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Kraftstoff aus CO2 – dezentrale Kompaktanlagen für emissionsfreie Mobilität

Treibhausgase wie CO2 und Methan nutzen, um Autos zu betanken? Was wie ein Wunschgedanke klingt, ist bei INERATEC Realität. Ausgestattet mit einer einzigartigen chemischen Reaktortechnologie finden die mobilen Kompaktanlagen weltweit Interesse. So wird eine CO2-freie Mobilität im Straßenverkehr und für die Luft- und Schifffahrt ermöglicht. Ist der Markteintritt bereits erfolgreich?

Der Verkehr ist verantwortlich für rund ein Fünftel der klimaschädlichen Emissionen1,2. Elektroantriebe sind nur dann eine echte Lösung, wenn sie aus erneuerbaren Energien gespeist werden. INERATEC, ein Spin-off des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT), hat eine Alternative, insbesondere für den Langstreckenverkehr, entwickelt. Der Clou: Das Verfahren ist überall einsetzbar, wo erneuerbare Energie anfällt, und kann auf naturbedingte Versorgungsschwankungen flexibel reagieren.

Die Idee zur Weltneuheit

Gründer und Geschäftsführer von INERATEC GmbH, einem Unternehmen zu Energieausrüstung und -lösungen in Karlsruhe und Ausgründung vom Karlsruher Institut für Technologie
Die Geschäftsführer von INERATEC: Philipp Engelkamp, Dr.-Ing. Paolo Piermartini, Dr.-Ing. Tim Böltken (v.l.n.r.) © INERATEC GmbH

Mit regenerativen Energiequellen wie Sonnen-, Windenergie oder Wasserkraft stellt das Karlsruher Start-up aus COsynthetische Kraftstoffe mit höchster Energiedichte her. Dazu wird in einem ersten Schritt, der Elektrolyse, Wasserstoff aus erneuerbarer Elektrizität erzeugt und dann gemeinsam mit COSynthesegas hergestellt. Dieses wird anschließend via Fischer-Tropsch-Synthese zu Kohlenwasserstoffen umgesetzt, die sich zu synthetischen Kraftstoffen wie Benzin, Kerosin oder Diesel (E-Fuels, PowerFuels) für eine CO2-neutrale Mobilität umwandeln lassen. Bei der Verbrennung entsteht zwar CO2.. Dieses wurde aber zuvor der Atmosphäre entnommen, dadurch wird ein Kreislauf aufgebaut. Zudem können feste Kohlenwasserstoffe unter anderem für die chemische Industrie hergestellt werden. Das Besondere: Die Anlagen für den kompletten Prozess sind aufgrund einer innovativen Reaktortechnik auf ein Kompaktformat geschrumpft und können in Standard-Schiffscontainer integriert werden, die mobil und weltweit einsetzbar sind. Im Vergleich zu chemischen Großanlagen sind die Prozesse in maßgeblich kürzerer Zeit umsetzbar und kosteneffizient.

„Kernpunkt unserer Idee ist, schädliche Umweltgase in flüssige Energieträger umzuwandeln und dadurch eine nachhaltige Mobilität und chemische Industrie zu gestalten.“ Dr.-Ing. Tim Böltken hat mit den beiden weiteren Gründern Philipp Engelkamp und Dr.-Ing. Paolo Piermartini bereits 2015 das Potenzial der dezentralen Erzeugung flüssiger Energieträger aus Gasen erkannt und seit Ausgründung vom KIT im Jahr 2016 die Weichen gestellt. Das Herzstück, der nur rund 50 cm3 große Reaktor, weist in seinem Inneren eine ausgefeilte Mikrostruktur mit riesiger Oberfläche auf. Sie entspricht der Größe von drei Fußballfeldern und ist Ort der Fischer-Tropsch-Synthese. „Wir können je nach Kundenwunsch die Module nach dem Baukastensystem konzipieren und vervielfältigen oder sogar mehrere Container aufstellen.“

Für die erfolgreichen Verfahren, CO2 in klimaneutralen Sprit umzuwandeln, und die Idee, die dezentralen Anlagen wie Autos in Serie zu bauen, erhielt INERATEC unter anderem den Deutschen Gründerpreis 2018. Aktuell hat das Karlsruher Unternehmen über zehn Pilot- bzw. Prozessanlagen verkauft, die verschiedene Ziele verfolgen, jedoch alle mit dem Kernpunkt Dezentralisierung. „Die Zukunft sind keine großen Kraftwerke, sondern lokal verfügbare Energien wie Solarstrom, Wind- und Wasserkraft oder Energien aus Biogas- und Kläranlagen“, so der promovierte Chemieingenieur. „Ein zentrales Problem der Energiewende ist die fehlende Energiespeicherung. Genau hier setzen wir an. Unsere Anlagen können dort stehen, wo bisher ungenutzte Energien und Rohstoffe anfallen, und diese in Form von flüssigen und festen Kohlenwasserstoffen speichern.“

Flüssiger Kraftstoff aus erneuerbaren Stromquellen

Power-to-Liquid-Anlage von INERATEC, Karlsruhe, zur Erzeugung von synthetischem Kerosin (e-Kerosin®) aus erneuerbarem Strom und CO<sub>2</sub>
Power-to-Liquid-Anlage am Energy Lab 2.0, Campus Nord des Karlsruher Instituts für Technologie © INERATEC GmbH

Im schweizerischen Laufenburg werden mit der EnBW-Tochter Energiedienst Holding AG und der Audi AG klimaneutrale Kraftstoffe direkt am Wasserkraftwerk erzeugt3. Das Power-to-Liquid-Projekt ist in dieser Form eine Weltneuheit: Überschussstrom aus Wasserkraft kann gespeichert werden und in Form von E-Fuels Fahrzeuge mit herkömmlichen Verbrennungsmotoren antreiben. Die Anlage aus drei Containern und einem Trafohaus hat eine Kapazität von ca. 500.000 Litern synthetischem Kraftstoff pro Jahr, ca. 1.000 Tonnen COwerden dazu „recycelt“. Da dies aus Abgasen von biogenen Anlagen stammt, verbrennt der produzierte E-Diesel klimaneutral. Ein weiterer Vorteil: Die strombasierten flüssigen Kraftstoffe enthalten keine Schadstoffe, sie verbrennen nahezu schwefelfrei. Zusätzlich entsteht durch den Prozess Wärme, die für Industrieanlagen und zur Wärmeversorgung genutzt werden kann.

INERATEC hat bereits 2016 in Finnland eine Pilotanlage in Betrieb genommen, um das Verfahren im dezentralen Maßstab als zukunftsweisende Technologie öffentlich zu demonstrieren. Eine weitere Power-to-Liquid-Anlage in Karlsruhe, im Zuge des sogenannten Energy Lab 2.0 aufgebaut, soll aus erneuerbarem Strom und COsynthetisches Kerosin (e-Kerosin®) erzeugen.

Gewinnbringend nutzen statt umweltschädlich verbrennen

Im Gas-to-Liquid-Verfahren können erneuerbare methanhaltige Gase sowie fossile Begleit- und Überschussgase in synthetische Kohlenwasserstoffe umgewandelt werden. Methan wird unter anderem als Nebenprodukt der Öl- und Gasförderung frei und verbrannt, vor allem dann, wenn die Kosten für Aufbereitung und Transport den zu erwartenden Erlös übersteigen. Mit Satellitendaten konnte ausgewertet werden, dass 2013 weltweit ca. 150 Mrd. Kubikmeter Erdölbegleitgas abgefackelt wurden, entsprechend ca. 30 % des Gasverbrauchs der Europäischen Union4,5. Das Verfahren von INERATEC ermöglicht es perspektivisch, diese Fackelgase nicht abzubrennen, sondern speicherbare und transportierfähige langkettige Kohlenwasserstoffe daraus herzustellen. Auch erneuerbare Klär-, Deponie- und Biogase, die bisher im Blockheizkraftwerk ungenutzt verbrannt werden, können in Kraftstoffe mit einer sehr hohen Energiespeicherfähigkeit transformiert werden.

Power-to-Gas – Zielscheibe Überschuss

In Zeiten mit viel Wind und Sonne ist elektrische Energie im großen Maßstab verfügbar. „Mit nicht eingespeistem Strom erzeugen wir in unserem Power-to-Gas-Verfahren aus elektrolytisch erzeugtem Wasserstoff und klimaschädlichem CO2 hochwertiges synthetisches Erdgas“, so Böltken. So kann Strom langfristig in chemischen Energieträgern gespeichert oder in bestehende Pipelines eingespeist werden.

Ein geschlossener Kohlendioxid-Kreislauf – darauf setzt INERATEC auch mit dem spanischen Energie-Unternehmen Naturgy in der 2018 in Barcelona errichteten Anlage. Sie nutzt Windstrom sowie CO2 aus Klärschlamm. Das produzierte erneuerbare Gas kann in der Gasinfrastruktur gespeichert und in ganz Spanien transportiert werden.

Nicht auf dem Boden geblieben: Synthetische Kraftstoffe für den Luftverkehr

Fliegen ist energieintensiv. Sowohl für den Luft- als auch Schiffsverkehr ist Elektromobilität für lange Strecken nicht absehbar. Das KIT erarbeitet gemeinsam mit INERATEC und weiteren Partnern aus Industrie und Forschung im Verbundprojekt „Kopernikus 2PX" eine Lösung: Durch die „Direct-Air-Capture“-Filteranlage der Firma Climeworks wird Umgebungsluft angesaugt und das CO2 an einen chemischen Filter gebunden. Mit regenerativem Wasserstoff aus der Elektrolyse-Technologie von Siemens wird Synthesegas, in einem zweiten Schritt nahezu klimaneutraler Kraftstoff erzeugt. In der dreijährigen Pilotphase sollen zunächst 200 bis 300 Liter Kraftstoff am Tag produziert werden, in der vorindustriellen Anlage werden dann rund 2.000 l/Tag erzielt. Das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt untersucht die Qualität der synthetischen Treibstoffe, die Verbundpartner Siemens, Bauhaus Luftfahrt und die TU Hamburg-Harburg analysieren – simulationsgestützt und basierend auf Strommarktdaten – die Energiesysteme. Das seit Ende 2018 laufende Projekt wird vom BMWi gefördert.

„Für uns ist wichtig, die Energiewende entscheidend voranzubringen“, so Böltken. Das enorme Potenzial der Technologie von INERATEC haben auch viele Institutionen weltweit erkannt. Zukünftig sollen INERATEC-Anlagen in Brasilien, Malaysia und Kanada starten. Auch Silicon Valley hat Interesse bekundet. „Wir wünschen uns, den Wachstumskurs fortsetzen zu können, sowohl hierzulande als auch international.“ Dazu sucht das Unternehmen aus Karlsruhe weitere Kunden, Investoren für die Technologie und Unterstützer. Tim Böltken legt dafür einen entscheidenden Fokus auf die Produktion. „Auch wenn wir Marktreife erreicht haben, wollen wir effizienter produzieren, um noch kostengünstigere Anlagen anbieten zu können.“ Der Grundstein ist gelegt, die Fortentwicklung bleibt spannend. Denn: Je flexibler die Nutzung erneuerbarer Ressourcen funktioniert, desto effizienter wird das gesamte Energiesystem.

Literatur:

https://www.umweltbundesamt.de/themen/klima-energie/klimaschutz-energiepolitik-in-deutschland/treibhausgas-emissionen/die-treibhausgase und      https://www.umweltbundesamt.de/daten/klima/treibhausgas-emissionen-in-deutschland/kohlendioxid-emissionen#textpart-1

PM KIT 12/19, und https://www.ndr.de/ratgeber/Klimagase-Deutschland-stoesst-zu-viel-CO2-aus,kohlendioxid146.html=Bundesumweltministerium 2016

https://www.energiedienst.de/produktion/wasserstoff/power-to-liquid/

Peggy Schulz, Verena Leckebusch, Jürgen Messner, Harald Andruleit: Nutzen statt Abfackeln von Erdölbegleitgas – Chancen und Herausforderungen für Entwicklung und Treibhausgasminderung. Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR), Hannover 2013

Nicola Armaroli, Vincenzo Balzani, Nick Serpone: Powering Planet Earth. Energy Solutions for the Future. Weinheim 2013, S. 36.

Seiten-Adresse: https://www.biooekonomie-bw.de/fachbeitrag/aktuell/kraftstoff-aus-co2-dezentrale-kompaktanlagen-fuer-emissionsfreie-mobilitaet