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Kläranlagen als Bioraffinerien: Das Projekt RoKKa
In dem vom Fraunhofer IGB koordinierten Verbundprojekt RoKKa werden Verfahren erprobt, um aus kommunalen und industriellen Abwässern Rohstoffe wie Phosphor- und Stickstoffverbindungen für die Düngemittelproduktion klimaneutral zu extrahieren. Die neuen Verfahren werden an Kläranlagen im Großraum Ulm unter realen Bedingungen getestet, um diese zu nachhaltigen Bioraffinerien auszubauen.
Der Hauptzweck von Kläranlagen ist die Reinigung der Abwässer und Wiedergewinnung von nutzbarem Wasser. Vor dem Hintergrund des menschengemachten Klimawandels und der weltweiten ökologischen Krise richtet sich der Blick aber zunehmend auch auf die im Abwasser enthaltenen Rohstoffe und ihre Rückgewinnung. Dabei ist es das Ziel, Kläranlagen als Bestandteile einer nachhaltigen Kreislaufwirtschaft zu Bioraffinerien zu transformieren, aus denen die im Abwasser und Klärschlamm enthaltenen essenziellen Rohstoffe wie Stickstoff und Phosphor zurückgewonnen und wiederverwendet werden können. „Solche Bioraffinerien werden Bestandteile einer zirkulären Bioökonomie sein, in der die sogenannten Reststoffe zurückgeführt und erneut raffiniert werden können, um diese Wertstoffe möglichst lange zirkulär in einer neuen Form von Kreislaufwirtschaft zu halten“, erklärt Dr. Marius Mohr, Leiter des Innovationsfeldes Wassertechnologien und Wertstoffrückgewinnung am Fraunhofer-Institut für Grenzflächen- und Bioverfahrenstechnik IGB in Stuttgart. In ihrer Funktion als Bioraffinerien leisten Kläranlagen damit sowohl einen Beitrag zur Rohstoffsicherheit als auch zum Klimaschutz.
In dem im Rahmen des europäischen Strukturfonds EFRE vom Ministerium für Umwelt, Klima und Energiewirtschaft Baden-Württemberg geförderten Pilotprojekt RoKKa (Rohstoffquelle Klärschlamm und Klimaschutz auf Kläranlagen) erproben Forschende Verfahren zur effizienten und ökonomischen Rückgewinnung von Stickstoff- und Phosphorverbindungen aus Abwasser für die Erzeugung von Düngemitteln. Das von Mohr am Fraunhofer IGB koordinierte Verbundprojekt ist eines von fünf Bioraffinerieprojekten im Rahmen des vom Land Baden-Württemberg zusammen mit der EU-Kommission aufgelegten EFRE-Förderprogramms „Bioökonomie Bio-Ab-Cycling“. EFRE ist der Europäische Fonds für regionale Entwicklung, durch den der wirtschaftliche, territoriale und soziale Zusammenhalt innerhalb der EU unterstützt wird. Neben dem Fraunhofer IGB sind an RoKKa neun weitere Partner aus Wissenschaft, Wirtschaft und öffentlicher Hand beteiligt. Dazu gehören auch die Stadt Erbach (Donau) und der Zweckverband Klärwerk Steinhäule als Betreiber der Kläranlagen im Großraum Ulm, an denen die RoKKa-Pilotanlagen zur Wertstoffrückgewinnung aus dem Klärschlamm demonstriert werden. Die Laufzeit des Ende 2021 begonnenen Projektes ist zunächst bis zum 31. März 2024 befristet.
Rückgewinnung von Stickstoff und Phosphor
In Kläranlagen werden die in hohen Konzentrationen im Abwasser vorhandenen Stickstoff- und Phosphorverbindungen üblicherweise durch biologische Reinigung entzogen. Dabei wird in nacheinander geschalteten Klärbecken unter abwechselnd anaeroben (ohne Sauerstoff) und aeroben (mit Sauerstoff) Bedingungen der Phosphor und ein Teil des Stickstoffs von Mikroorganismen aufgenommen, die sich im Klärschlamm absetzen. Ein Großteil des als Nitrat gebundenen Stickstoffs wird durch Mikroorganismen im Prozess der anaeroben Denitrifikation in Stickstoffgas (N2) umgewandelt und in die Atmosphäre abgegeben. Bei der aeroben Nitrifikation entsteht im Zuge der dafür erforderlichen Belüftung des Klärbeckens jedoch auch Lachgas (N2O), ein die Ozonschicht der Atmosphäre schädigendes Treibhausgas mit einem 300-fach stärkeren klimaschädlichen Potenzial als Kohlenstoffdioxid. Die Bedeutung der Lachgasemissionen aus Kläranlagen ist einer neuen Studie des schweizerischen Wasserforschungsinstituts Eawag zufolge bisher stark unterschätzt worden. Deshalb wird im Pilotprojekt RoKKa auch gemessen, wie stark sich eine Stickstoffrückgewinnung aus dem Klärschlamm auf die Klimabilanz der Kläranlagen auswirkt.
An sechs neuen Pilot- und Demonstrationsanlagen erproben die am Projekt beteiligten Forschenden, wie aus den Abwasserströmen Stickstoff und Phosphor als Rohstoffe zur Herstellung von Düngemitteln rückgewonnen werden können. Bei der Biogasfaulung entstehendes CO2 wird mithilfe einer Aminosäurelösung abgefangen und für die Photosynthese von Mikroalgen verwendet, die die im Abwasser enthaltenen Nährstoffe nutzen. Die Algenbiomasse wird als umweltschonendes Pflanzenstärkungsmittel und zur Bodenverbesserung, beispielsweise im Weinbau, verwendet. Überschüssiges CO2 wird in einer Elektrosyntheseanlage in Formiat (HCOO-) umgewandelt, einen Grundstoff der chemischen Industrie.
Mit ePhos®, einem neuartigen, vom Fraunhofer IGB entwickelten und patentierten elektrochemischen Verfahren, werden aus dem Abwasser unter vollständigem Verzicht auf Chemikalien Phosphat und Ammonium als Struvit (Ammonium-Magnesium-Phosphat) ausgefällt. Das dafür benötigte Magnesium wird in einer Elektrolysezelle über eine sogenannte Opferanode (die sich selbst im Prozess verbraucht) zugegeben. Struvit kann direkt als wertvoller, in der Landwirtschaft begehrter Langzeitdünger eingesetzt werden. Der Stickstoff wird aus dem Schlammwasser als Ammonium in zwei Anlagen abgetrennt - zum einen mit sogenannten Membrankontaktoren nach dem Prinzip der Membran-Gasabsorption (AmmoRe), zum anderen nach dem Prinzip der Membrandestillation.
Ausbau von Kläranlagen zu nachhaltigen Bioraffinerien
Zusammengenommen bilden die sechs Pilotanlagen des RoKKa-Projekts eine Grundlage dafür, Kläranlagen nicht nur als Rohstoffquellen zu erschließen, sondern sie nach den Prinzipien der zirkulären Bioökonomie im Sinne einer nachhaltigen Kreislaufwirtschaft zu Bioraffinerien zu transformieren. Die Effizienz der Anlagen wird an der Kläranlage Erbach (Donau) anhand der Produktion von Wertstoffen unter realen Bedingungen aus in einer Hochlastfaulung behandeltem Klärschlamm demonstriert. „Bereits 2016 sind wir mit dem Bau einer Hochlastfaulung auf unserer Kläranlage den ersten Schritt Richtung Bioökonomie gegangen“, erklärt Thomas Schniertshauer vom Stadtbauamt Erbach. „Nun sind wir stolz darauf, unsere Kläranlage zu einer nachhaltigen Bioraffinerie auszubauen.“ Das Einzugsgebiet dieser Kläranlage umfasst die Stadt Erbach südwestlich von Ulm und ihre Nachbargemeinden Hüttisheim und Oberdischingen mit zusammen etwa 18.000 Einwohnerinnen und Einwohnern.
In einem weit größeren Maßstab könnte das RoKKa-Konzept zur Rohstoffrückgewinnung und nachhaltigen CO2-Verwertung im Zweckverband Klärwerk Steinhäule umgesetzt werden. Über dieses Klärwerk werden die Abwässer von etwa 220.000 Einwohnerinnen und Einwohnern des Großraums Ulm sowie Industrie- und Gewerbeabwässer gereinigt, die noch einmal der gleichen Einwohnerzahl entsprechen (sogenannte Einwohnergleichwerte). Insgesamt werden in der 25 ha großen Anlage des Zweckverbandes 40 Mio. Kubikmeter gereinigtes Abwasser und 6,1 Mio. kWh Energie pro Jahr erzeugt. 200 t Phosphor können in Steinhäule jährlich aus dem Klärschlamm gewonnen werden. Bei der konstituierenden Sitzung des Zweckverbandes Klärschlammverwertung Steinhäule im September 2019 erklärte der Vorsitzende Gunter Czisch, zugleich Oberbürgermeister der Stadt Ulm: „Phosphor ist ein knapper und zugleich nicht ersetzbarer Rohstoff, der für die Nahrungsmittelproduktion unverzichtbar ist. Berechnungen zufolge kann das im Klärschlamm enthaltene Phosphat rund 40 Prozent der deutschen Rohphosphatimporte ersetzen.“ Der Oberbürgermeister verwies darauf, dass man mit diesem Phosphatrecycling auch der von Bundeskabinett und Bundestag 2017 verabschiedeten Novellierung der Klärschlammverordnung entspricht, die für Großanlagen eine Rückführung des Phosphors in den Wirtschaftskreislauf in der Zukunft vorschreibt. Die Klärschlammausbringung zu Düngezwecken soll beendet und damit der Eintrag schädlicher Phosphor- und Stickstoffkonzentrationen in den Boden verringert werden.
Am Projekt „RoKKa – Rohstoffquelle Klärschlamm und Klimaschutz auf Kläranlagen“ sind folgende Partner beteiligt:
Fraunhofer IGB Stuttgart (Koordination), Stadt Erbach, Donau, Umwelttechnik BW GmbH Stuttgart, Universität Stuttgart, Universität Kassel, TU Kaiserslautern, Deukum GmbH Frickenhausen, Nanoscience for life GmbH & Co. KG Wiesbaden, SolarSpring GmbH Freiburg und ZV Klärwerk Steinhäule Ulm.
Das Programm wird durch den europäischen Strukturfonds EFRE und das Ministerium für Umwelt, Klima und Energiewirtschaft Baden-Württemberg gefördert.