Hauptnavigation
nadicom: Projekt „Rhizo-Linse“ – Wahre kleine Düngemittelfabriken
Als Kulturpflanze wurde die Linse im letzten Jahrhundert in Mitteleuropa kaum mehr angebaut. Nun erlebt sie ein Comeback. Das EIP-AGRI-Projekt „Rhizo-Linse“ 1 soll historische Linsensorten wieder einführen und den Anbau für Landwirte attraktiv machen. Die Firma nadicom Gesellschaft für angewandte Mikrobiologie mbH entwickelt eigens für die Linse ein ökologisches Produkt aus Knöllchenbakterien, das der Linse beim Wachsen helfen soll.
Stickstoff ist für Pflanzen der limitierende Faktor, der sie in ihrem Wachstum begrenzt. Normalerweise sind Pflanzen darauf angewiesen, Stickstoff in Form von anorganischen Verbindungen aufzunehmen. Hülsenfrüchtler oder Leguminosen, zu denen Linsen, Erbsen und Sojabohnen gehören, gehen jedoch eine Symbiose mit speziellen Knöllchenbakterien (Rhizobien) ein, die es ihnen ermöglicht, den atmosphärischen Stickstoff aus der Luft zu verwerten. Das verschafft ihnen einen enormen Wettbewerbsvorteil gegenüber anderen Pflanzen, denn sie gedeihen so auf kargen und stickstoffarmen Böden. Durch diese ausgezeichnete Stickstoffversorgung sind Linsen echte Energiepakete: Sie beinhalten je nach Sorte bis zu 30 Prozent Eiweiß, viele Mineralstoffe und Vitamine2.
Das Comeback der Linse
Bis in die 1940-er Jahre wurden Linsen in Baden-Württemberg auf großen Flächen angebaut. Nachdem der Anbau danach deutschlandweit stark zurückging, wurde die Linse vor etwa zehn Jahren wiederentdeckt. Um die Anbauflächen zu erhöhen und die Wirtschaftlichkeit der Hülsenfrucht im konventionellen und ökologischen Anbau zu steigern, startete im Februar dieses Jahres im Rahmen der Europäischen Innovationspartnerschaft "Landwirtschaftliche Produktivität und Nachhaltigkeit" (EIP-AGRI) das Projekt „Rhizo-Linse“. In Kooperation der Firma nadicom Gesellschaft für angewandte Mikrobiologie mbH mit fünf Aktionspartnern wird eine „Rhizo-Bakterien gestützte Optimierung des Linsenanbaus unter Berücksichtigung bioökonomischer Wertschöpfung“ angestrebt. Mithilfe wissenschaftlicher Begleitung verschiedener Forschungsinstitutionen soll in verschiedenen Landwirtschaftsbetrieben Baden-Württembergs der Anbau unterschiedlicher Linsensorten durch Verwendung von Bakterien als Impfmittel verbessert werden. Gleichzeitig soll das bioökonomische Potenzial der Mischkultur (Linse mit Stützfrucht) herausgearbeitet werden, um eine neue Wertschöpfungskette im Sinne der Nachhaltigkeit zu entwickeln. In der Praxis wird das Linsensaatgut mit Knöllchenbakterien beimpft, ausgesät und beobachtet, inwieweit sich die Behandlung positiv auf das Wachstum auswirkt. Leadpartner des Projekts ist die Firma nadicom mit Sitz in Uhingen. „Für Leguminosen gibt es sogenannte Impfmittel, basierend auf Rhizobien-Bakterien, die die Stickstofffixierung mit diesen Pflanzen zusammen bewirken können“, so Hattig.
Das Potenzial der Pflanze ausschöpfen
Herausfinden, welche Rhizobienstämme sich besonders positiv auf Wachstum und Widerstandskraft der Pflanze auswirken und aus ihnen ein flüssiges Impfmittel herzustellen, ist Aufgabe von nadicom. Zusammen mit dem Projektpartner NovoCarbo soll ein Impfmittel mit Pflanzenkohle als Trägermaterial entwickelt werden, das auch in der Praxis zum Einsatz kommen soll. Die Universität Hohenheim und das Landwirtschaftliche Technologiezentrum Augustenberg betreuen die Linsenaufzucht und Ernte im Gewächshaus und ab Januar 2020 gemeinsam mit sechs Landwirtschaftsbetrieben im Freiland an verschiedenen Standorten. Die bioökonomische Wertschöpfung des Mischkulturanbaus zu analysieren und zu bewerten, ist Aufgabe der BIOPRO Baden-Württemberg GmbH.
Innerhalb des Projekts gilt es nun, das beste „Gespann“ von Linse und Rhizobie zu finden, denn die Bakterien sind spezifisch und passen nicht zu jeder Leguminose. Dafür analysieren die Forscher gesunde Linsen aus dem Freiland, schauen die Knöllchen an und isolieren die enthaltenen Bakterienstämme. Aus ihnen wird eine Nährlösung hergestellt, in der die Rhizobien sich bis zu einem gewissen Punkt vermehren. Daraus entsteht ein steriles flüssiges Produkt, mit dem die Landwirte ihre Saat behandeln können. „Wir werden dieses Jahr noch festlegen, welche Stämme wir den Landwirten anbieten werden, die sie dann als flüssige Isolate anwenden können“, sagt der Agraringenieur. Dadurch, dass die Bakterien von gesunden Pflanzen selektiert wurden, darf das flüssige Produkt auch im ökologischen Landbau angewendet werden. „Es geht darum, das Potenzial der Pflanze mit natürlichen Mechanismen optimal auszuschöpfen“, so Hattig.
Seit 2002 ist nadicom erfolgreich als Dienstleistungsunternehmen in der Charakterisierung und Identifizierung von Bakterien, Pilzen und Hefen tätig und hat bereits Erfahrung mit der Beimpfung von Leguminosen. Vor neun Jahren spezialisierte sich die Firma auf die Produktion und Vermarktung von Bakterien als „Plant growth promoting bacteria“, also ertragssteigernde Düngemittel, basierend auf Bio-Effektoren, beispielsweise Knöllchenbakterien. Mit ihrer Hilfe gelingt es der Linse, schneller zu wachsen und mehr Biomasse zu produzieren. „Außerdem werden Pflanzen besonders im Jungstadium durch ein schnelles Wachstum gleichzeitig widerstandsfähiger“, erklärt Hattig den zweiten positiven Effekt der Symbiose. Für die meisten Leguminosen wie etwa Soja und Erbse bietet nadicom bereits marktfähige Impfmittel an. Für die Linse gibt es bisher noch keine kommerziell erhältlichen Rhizobien.
Gemeinschaft mit beidseitigem Nutzen
„Man behandelt das Saatgut mit den Bakterien und diese treten bei der Keimung in die Rhizosphäre (Wurzelbereich) ein, docken an der Wurzel an und gehen relativ schnell die Symbiose mit der Pflanze ein“, erklärt Hattig. Die Linse sondert Wirkstoffe ab, die die Bakterien zu den Wurzeln leiten. Die Knöllchenbakterien bewegen sich aktiv darauf zu und dringen in die Wurzelzellen ein. Dort veranlassen sie, dass die Wurzelspitze sich einkrümmt und die Bakterienzelle umschließt.
Die Bakterien vermehren sich zunächst und verwandeln sich in dicke, oft polyploide Zellen, die stark verzweigt sind. Dies führt in den Wurzeln zu den knötchenartigen Verdickungen, den Knöllchen, in denen die Rhizobien leben. Die Bakterien sind ernährungsphysiologisch von der Pflanze abhängig, sie erhalten von ihr Wasser, organische Verbindungen und Vitamine. Im Gegenzug fixieren sie den molekularen Stickstoff aus der Luft, der für die meisten Organismen nicht zugänglich ist, und wandeln ihn in Ammonium um. Die Linse kann den Stickstoff als natürlichen Dünger aufnehmen, besitzt so ihre eigene kleine Düngemittelfabrik in den Wurzeln. Keiner der beiden Partner kann allein den Luft-Stickstoff nutzen.
Bedeutung für den ökologischen Landbau
Sind nur wenige Knöllchenbakterien im Boden, müssen diese erst die Pflanze finden. Mit einer Beimpfung des Saatguts hat man direkt eine Akkumulation im Wurzelbereich, eine gezieltere Aufnahme und einen sehr schnellen Effekt. „Natürlich können Leguminosen auch ausgebrachten Dünger aufnehmen, aber man möchte ja die Düngergaben reduzieren, um weniger Nitratauswaschungen in den Böden zu haben“, meint der Projektkoordinator, „zudem kann eine zusätzliche Stickstoffdüngung die Knöllchenbildung an der Wurzel hemmen.“ Nach Absterben der Pflanzen werden sie als Gründünger inklusive der Knöllchen in den Boden untergepflügt und reichern ihn so mit Stickstoff an. Für eine landwirtschaftliche Nutzung von Agrarflächen wäre dies eine wertvolle Bereicherung zwischen zwei unterschiedlichen Ernten, da andere Pflanzen dem Boden Stickstoff entziehen, der danach gedüngt werden muss.
In dem Projekt „Rhizo-Linse“ wird zum Zweck der Bioökonomie auch die Stützfrucht unter die Lupe genommen. Sie soll nicht nur die Linse schützen und stützen, sondern im besten Fall selbst Verwertung finden. Hattig betont, wie wichtig die Praxistauglichkeit ist.
Allgemeines zur Linse
Die zarte krautige Linsenpflanze ist einjährig, zwittrig und aufgrund ihrer kleinen Helferlein recht anspruchslos. Als Kulturpflanze ist sie selten geworden, Anbaugebiete gibt es noch vor allem in Kanada, Russland, Indien und der Türkei.3, 4 In Deutschland ist sie fast völlig verschwunden, nur auf der Schwäbischen Alb und in Niederbayern gibt es noch kleinere Anbaugebiete. Die kargen Böden der Schwäbischen Alb eigenen sich gut für die Linse. Allerdings ist die Rankpflanze sehr konkurrenzschwach und braucht eine gute Unkrautbekämpfung oder stärkere Stützfrüchte, die ihr beim Wachsen Halt geben und andere Unkräuter vertreiben. Daher werden Linsen und andere Leguminosen meist in Mischkultur mit Hafer oder Gerste angebaut. Das Erntegut ist dann eine Mischung aus Linsen und Getreide, das in aufwendigem Verfahren getrennt werden muss. Der Ertrag der Linse ist je nach Jahr sehr unterschiedlich. Er schwankt zwischen 200 und 1.400 kg/ha.5
Das Projekt wird von März 2019 bis Anfang 2022 im Rahmen der Europäischen Innovationspartnerschaft „Landwirtschaftliche Produktivität und Nachhaltigkeit“ (EIP-AGRI) mit einer Summe von 655.500 € vom Europäischen Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des ländlichen Raums (ELER) und vom Ministerium für Ländlichen Raum und Verbraucherschutz Baden-Württemberg gefördert.
Quellen:
1 Infodienst Ernährung – Landwirtschaft – Ländlicher Raum:
www.landwirtschaft-bw.info/pb/MLR.Foerderung,Lde/Startseite/Foerderwegweiser/EIP-Projekte
2 veggieworld.de/veganes-protein-woher-bekommen/ (abgerufen 8.11.2019)
3 www.bzfe.de/inhalt/huelsenfruechte-erzeugung-4130.html
4 www.statistik-bw.de/Service/Veroeff/Monatshefte/20141205 (abgerufen 8.11.2019)
5 Landwirtschaftliches Technologiezentrum Augustenberg:
www.ltz-bw.de/pb/,Lde/Startseite/Kulturpflanzen/Linse
Weitere Quellen:
www.online.uni-marburg.de/botanik/nutzpflanzen/tabea_mackenbach/cultivation.html
linsen.landwirtschaft-bw.de/pb/,Lde/Startseite/Forschung/Aktuelle+Linsen-Projekt
www.nadicom.com/de/agrarmikrobiologie
www.hfwu.de/forschung-und-transfer/institute-und-einrichtungen/institute-der-hfwu/institut-fuer-angewandte-agrarforschung-iaaf/forschungsprojekte/pflanzenbau/vermehrung-historischer-alblinsensorten-und-genotypenscreening-agronomischer-sowie-verbraucherrelevanter-eigenschaften-aeur-wiedereinfuehrung-unter-den-heutigen-anbaubedingungen-sinnvoll-und-moeglich/