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Mit programmierbaren Bakterien „Holz“ neu erfinden
Möbel und andere Gegenstände aus holzähnlichem Material mithilfe von Mikroorganismen herstellen und damit die zwar nachwachsende, aber dennoch endliche Ressource Holz schonen: Dies erarbeitet ein Team von Forschenden der Universität Freiburg und des Leibniz Instituts für Neue Materialien (INM) in Saarbrücken im Projekt DELIVER. Ziel ist eine Datenbank mit hunderten Materialien unterschiedlichster, kontrollierbarer Eigenschaften, die je nach gewünschter Anwendung aus Holzabfällen hergestellt werden können.
Was sich fantastisch anhört, funktioniert tatsächlich: In Vorarbeiten konnten Forschende des Exzellenzclusters CIBSS – Centre for Integrative Biological Signalling Studies der Universität Freiburg mithilfe von Ansätzen der Synthetischen Biologie bereits zeigen, dass es möglich ist, Bakterien so zu programmieren, dass sie Proteine bilden, mit denen aus Holzabfällen – etwa Sägespänen oder landwirtschaftlichen Reststoffen – holzähnliche Materialien hergestellt werden können. Die daraus entstehenden Biokomposite sind damit zu 100 Prozent natürlichen Ursprungs – also nachhaltig, recycelbar und beinhalten zudem biologisch unbedenklich abbaubare Klebstoffe – und können je nach Anwendung mit den gewünschten Materialeigenschaften kontrolliert erzeugt werden.
Dass dies keine biologische Spielerei ist, sondern dringend nötig, zeigen uns vor allem die letzten Jahre: Holz ist zwar ein nachwachsender Rohstoff und Wälder machen in Deutschland gut ein Drittel der Fläche aus. Allerdings ist diese Ressource begrenzt und noch dazu durch den Klimawandel zunehmend bedroht.
Andererseits gilt Holz als eines der Materialsysteme der Zukunft und ist derzeit schon einer der meistgenutzten natürlichen Werkstoffe. Auch aus Holz hergestellte Verbundwerkstoffe machen im Bau- und Möbelbereich einen entscheidenden Anteil aus. Eine ökologisch verträglichere Alternative zu diesen herkömmlichen Holzverbundstoffen, die ebenso multifunktional und robust mit entsprechenden mechanischen Eigenschaften sind, wäre äußerst wünschenswert. Aus diesem Grund wird schon seit einiger Zeit an nachhaltigeren Möglichkeiten geforscht, etwa an pilzbasierten Alternativen. Nachteil war bisher – ebenso wie die begrenzten Eigenschaften – die lange Wachstumsperiode.
Aus Bakterien und Holzabfällen wird neuer Werkstoff für Möbel und mehr
Am Institut für Biologie der Universität Freiburg und am CIBSS forscht die Arbeitsgruppe Synthetische Biologie von Prof. Dr. Wilfried Weber, welche im Sommer ans INM nach Saarbrücken zieht, schon seit Jahren an Biomaterialien, zunächst an Hydrogelen und Nanomaterialien für die Diagnostik. „Auf diesem Gebiet sind programmierbare Organismen und optisch steuerbare Eigenschaften am Institut schon gut etabliert“, berichtet Dr. Manuel Finkbeiner, Postdoc in Webers Team. „Warum nicht übertragen auf Baumaterialien, stellte sich die Frage? Also beides kombinieren – die synthetische Biologie und den Werkstoff Holz -, um daraus ein biologisches Verbundmaterial zu entwickeln.“
Vor diesem Hintergrund entstand die Idee für ein groß angelegtes Projekt zur Entwicklung von neuen nachhaltigen, holzbasierten Materialien an der Universität Freiburg: DELIVER (Data-driven Engineering of Sustainable Living Materials), an dem die Exzellenzcluster CIBSS und livMatS (Living, Adaptive and Energy-autonomous Materials Systems) mit zahlreichen Forschenden beteiligt sind. Am Ende sollen Bioverbundstoffe stehen, deren Eigenschaften maßgeblich von programmierbaren Mikroorganismen im Material beeinflusst werden. Damit kann nicht nur die Ressource Holz, sondern auch die Umwelt geschont werden. Denn der neue holzähnliche Werkstoff entsteht mit bakteriellen Proteinen als Klebstoff auf einer völlig biologischen Basis und kann nach Gebrauch komplett recycelt werden. Die biologischen Klebstoffe bauen sich in der Natur bedenkenlos ab, oder das gesamte Produkt kann problemlos der thermischen oder biologischen Verwertung zugeführt werden. Ganz im Gegensatz zu vielen bisherigen Werkstoffen aus Holz, in denen Kleber auf petrochemischer Basis verarbeitet sind und die dann als Sondermüll gelten.
Mithilfe von Optogenetik Materialeigenschaften steuern
Ausgangsstoff für das neuartige Holzmaterial sind Reststoffe: „Bisher haben wir Späne aus Fichtenholz sowie eine Mischung aus Buchen- und Eschenholz getestet, die z. B. im Sägewerk anfallen“, berichtet Rosanne Schmachtenberg, Doktorandin aus Webers Arbeitsgruppe. Die Späne werden zunächst gesiebt, sodass eine einigermaßen homogene Fraktion entsteht. Dann werden lebende Zellen dazugegeben – als Beispiel: Bakterien der Spezies Escherichia coli -, die so programmiert wurden, dass sie den notwendigen „Kleber“ auf Naturbasis herstellen und die Holzfasern zu einem neuen Werkstoff vernetzen. „Das sieht in etwa so aus wie nasser Sand“, erklärt Johannes Falkenstein, Wissenschaftler im Team. „Diese Mischung kann man in beliebig große Formen pressen. Dann wird das Ganze im Backofen oder Trockenschrank getrocknet, wobei das Material aushärtet und die Bakterien abgetötet werden. Heraus kommt ein Material, das ähnlich aussieht wie eine Pressspanplatte.“
Hinzu kommen weitere Variationsmöglichkeiten durch Methoden der Optogenetik: „Je nach Wellenlänge des Lichts und eingesetztem Fotorezeptor lässt sich die Genaktivität der Mikroorganismen so beeinflussen, dass man die Materialeigenschaften des Produkts steuern kann. Man kann die Objekte auch nur teilweise dem Licht aussetzen und erhält dann Zonen mit unterschiedlichen Eigenschaften, also ein anisotropes Material“, erklärt die Doktorandin. „Das heißt, dann könnte der beleuchtete Teil fester, der unbeleuchtete Teil poröser ausfallen.“ So ist die Anzahl der Variationsmöglichkeiten je nach Wahl und Kombination der Versuchsbedingungen enorm groß.
Das Ergebnis ist ein stabiles und sehr nachhaltiges holzähnliches Material für vielerlei Anwendungen. So sind in den Vorarbeiten schon eine Reihe von Demonstratoren für Gegenstände des Alltags entstanden, beispielsweise ein Hocker oder ein Schrank. „Derzeit testen wir Formen für größere Bretter und arbeiten auch mit lokalen Schreinereien zusammen, die testen, was man noch alles daraus machen könnte“, sagt Falkenstein.
Künstliche Intelligenz behält den Überblick – Variationsmöglichkeiten enorm
Dank DELIVER soll es aber nicht nur bei den Vorarbeiten bleiben: Im Projekt soll nun eine Vielzahl an Bedingungen, etwa für Bakterienwachstum und optogenetische Steuerung, aber auch verschiedene Mikroorganismenspezies oder Holzabfälle getestet werden. „Wir wollen verschiedene Bakterien, aber auch Hefen untersuchen und herausfinden, was sich am besten eignet“, berichtet Finkbeiner. „Vielleicht erweist sich ja auch eine Mischung als besonders produktiv. Wir starten nun sehr viele Kombinationsexperimente.“
Die geplante Zahl an Experimenten und die damit einhergehenden Möglichkeiten, also Versuchsbedingungen und die damit verknüpften Materialeigenschaften, sind enorm. Damit die Forschenden hier den Überblick behalten, kommen Methoden des maschinellen Lernens zum Einsatz, um durch Modelle neue Materialeigenschaften vorherzusagen, Beziehungen zwischen genetischem Programm und Materialeigenschaft zu dokumentieren, aber auch die Experimente sinnvoll zu planen. „Am Ende soll eine Materialbibliothek mit allen möglichen Kombinationen entstehen, aus der man dann passgenau ermitteln kann, was man für die gewünschte Anwendung braucht“, so der Postdoc. „Dadurch kann man die Materialien ganz gezielt und passgenau herstellen.“ Die Bioverbundwerkstoffe werden sich in einer ganzen Reihe von Eigenschaften unterscheiden, etwa in der Härte, Flexibilität oder auch in der Farbe. „Das kann man theoretisch weit treiben“, meint er. „Denkbar wären auch ganz spezifische Eigenschaften, z. B. in Form von feuerfesten Materialien oder Beschichtungen.“
Konkret stehen nun erst einmal logistische Arbeiten an. „Wir sind noch relativ am Anfang“, so Finkbeiner. „Jetzt werden zunächst Abläufe entwickelt, vor allem mit den anderen Gruppen. Viele Fragen sind zu klären: Beispielsweise, wie Materialien übergeben oder Ergebnisse kommuniziert werden.“ Es werde aber in jedem Fall am Ende des Projekts ein konkretes, praxistaugliches Material stehen, so die Forschenden: „Bestimmt noch nicht im großen Maßstab, aber das System soll in Grundzügen erarbeitet sein. Und wir sind natürlich im Gespräch mit der Möbel- und Biotechnologieindustrie, um auszuloten, welche Felder am besten zu uns passen würden und welche Anwendungen sich für die Zukunft noch anbieten.“
Infobox: Projekt DELIVER – Data-driven Engineering of Sustainable Living Materials
Laufzeit: Januar 2023 – Dezember 2024
Beteiligte Arbeitsgruppen und Institutsleiter:
- Prof. Dr. Wilfried Weber (Koordination), ehemals Synthetische Biologie und Exzellencluster CIBSS Freiburg, jetzt Geschäftsführer am INM-Leibniz-Institut für Neue Materialien, Saarbrücken und Professor an der Universität des Saarlandes sowie Gastwissenschaftler an der Universität Freiburg.
- Prof. Dr. Thomas Speck, Institut für Biologie II Arbeitsgruppe Botanik - Funktionelle Morphologie und Bionik Albert-Ludwigs-Universität Freiburg sowie Exzellencluster livMatS
- Dr. Clemens Kreutz, Methoden der System-Biomedizin (MSB) am Institut für Medizinische Biometrie und Statistik (IMBI) am Universitätsklinikum Freiburg
- Dr. Tom Masselter, Institut für Biologie II Arbeitsgruppe Funktionelle Morphologie und Bionik Albert-Ludwigs-Universität Freiburg
Gefördert von der Carl-Zeiss-Stiftung im Programm CZS Wildcard für unkonventionelle Forschungsprojekte von interdisziplinären Gruppen.