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Hanf: Regionales Superfood und wertvolle Proteinquelle
Gäbe es einen Wettbewerb um die „Nutzpflanze der Zukunft“, wäre der Hanf sicher ganz vorne dabei. Jedoch nicht wegen der berauschenden Wirkung mancher Sorten, an die wohl Viele spontan denken. Cannabis könnte zukünftig zur Proteinversorgung der wachsenden Weltbevölkerung beitragen – und dies auch noch besonders nachhaltig. Im Projekt TASTINO entwickeln Forschende aus Universität und Industrie nun Möglichkeiten, das regionale Superfood als vegane Schnitzel, Pasta & Co. verfügbar zu machen.
Hanf – wissenschaftlich Cannabis - ist eine einjährige, eher unscheinbare Pflanze, die unter günstigen Bedingungen bis zu mehreren Metern groß werden kann. Als eine unserer ältesten Nutzpflanzen werden ihre Samen als Nahrungsmittel oder Fasern für Textilien und Seile schon seit Jahrtausenden genutzt. Auch die therapeutische Wirkung bei verschiedenen Erkrankungen ist bekannt und wird weltweit intensiv erforscht.
Am bekanntesten dürfte jedoch die Verwendung als Rauschmittel sein. Der hauptsächlich psychoaktiv wirkende Inhaltsstoff, das Cannabinoid Tetrahydrocannabinol (THC), ist die weltweit am häufigsten konsumierte illegale Droge. Der THC-Gehalt ist jedoch nicht bei allen Cannabis-Sorten gleich: Während dieser im Medizinalhanf meist deutlich über 0,2 Prozent liegt, enthält Industrie- oder Nutzhanf geringere Anteile. Trotzdem sind Anbau und Nutzung von Hanf in Deutschland generell nur unter strengen Auflagen erlaubt.
Hochwertiges und nachhaltiges Nahrungsmittel – auch für Allergiker
An der Universität Hohenheim wurde das Potenzial der nur äußerlich unscheinbaren Pflanze schon vor Jahren erkannt und ist seither Bestandteil verschiedener Forschungsarbeiten. Im Projekt CANNABIS-NET beispielsweise werden gemeinsam mit mittelständischen Unternehmen Verfahren entwickelt, um Medizinalhanf in Deutschland in Zukunft anzubauen und der Pharmabranche in hoher Qualität zur Verfügung zu stellen. Diese Arbeiten werden seit Kurzem ergänzt von einer weiteren, äußerst zukunftsträchtigen Idee: der Herstellung von Nahrungsmitteln aus Nutzhanf. Im Projekt TASTINO „SchniTzel, Hanftofu, PASTa & Co aus dem Reallabor Hanf – proteINbasierte Lebensmittel aus regiOnalem Hanfanbau“ will man gemeinsam mit der Pforzheimer Firma Signature Products die Samen als neue Proteinquelle für die menschliche Ernährung erschließen.
Ausgangspunkt für das Projekt war die Ausschreibung des Ministeriums für Ernährung, Ländlichen Raum und Verbraucherschutz (MLR) „Bioökonomie - Reallabore zur Schließung regionaler Stoffkreisläufe und zur nachhaltigen Versorgung mit Nährstoffen und Proteinen aus der Region“. „Was Nahrungsmittel angeht, so kommen wir bald an unsere planetaren Grenzen und müssen in vielfacher Richtung umdenken“, sagt Prof. Dr. Simone Graeff-Hönninger, die die Arbeiten in der Arbeitsgruppe Anbausysteme und Modellierung an der Universität Hohenheim leitet. „Das wissen wir zwar schon länger, und pflanzliche Quellen gibt es ja auch schon einige. Diese sind aber auch mit Nachteilen behaftet: Getreide oder Lupine zum Beispiel können problematisch für Allergiker sein, bei Soja gibt es die Gentechnikhürde. Und generell gilt deren Textur als nicht sehr fleischähnlich. Deshalb erschien es uns naheliegend, Hanf als zukünftige wertvolle und nachhaltige Proteinquelle zu etablieren. Auch, weil der Markt für pflanzliche Alternativen in Zukunft stark wachsen wird.“
Keine Pflanzenschutzmaßnahmen nötig
Aber nicht nur die Verfügbarkeit verlangt möglichst schnell die globale Ernährungsumstellung: Fleisch und andere tierische Lebensmittel werden im Ausmaß der oft üblichen Konsumgewohnheiten als nicht gesund und deren Produktion als nicht nachhaltig angesehen. Hanfproteine dagegen sind ernährungsphysiologisch äußerst wertvoll und können daher eine bedeutende Rolle in der menschlichen Nahrung spielen: Sie zeichnen sich mit 23 essenziellen Aminosäuren und einem hohen Anteil an Omega-3- und -6-Fettsäuren durch eine hohe biologische Wertigkeit aus und können zudem regional erzeugt werden. Darüber hinaus werden fast keine Pflanzenschutzmaßnahmen im Anbau benötigt: Hanf wächst sehr schnell, das Unkrautwachstum wird rasch unterdrückt und auch ein Fungizideinsatz gegen Krankheiten spielt bislang keine Rolle. Ein großes Wurzelvolumen speichert CO2 im Boden, der Anbau auch auf eher kargen Flächen ist möglich, und die Blüten leisten als Pollenquelle einen wertvollen Beitrag zur Biodiversität.
„Allerdings wird bei uns wegen bürokratischer Hürden die größte Menge derzeit importiert“, berichtet Graeff-Hönninger. „Dabei gibt es Unternehmen, die Hanf gerne aus Deutschland beziehen würden. Landwirte müssen Flächen jedoch – egal, wie groß – formal beantragen und werden kontrolliert. Sobald durch eventuelle Umwelteinflüsse der THC-Gehalt auch nur geringfügig über 0,2 Prozent steigt, muss die komplette Fläche vernichtet werden. Das ist nicht nur für den Landwirt bitter, auch der Verarbeiter steht ohne Rohstoff da. In anderen Ländern gibt es solche Hürden nicht, und bereits eine Änderung des Grenzwerts auf 0,3 Prozent - wie aktuell in der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) der Europäischen Union ab 2023 angeregt - würde uns schon ein ganz anderes Sortenspektrum zur Verfügung stellen.“
Idealziel: Multipurpose-Pflanze
Um eine nennenswerte Hanfproduktion auch bei uns zu etablieren, werden nun an der Universität Hohenheim Anbausysteme entwickelt, die Landwirten zu einem gesicherten Ertrag verhelfen und Lebensmittelproduzenten verlässlich mit Rohstoff versorgen, sodass am Ende der Wertschöpfungskette qualitativ hochwertige Produkte stehen. Eine erste Fragestellung, die derzeit auf den Versuchsstationen der Universität bearbeitet wird, sind die Sortenunterschiede und deren Inhaltsstoffe. „Wir haben 2021 verschiedene Sorten angebaut und evaluieren nun deren Qualität“, erklärt die Professorin. „Daraus soll eine Sortenempfehlung für die Praxis resultieren. Und wir untersuchen gemeinsam mit Landwirten verschiedene baden-württembergische Standorte auf Eignung für den Hanfanbau. Bislang existieren keine vergleichbaren Studien, in denen an einem einzigen Standort verschiedene Sorten unter gleichen klimatischen Bedingungen angebaut wurden.“
Während bislang der Hauptfokus bei der Sortenzüchtung auf der Fasernutzung lag, soll dies nun um die Möglichkeit zur Körnerverwertung als pflanzliche Proteinquelle erweitert werden, was eventuell ganz andere Bedingungen verlangt. Theoretisch stehen Landwirten gemäß EU-Sortenliste rund 70 Sorten zur Verfügung. „In der Praxis kommt man aber gar nicht an alle Sorten“, so Graeff-Hönninger. „Das Saatgut ist knapp und die Qualität nicht immer zufriedenstellend.“
Für TASTINO durchlaufen die geernteten Körner aus 2021 derzeit eine umfassende Analytik, in der unter anderem das Aminosäureprofil oder der Proteingehalt ermittelt werden. Ein weiterer Aspekt ist die möglichst komplette Nutzung: „Unser Idealziel wäre eine „Multipurpose-Pflanze“, die wir ganzheitlich nutzen können. Also zur Herstellung von Fasern, Extraktion von Cannabinoiden aus den Blättern oder auch Lignin-Gewinnung. Hier ist aber noch nicht klar, ob es Sorten gibt, die sich für diese Mehrfachnutzung eignen.“
Hanf-Lebensmittel finden große Resonanz
Sind die Hanfkörner geerntet, wird das Öl herausgepresst und die Proteine aus dem Presskuchen extrahiert. Das Pulver ist dann Grundlage für die Produktentwicklung – der Part des Hanfspezialisten Signature Products GmbH, der intensiv an der Testung von Schnitzeln, Burgern, Brotaufstrichen, Energiebällchen, Protein-Shakes und mehr arbeitet. Die vielfältigen Neu-Kreationen präsentiert die Firma auch gerne in den sozialen Medien: „Die Resonanz ist unglaublich – schon innerhalb weniger Stunden gibt es Kommentare und Anfragen, man merkt, dass man den Nerv der Zeit trifft. Der derzeitige Hype um Hanf macht es uns leicht“, berichtet die Professorin.
Ergänzt werden soll der Kontakt zum Verbraucher durch Befragungen und Verkostungsaktionen in Restaurants. Auch der Lebensmitteleinzelhandel in Baden-Württemberg ist beteiligt. So hofft man, dass mit dem Ende der Projektlaufzeit im Dezember 2022 die komplette Wertschöpfungskette geschlossen ist und bereits einige innovative Lebensmittel auf Basis von Hanfprotein direkt beim Verbraucher ankommen.