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InBiRa: Insektenbioraffinerie verwandelt Lebensmittelreste in neue Produkte
Lebensmittelreste und -abfälle von Insektenlarven verwerten lassen und daraus Sekundärrohstoffe für technische Produkte und Kosmetika herstellen. Dies wollen Forschende in einer Insektenbioraffinerie am Fraunhofer IGB in Stuttgart. Das Projekt InBiRa wird mit insgesamt 3,8 Mio. Euro EU- und Landesmitteln finanziert.
„Lebensmittel sollten eigentlich nicht zu Abfall werden“, sagt Dr. Susanne Zibek, Leiterin der Forschungsgruppe Bioprozessentwicklung am Fraunhofer-Institut für Grenzflächen- und Bioverfahrenstechnik IGB in Stuttgart. „Aber wenn es doch der Fall ist, könnten wir sie höherwertiger nutzen, als wir es bisher tun.“ Aktuell werden überlagerte Lebensmittel aus dem Einzelhandel oder Reste aus Küchen und Kantinen sowie Bioabfall direkt kompostiert oder zu Biogas vergoren. Im Jahr 2020 wurde in Deutschland so mit insgesamt 10,9 Mio Tonnen Lebensmitteln aus der gesamten Produktions- und Lebensmittelkette verfahren.1) Bei InBiRa wollen die Forschenden noch einen Zwischenschritt einlegen: Mit den Lebensmittelresten sollen zunächst die Larven der Schwarzen Soldatenfliege gefüttert werden. Sie bestehen aus Protein, Fett und Chitin, die die Forschenden in Sekundärrohstoffe für verschiedene technische und kosmetische Produkte umwandeln wollen. „33 bis 50 Prozent der Lebensmittelreste könnten durch die Larven verwertet werden“, erklärt Heinrich Katz von der Hermetia Baruth GmbH. Von dem Unternehmen aus Brandenburg stammen die biologisch-technischen Grundlagen für die Insektenmast bei InBiRa.
Die Bioraffinerie wird vom Fraunhofer IGB in Zusammenarbeit mit fünf Projektpartnern geplant und betrieben und auf dem Institutsgelände in Stuttgart-Vaihingen aufgebaut. Dies funktioniert folgendermaßen: Zunächst werden die Lebensmittelreste von der PreZero Stiftung & Co. KG aus Neckarsulm angeliefert. Sie werden zerkleinert und vom Institut für Siedlungswasserbau, Wassergüte- und Abfallwirtschaft (ISWA) der Universität Stuttgart analysiert. Auf dieser Basis werden neue Futtermischungen für die Larven aus den Reststoffen hergestellt.
Fütterung in drei Komplexstufen
„Wir haben mehrere Komplexstufen vorgesehen“, sagt Zibek. Im ersten Schritt wird untersucht, wie aus Obst, Gemüse, Backwaren und Milchprodukten das optimale Futter für die Larven zusammengestellt werden kann. Dann werden Speiseabfälle aus Kantinen und Mensen untersucht. „Das ist ein wildes Gemisch aus allem Möglichen“, beschreibt sie. „Da sind meist auch Fleischreste enthalten.“ Laut Gesetz dürfen Nutztiere, und als solche gelten auch die Larven in der Bioraffinerie, nicht mit Fleisch oder Fisch gefüttert werden. „Das macht in diesem Fall keinen Sinn“, findet Heinrich Katz. „Denn in der Natur verwerten diese Insekten auch tierische Reste.“ Daher haben die Forschenden eine Ausnahmegenehmigung beantragt und wollen so untersuchen, wie sicher der Prozess für Mensch und Umwelt ist. Die dritte und komplizierteste Stufe ist dann die Biotonne. Darin ist auch alles wild gemischt, und zusätzlich sind noch Störstoffe enthalten.
Um die Insektenmast kümmert sich Heinrich Katz mit seinem Team, das seit 15 Jahren auf dem Gebiet der Insektenbiotechnologie forscht und entwickelt. Er und Zibek kennen sich schon lange, von Vorträgen und anderen Projekten. Gemeinsam haben sie die Vision einer Insektenbioraffinerie entwickelt und das Projekt ins Leben gerufen. Zibek koordiniert das Ganze. Die Mast funktioniert folgendermaßen: Die erwachsenen Weibchen legen Eier, aus denen die Larven schlüpfen. 10 Prozent davon können sich wieder zu erwachsenen Tieren entwickeln, die wieder Eier legen, aus denen Larven schlüpfen. So bleibt der Kreislauf in Gang.
Die anderen 90 Prozent werden auf den verschiedenen Futtermischungen in Wannen gemästet und das Wachstum bewertet. Acht Kilogramm Larvenmasse entwickeln sich in 14 Tagen aus einem Gramm frisch geschlüpfter Larven. Dabei verwerten die Tiere je nach Inhaltsstoffen 10 bis 30 Kilogramm Lebensmittelreste. „Die Larven benötigen eine gewisse Anfangswärme“, erklärt Katz. Die wird zugeführt. Dann fangen die Tiere an zu wachsen und erzeugen selbst Wärme durch ihre Bewegungen. Nun muss Wärme abgeführt werden, damit die Tiere nicht überhitzen. Diese wird in den anderen Wannen als Anfangswärme eingesetzt. Außerdem wird Frischluft zugeführt und Kohlendioxid und Ammoniak abgeführt und entsorgt. Nach maximal 14 Tagen werden die Larven auf einem Rüttelsieb von Kot, Lebensmittelresten und Insektenhäuten getrennt und anschließend mit heißem Wasser inaktiviert.
Fettsäuren aus heimischen Quellen
Das Institut für Grenzflächenverfahrenstechnik und Plasmatechnologie IGVP der Universität Stuttgart und das Fraunhofer IGB untersuchen dann, wie Fette und Proteine aus den Larven möglichst nachhaltig voneinander getrennt und zu Sekundärrohstoffen verarbeitet werden können. Aus einer Tonne Larven, die aus bis zu 60 Prozent Wasser besteht, können ca. 100 Kilogramm Fett und 220 Kilogramm Protein gewonnen werden. Das Fett wird über mehrere Arbeitsschritte gereinigt. Es enthält Fettsäuren, die denen aus Palmkernöl oder Kokosfett chemisch ähnlich sind. So könnten sie als regionale Alternative zu den tropischen Fettsäuren in Deutschland produziert werden. Über verschiedene chemische oder enzymatische Reaktionen werden aus den Fetten dann Sekundärrohstoffe hergestellt, die von Partnerfirmen getestet und zu Biodiesel, Schmierstoffen, Seife und anderen waschaktiven Substanzen oder Epoxiden verarbeitet werden.
Auch die Proteine werden zunächst aufgearbeitet, damit sie technisch genutzt und in Klebstoffen oder Pflegeprodukten wie Haarmasken verwendet werden können. „Die Pflegeprodukte sind nicht vegan“, sagt Zibek. Das müsse man offen diskutieren. Aber sie ist sich sicher, dass es noch neue Ideen geben wird, die Proteine zu verwenden. Neben verschiedenen neuen Verfahren bei der Aufskalierung werden auch die klassischen chemisch-technischen Trenntechnologien, wie Pressen, Filtrieren und Extrahieren genutzt. „Aber die Temperaturen sollen moderater und die Lösemittel grüner werden“, erklärt sie. Zudem müsse die Recyclingfähigkeit genauer betrachtet werden. Daher begleitet auch das Institut für Energie- und Umweltforschung ifeu Heidelberg gGmbH das Projekt und bewertet alle Prozesse der Bioraffinerie unter ökologischen Gesichtspunkten. „Wir bekommen so ein Feedback, ob etwa Lösemittel 1 oder 2 nachhaltiger ist und können dann optimieren“, so Zibek.
Reststoffe aus der Mast verwerten
Die Reststoffe aus der Insektenmast werden ebenfalls genutzt. Die Insektenhäute bestehen aus bis zu 40 Prozent Chitin, woraus Chitosan hergestellt werden kann. Dies kann in wasserundurchlässigen Beschichtungen eingesetzt werden. Für Kot und Lebensmittelreste untersuchen die Forschenden, wie daraus Düngemittel hergestellt werden kann, und wie gut die Biogasausbeute ist.
Natürlich müssen solch neue Systeme auch von Wirtschaft und Gesellschaft unterstützt und die daraus entstehenden Produkte angenommen werden. Dies kann nur gelingen, wenn darüber informiert wird. Daher begleitet die BIOPRO Baden-Württemberg GmbH das Projekt mit verschiedenen kommunikativen Maßnahmen. Gefördert wird InBiRa durch das Ministerium für Umwelt, Klima und Energiewirtschaft Baden-Württemberg und die EU-Kommission im Rahmen des EFRE-Förderprogramms „Bioökonomie Bio-Ab-Cycling“ mit insgesamt 3,8 Mio. Euro. Es wurde im Oktober 2021 gestartet und läuft bis März 2024.
Vision soll Wirklichkeit werden
Gerade werden die Anlagen geplant, Größenordnungen festgelegt und für die über 17 verschiedenen Verfahren die einzelnen Prozesseinheiten definiert. Dazu wurde auch in der Literatur intensiv über Raffinerie- und Konversionskonzepte recherchiert. „Die rein vegetarischen Fütterungsversuche im 10-kg-Maßstab sind gestartet“, berichtet Katz. „Auf die Ausnahmegenehmigung für die Versuche mit Lebensmittelresten, die tierische Bestandteile enthalten, warten wir noch.“ Das ifeu-Institut hat bereits Daten erhoben und ein erstes Modell erstellt. Wie überall, wird auch bei InBiRa mit Lieferschwierigkeiten gekämpft. Außerdem werden Doktorandinnen und Doktoranden gesucht, die im Projekt mitarbeiten können. „Wir geben alles, damit unsere Vision Wirklichkeit werden kann“, sagt Zibek.
Infobox:
InBiRa – die Insektenbioraffinerie: Von der Verwertung organischer Reststoffe und Abfälle bis hin zur Herstellung von Produkten für Bereiche Kraftstoff, Kosmetik, Reinigungsmittel, Kunststoff und Pflanzendünger
Projektlaufzeit
Oktober 2021 – März 2024
Projektpartner
- Fraunhofer-Institut für Grenzflächen- und Bioverfahrenstechnik IGB, Stuttgart (Koordination)
- Biopro Baden-Württemberg GmbH, Stuttgart
- Hermetia Baruth GmbH, Baruth/Mark Brandenburg
- ifeu – Institut für Energie- und Umweltforschung Heidelberg gGmbH
- Universität Stuttgart, Institut für Grenzflächenverfahrenstechnik und Plasmatechnologie
- Universität Stuttgart, Institut für Siedlungswasserbau Wassergüte- und Abfallwirtschaft
- PreZero Stiftung & Co. KG, Neckarsulm (assozierter Partner)
Quellen:
1) Statistisches Bundesamt