige Formaldehyd, das bei der Produktion industrieller Harze oder Lacke verwendet wird. Die Verarbeitung zu Kunststoffverpackungen eröffnet vor allem aufgrund der guten Gasbarrieren viele Anwendungsmöglichkeiten. Wegen der guten mechanischen Eigenschaften der PEF-Fasern untersucht die Arbeitsgruppe Anwendungen im Textilfaserbereich, beispielsweise für die Automobilindustrie. Auch auf dem Gebiet der Sportausrüstung (z. B. Kletterseile oder Bekleidung) sind unterschiedlichste Einsatzfelder denkbar. Die Verwertung biologischer Reststoffe nicht nur zur Energiegewinnung, sondern auch zur Produktion neuer Werkstoffe, ist somit eine nachhaltige Alternative zum Einsatz fossiler Rohstoffe, die zudem die lokale Kreislaufwirtschaft begünstigen kann.
Literatur:
1) https://www.bmel.de/DE/themen/ernaehrung/lebensmittelverschwendung/studie-lebensmittelabfaelle-deutschland.html