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Neuartiger Faserverbundwerkstoff aus Hopfen-Gärresten
In Biogasanlagen fallen bei der Erzeugung von energiereichem Gas durch Vergärung von Biomasse sowohl flüssige als auch feste faser- bzw. partikelförmige Gärreste an. Den Forschenden der Deutschen Institute für Textil- und Faserforschung (DITF) ist es nun gelungen, aus festen Hopfenresten einen widerstandsfähigen und wasserabweisenden Faserverbundwerkstoff herzustellen, der wie Furnier zur Beschichtung von Holzplatten eingesetzt werden kann.
Beim Bierkonsum zählt Deutschland weltweit zu den Spitzenreitern, und deutsche Marken erfreuen sich international großer Beliebtheit. Das größte zusammenhängende Hopfenanbaugebiet der Welt, die Hallertau, befindet sich zwischen Regensburg, Ingolstadt und Landshut. Hier wachsen rund 85 Prozent des in Deutschland verarbeiteten Hopfens. Für den Brauprozess werden allerdings nur die Dolden genutzt, drei Viertel der Pflanze sind Bioabfall und werden nach der Ernte im Herbst zerkleinert und entweder in die Biogasanlage oder auf die Felder gegeben. Letzteres ist allerdings nicht sehr effektiv, da die Pflanzenreste im folgenden Frühjahr oft noch nicht so weit zersetzt sind, dass sie als Dünger für die neuen Reben dienen können, sodass nachgedüngt werden muss.
Vliesstoff aus Hopfen-Gärresten
In der Biogasanlage hingegen wird mithilfe von Bakterien unter Ausschluss von Sauerstoff aus organischen Abfällen Gas (vor allem Methan und CO2) gewonnen, das entweder direkt ins Erdgasnetz eingespeist wird oder in einem Blockheizkraftwerk zur Erzeugung von Strom und Wärme dient. Die verbleibenden Gärreste enthalten neben schwer abbaubarem, faserigem Material zudem nährstoffreichen Flüssigdünger. „Strom aus Biogasanlagen ist allerdings deutlich teurer als durch Onshore-Windkraft erzeugter Strom. Um die Wirtschaftlichkeit der Anlagen zu erhöhen und einen Mehrwert zu schaffen, haben wir untersucht, ob man die festen Überreste der Hopfenvergärung beispielsweise zur Herstellung von Faserverbundwerkstoffen nutzen kann“, erklärt Prof. Dr. Markus Milwich, stellvertretender Leiter des Kompetenzzentrums Polymere & Faserverbunde an den Deutschen Instituten für Textil- und Faserforschung (DITF) in Denkendorf und Honorarprofessor der Hochschule Reutlingen.
Unter seiner Leitung hat sich die Doktorandin Marion Gebhardt in den vergangenen zwei Jahren im Rahmen eines vom Zentralen Innovationsprogramm Mittelstand (ZIM) geförderten Forschungsprojektes mit dieser Fragestellung beschäftigt. „Im ersten Schritt haben wir versucht, aus den gewaschenen, faserigen Rückständen einen Vliesstoff herzustellen“, erläutert die Agraringenieurin. „Dazu haben wir die unterschiedlichsten Methoden getestet und das Material gesiebt, geschreddert oder gemahlen. Irgendwann sind wir auf den Papierholländer gestoßen.“ Diese Maschine wurde ab dem 18. Jahrhundert in der vorindustriellen Papierherstellung verwendet und kommt auch heute noch zum Einsatz. Sie enthält eine Walze mit Schneiden, die das Material fein zerreibt, aber die Fasern kaum verkürzt.
Wasserabweisender Faserverbundwerkstoff zur Beschichtung
In Zusammenarbeit mit der Hochschule Reutlingen werden aus den so behandelten festen Gärresten in einer Nassvlies-Anlage Matten hergestellt. Auch hier musste erst das richtige Verhältnis aus Fasern, Wasser und Zellstoff etabliert werden, sodass die Vliesmatten zwar stabil, aber nicht zu fest für die Weiterverarbeitung sind. Im nächsten Schritt werden diese in einer Heißpresse bei bis zu 6 Megapascal (MPa) zusammen mit einem Epoxidharz zu einem Faserverbundwerkstoff gepresst. „Wir verwenden ausschließlich biobasierte Harze, welche zum schnellen Aushärten eine Temperatur von ca. 100 °C benötigen“, beschreibt Gebhardt die Prozedur. So lassen sich Platten mit einer Dicke von weniger als 1 mm herstellen, die wie Furniere zur Beschichtung von Holzfaserplatten verwendet werden können. Die problemlose Verarbeitung des Verbundwerkstoffes wurde im Rahmen des Projektes bereits von der Schreinerei Nuding in Stuttgart gezeigt, die damit erste Möbelteile hergestellt hat. Ein großer Vorteil des Materials ist seine wasserabweisende Eigenschaft, die eine Lackierung der Werkstücke überflüssig machen könnte.
Die Stabilität des neuartigen Faserverbundstoffes entspricht der von MDF-Platten (Mitteldichten Holzfaserplatten). Allerdings hat er ein höheres Gewicht, sodass Platten in der für Möbelstücke benötigten Dicke von 15 bis 18 mm relativ schwer sind. Ein weiteres Problem bei der Nutzung kann die dunkelbraune Farbe darstellen, die sich jedoch durch Zugabe von biologischen Bleichmitteln und Farbpigmenten in gewissem Umfang ändern lässt.
Zusammen mit den Projektpartnern Hopfenpower GmbH (spezialisiert auf die umfassende Verwertung von Hopfen) und Novis GmbH (Hersteller von Biogasanlagen) ist Milwich derzeit auf der Suche nach weiteren Firmen für die Erprobung und Weiterentwicklung von Produkten, die auf dem neuen Verbundstoff basieren. Denkbar wäre etwa eine Zusammenarbeit mit Brauereien, die beschichtete Biergarnituren im Betrieb testen. Für diese sind sowohl die dunkle Farbe als auch die wasserabweisenden Eigenschaften gut geeignet. „Wir erwarten, dass die mit unserem Faserverbundstoff beschichteten Garnituren länger halten. Ein weiter Vorteil wäre, dass sie am Ende ihrer Lebenszeit nicht [wie die mit Holzschutzmitteln lackierten Möbel] als teurer Spezialmüll entsorgt werden müssen“, wirbt der Ingenieur. Auch ein Einsatz in der Automobilindustrie als Innenverkleidung von Fahrzeugen wäre möglich, denn das Material kann in jede Form gepresst werden.
Vollumfängliche Nutzung von Pflanzenresten
Erste Untersuchungen zeigen, dass nicht nur Hopfen als Ausgangsmaterial geeignet ist, sondern beispielsweise auch Hanf oder Stroh. Großes Potenzial sieht Milwich ebenfalls in der Nutzung der Wasserhyazinthe, einer aus Südamerika stammenden Pflanze, die sich inzwischen in warmen Regionen weltweit unkrautartig verbreitet. „Normalerweise wird der Faseraufschluss von Pflanzen mittels Steam Explosion und anderen Verfahren durchgeführt, was relativ aufwendig ist. In der Biogasanlage würden die Bakterien diese Arbeit machen.“ In Afrika beispielsweise, wo die Novis GmbH bereits tätig ist, könnte die Wasserhyazinthe durch das neue Verfahren vollumfänglich genutzt werden: zur Produktion von Strom und Dünger und als Ausgangsstoff für Baumaterial.