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Paludikultur als Hoffnungsträger fürs Klima

Moore als CO2-Speicher: renaturieren und gleichzeitig wirtschaften

Moore speichern mehr Kohlenstoffdioxid als jedes andere Ökosystem der Welt. Durch Trockenlegung werden sie jedoch zur klimaschädlichen CO2-Quelle. Spannende Lösungen zeigt die Bewirtschaftung nasser Moore, mit Marktpotenzialen in den Bereichen Nahwärme, Isolierung, Verpackung bis hin zu Torfersatz.

Natürliche Moore sind besonders wichtige Speicher und Senken für CO2. Alle Moore weltweit binden ein Drittel des gesamten Boden-Kohlenstoffs. Durch Entwässerung – in Deutschland zu 95 Prozent – werden sie allerdings zur CO2-Quelle. Grund für die Trockenlegung: Flächengewinnung für die Landwirtschaft sowie für Wirtschaftswälder und Bebauung. Zudem wird Torf als Substrat für den Garten-, Obst- und Gemüsebau abgebaut.

Im europaweiten Vergleich hat Deutschland neben Norwegen den größten CO2-Ausstoß aus Torfgebieten. Die Bundesregierung hat erkannt, dass Moorschutzmaßnahmen einen wichtigen Beitrag zum Schutz von Klima, biologischer Vielfalt sowie Grundwasser leisten. Allein in Mecklenburg-Vorpommern verursachen die entwässerten Moore jährlich über 1 Mrd. Euro Klimafolgen-Schadenskosten.1)

Win-win: wirtschaften auf renaturierten Mooren

Moorlandschaft mit Erntemaschine auf Gräsern, Moosen und Wasserflächen, Vögel und Gräser im Hintergrund
Moor mit Paludikultur: Nach Wiedervernässen kann eine klimaschonende Landwirtschaft auf nassen Moorböden betrieben werden, der Kohlenstoff bleibt im Boden dauerhaft gebunden.
Quelle: Greifswald Moor Centrum, Illustration: Sarah Heuzeroth, CC BY-NC-ND, https://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/2.0/de/

Das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz (BMUV) hat deshalb das Aktionsprogramm Natürlicher Klimaschutz (ANK) bekanntgegeben, in dem Wiedervernässung eine große Rolle spielt.2) Landwirtschaftliche Betriebe sollen laut der neuen Moorschutzstrategie3) finanzielle Anreize für entsprechende Maßnahmen erhalten. Auch der Ausbau von Photovoltaik-Anlagen auf wiedervernässten Moorböden wird gefördert. Dass Landwirte nicht allein gelassen werden, ist Dr. Franziska Tanneberger, Leiterin des Greifswald Moor Centrums, besonders wichtig: „Subventionen sollten so umgestaltet werden, dass klima- und umweltschützende Instrumente davon profitieren und die Landwirte bei der Transformation unterstützt werden.“

Konventionelle Landwirtschaft auf ehemaligen Mooren ist nicht ertragreich, was am feuchten, sauerstoffarmen Milieu liegt. Und obwohl Moorböden nur 7 Prozent der landwirtschaftlichen Fläche in Deutschland ausmachen, stammen daraus 37 Prozent der landwirtschaftlichen CO2-Emissionen.1) Ein überproportionaler Anteil, doch wohin damit? Zurück ins Moor – könnte den Kern der Sache beschreiben. „Durch Wiedervernässung lässt sich im Agrarbereich eine erhebliche CO2-Minderung erzielen und gleichzeitig innovative Landwirtschaft betreiben“, so Tanneberger. Der Lösungsansatz heißt Paludikultur, die landwirtschaftliche Nutzung nasser Moore.

Dämmmaterial, Reetdächer und Zellstoffersatz

Schilfpflanzen bilden ohne spezielle Kultivierung im feuchten Moor dichte Bestände, zudem kann mehrmals geerntet werden. Nach Ernte und Trocknung lässt sich z. B. die Biomasse von Feuchtwiesen mit Seggen (Sauergrasgewächsen) verbrennen, um Nahwärme zu erzeugen. Rohrkolben wiederum haben eine ganz besondere Eigenschaft: Durch die großen Zellen im Stängel eignen sie sich als Isolationsmaterial. „Erste Firmen haben sich darauf spezialisiert, Naturbaustoffe wie Dämmplatten und Leichtbauelemente zu produzieren“, so die Wissenschaftlerin der Universität Greifswald. Die Vorteile: Die nachwachsende Sumpfpflanze ist schimmel- und druckresistent, hochdämmend, energiearm in der Herstellung und komplett recycelbar. Bei der Herstellung werden die dicken, leichten Blätter gekürzt, mit mineralischem Kleber besprüht und heißgepresst. Je nach Produktwunsch lassen sich Dämmeigenschaften und Druckfestigkeit dabei anpassen.

a) grünes Schilfrohr, b) trockene, braunes Schilfrohr, c) Erntemaschine und Arbeiter, die braune Schilfrohrbündel auf den Traktor werden
Schilfrohr (auch Schilf bezeichnet), eine Pflanzenart der Familie der Süßgräser, wächst auf feuchten Mooren; a) Schilf im Frühsommer, b) Schilfbestand im Winter, c) Ernte von Schilf für Dachreet. © Tobias Dahms / Greifswald Moor Centrum

Schilfrohr kommt auch für Reetdächer zum Einsatz. Das Erstaunliche: Der Bedarf kann hierzulande nicht gedeckt werden, der größte Teil wird aus Polen, Rumänien und China importiert. „Rohrkolben, der gleichzeitig viel Kohlenstoff fixiert und als Ressource gebunden hält, kann viele Märkte bedienen“, so Tanneberger. Erste Anfragen von Unternehmen gibt es bereits, nicht nur aus dem Energie- und Bausektor. Auch für die Zellstoffindustrie zur Papierherstellung und die Verpackungsbranche ist die biegefeste Pflanze als Rohstoff interessant. Von Natur aus durch Gerbstoffe feuchtigkeitsresistent, leicht und ökologisch, kann sie Kunststoffe dieser Branche vielfach ersetzen. Ein Nebeneffekt kann dabei zum Schauplatz pur werden: Flächen mit Sauergräsern bieten Lebensraum für seltene Tiere und Pflanzen.

Im vom Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) geförderten Projekt Paludi-PRIMA4) suchen Forschende nach geeigneten Pflanzenarten und ermitteln die optimale Bestandsführung auf einer acht Hektar großen Anbaufläche. Unter der Leitung von Prof. Dr. Dr. Hans Joosten, dem Träger des Deutschen Umweltpreises 2021, werden dabei auch Empfehlungen für landwirtschaftliche Betriebe, Behörden und die Politik erarbeitet.

Die 2021 ins Leben gerufene Initiative toMOORow der Umweltstiftung Michael Otto und der Michael Succow Stiftung5) beispielsweise setzt sich für funktionierende ökonomische Anreizsysteme ein: Sie zeigt nicht nur, wie man Moore zur CO2-Reduktion wiedervernässt und die Biodiversität fördert, sondern auch, wie das Ganze wirtschaftlich machbar ist. So soll Nachfrage geschaffen werden, die es Unternehmen ermöglicht, wirkungsvolle Nachhaltigkeitsstrategien im Rahmen einer Corporate Social Responsibility zu entwickeln.

Moore als Basis für die Genussküche

Laut Tanneberger wäre ein wichtiger Schritt, Moorböden für Pflanzen zu nutzen, die dort naturgegeben wachsen, etwa solche zur Gewinnung von erneuerbarer Energie, Bau- und Verpackungsmaterial. Hingegen ist die Erzeugung von Nahrungsmitteln auf mineralischen Böden sinnvoll. Dazu gesellt sich eine weitere elegante Lösung.

Wasserbüffel sind äußerst robuste Tiere. Sie kommen mit der Feuchtigkeit und dem Moorgrasbestand gut zurecht und liefern Fleisch sowie Milch zur Herstellung des begehrten Büffel-Mozzarellas. Auch Moorschnucken6) sind an feuchte, karge Böden angepasst. Ihr Geheimrezept? Die Schafrasse ist leicht, widerstandsfähig und hat ein vergrößertes Pansenvolumen, sodass sie auf den nährstoffarmen Böden besonders viel fressen kann. Ihr Fleisch gilt als Delikatesse, was die Haltung der Rasse reizvoll macht.

Auch für Pferde ist das ballaststoffreiche Gras gut bekömmlich. Da es ohne Pflanzenschutzmittel und Dünger wächst, ist es ein lukratives Geschäft. Ebenso kann eine Kultivierung der krautigen Bodendecker Buchweizen und Heidelbeeren in Feuchtgebieten reizvoll sein, denn der hiesige Bedarf an Heidelbeeren wird durch heimischen Anbau nicht gedeckt.

Mit mehr Anreizen für Landwirtschaftsbetriebe können Potenziale stärker ausgebaut werden. Ideen und Forschungsansätze gibt es zahlreiche: Etwa Renaturierung von Flächen, die sich durch Vertical Farming gewinnen lassen, was z. B. das Start-up ROKO Farming7) ermöglicht. Oder Ansätze, wie an der Universität Freiburg praktiziert – mit ihrer weltweit größten Torfmoossammlung, ein biotechnologischer Innovationsmotor.

Torfmoose als Feinstaubmesser, Luftreiniger und Torfersatz

Glasgefäß mit einer grünen Algenmasse im LED-Licht
Ein Bioreaktor zur Massenvermehrung von Torfmoos aus der Gattung Sphagnum. © ReskiLab, Universität Freiburg

Im Pflanzenbiotechnologielabor der Universität Freiburg wird geschüttelt: In Behältern und Gefäßen wachsen unterschiedliche Moos-Kulturen. Besonders der Moos-Bioreaktor hat den Lehrstuhleiter Prof. Dr. Ralf Reski bekannt gemacht. Das Besondere: Statt Bakterien, Hefen oder tierischen Zellen dienen Moose als Organismen, mit denen z. B. menschliche Enzyme und Immunmodulatoren produziert werden können. Die Gentechnikexperimente sind aber nur ein Bereich der Freiburger Arbeitsgruppe. In eine ganz andere Richtung zielen die Arbeiten mit Torfmoosen, die ohne genetische Veränderungen erfolgen und auf das Freiland ausgerichtet sind.

Dadurch, dass Moose vor 450 Mio. Jahren als erste Pflanzen auf nacktem Fels siedelten, mussten sie Nährstoffe aus der Luft beziehen. Mit ihren Zellwänden und der wachsartigen Außenschicht binden sie auch Schwermetalle sehr gut. Das macht sich das Team um Reski zunutze und bringt im Labor gezogene, getrocknete und „saubere“ Torfmoose z. B. in Bäumen entlang Straßen an. Nach einigen Wochen werden die akkumulierten Schadstoffe analysiert. Eine elegante Lösung, die umso bedeutsamer ist, da alle EU-Mitgliedsländer verpflichtet sind, die Luftqualität zu überwachen und dafür bisher teure, Strom verbrauchende Geräte eingesetzt werden.

Moospflanze in einer Petrischale
Torfmoos der Art Sphagnum centrale in Reinkultur in einer Petrischale. © ReskiLab, Universität Freiburg

Noch immer wird Torf in Deutschland abgebaut und durch verstärkte Reglementierung zusätzlich aus dem Baltikum importiert. Beides trägt zur Zerstörung der Moore bei. „Fast alle Gemüse- und Zierpflanzen wachsen in Torferde heran, direkt oder indirekt verbrauchen wir alle Torf“, erklärt Dr. Melanie Heck aus Reskis Team. Das Problem: Moospflanzen bilden kein ausstreubares Saatgut und wachsen im Freiland mit 1 mm pro Jahr zu langsam. Der Freiburger Wissenschaftlerin gelang im BMEL-geförderten MOOSzucht-Projekt8) ein Meilenstein: Aus Freilandmoosen konnte sie im Labor keimfreies Saatgut gewinnen, das im Bioreaktor 50- bis 100-mal schneller wächst als im Moor. Getestet werden die Kulturen auf einer Demofläche im niedersächsischen Hankhauser Moor. Denn auch, wenn es für den Hobbygärtner guten Torfersatz gibt: Im Obst- und Gemüsebau ist Torf mit seiner hohen Wasserspeicherkapazität und den Poren zur Ausbreitung der Wurzeln alternativlos. „Ziel ist, mit den Reinkulturen hohe Erträge im Freiland zu erzielen und damit den Torfmoosanbau wirtschaftlich zu machen“, erklärt Heck.

Es wird klar: Potenziale zur Bewirtschaftung von nassen Mooren sind vorhanden. Wiedervernässung und Paludikultur lassen sich umsetzen, wenn Förderinstrumente neu ausgerichtet und Investitionen und Innovationen gestärkt werden.

Referenzen:

1) Hirschelmann et al. (2020): Faktensammlung „Moore in Mecklenburg-Vorpommern im Kontext nationaler und internationaler Klimaschutzziele – Zustand und Entwicklungspotenzial“. https://greifswaldmoor.de/files/dokumente/GMC%20Schriften/2020-03_Moore%20in%20MV_Faktensammlung_%20Hirschelmann%20et%20al_final.pdf

2) Aktionsprogramm Natürlicher Klimaschutz: https://www.bmuv.de/pressemitteilung/bundesumweltministerin-steffi-lemke-stellt-eckpunkte-fuer-aktionsprogramm-natuerlicher-klimaschutz-vor (29.03.22) mit dem Eckpunktepapier https://www.bmuv.de/fileadmin/Daten_BMU/Download_PDF/Klimaschutz/aktionsprogramm_natuerlicher_klimaschutz_bf.pdf

3) Nationale Moorschutzstrategie, Bundesumweltministerium: https://www.bmuv.de/pressemitteilung/bundesumweltministerium-veroeffentlicht-nationale-moorschutzstrategie

4) Projekt Paludi-PRIMA: https://www.moorwissen.de/de/paludikultur/projekte/prima/index.php

5) Initiative toMOORow (https://www.tomoorow.org) der Umweltstiftung Michael Otto (https://www.umweltstiftungmichaelotto.de/) und Michael Succow Stiftung (https://www.succow-stiftung.de/)

6) Schafsrassen in Deutschland: Moor und Heide, Gesellschaft zur Erhaltung alter und gefährdeter Haustierrassen e.V. https://www.g-e-h.de/images/stories/rassebeschreib/schaf/Die%20Weisse%20hornlose%20Heidschnucke.pdf

7) ROKO Farming: Vertical Farming zur kontinuierlichen Produktion weiterentwickelt. https://www.biooekonomie-bw.de/fachbeitrag/aktuell/nach-oben-gedacht-vertical-farming-zur-kontinuierlichen-produktion-weiterentwickelt

8) MOOSzucht Verbundprojekt der Universitäten Greifswald und Freiburg sowie dem Karlsruher Institut für Technologie. https://www.moorwissen.de/de/paludikultur/projekte/torfmooskultivierung/mooszucht.php

Seiten-Adresse: https://www.biooekonomie-bw.de/fachbeitrag/aktuell/moore-als-co2-speicher-renaturieren-und-gleichzeitig-wirtschaften