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Neues, biogenes Herbizid patentiert – ein Beitrag zur weltweiten Ernährungssicherheit
Ein natürlich vorkommender Zucker, isoliert aus Cyanobakterien, wurde von der Universität Tübingen patentiert und gewinnt als einer von drei Preisträgern den Innovationspreis des Arbeitskreises der BioRegionen. Das Molekül soll in den nächsten drei Jahren als Ersatz für Totalherbizide wie Glyphosat zur Marktreife entwickelt und an Unternehmen lizensiert werden.
Zum 13. Mal verleiht der Arbeitskreis der BioRegionen Deutschlands den Innovationspreis, diesmal unter erschwerten Bedingungen, da ohne Live-Prämierung auf den Deutschen Biotechnologietagen, die 2020 coronabedingt leider ausfallen mussten. Augrund der zahlreichen hervorragenden Einsendungen aus dem ganzen Bundesgebiet hat sich der Arbeitskreis jedoch entschlossen, auch 2020 herausragende Ideen und Patente mit hohem wirtschaftlichem Potenzial aus den Lebenswissenschaften zu prämieren. Die drei gleichwertigen, mit je 2.000 Euro dotierten Preise gehen an Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen aus Tübingen, Jülich und Garching b. München und sind in ihrer thematischen Diversität zugleich ein Beispiel für die große Bandbreite an innovativer Forschungstätigkeit in Deutschlands Life Sciences.
Einer der Gewinner ist das Projekt „Biogener Zucker als nachhaltiges Herbizid“. Dieser ungewöhnliche Zucker wurde unter der Leitung von Prof. Dr. Karl Forchhammer (Institut für Mikrobiologie), Prof. Dr. Stephanie Grond (Institut für Organische Chemie) und Dr. Klaus Brilisauer im Rahmen einer interdisziplinären Zusammenarbeit an der Universität Tübingen aus einem Cyanobakterium isoliert und unter dem Namen 7dSh europaweit patentiert. Er soll unter der Leitung von Prof. Dr. Klaus Harter von der Universität Tübingen weiterentwickelt werden. Im Interview erklärt Harter, warum das Projekt so spannend ist, und wie die nächsten Schritte aussehen.
Wie findet man einen Naturstoff, der als Unkrautvernichtungsmittel wirken soll?
Harter: Unkrautvernichtung ist derzeit an vielen Stellen wie Landwirtschaft, Gartenbau oder bei der Bahn noch unumgänglich. Den neuartigen Ansatz verdanken wir der genauen Beobachtung unserer Kollegen aus der Mikrobiologie, die festgestellt haben, dass in der Umgebung von Cyanobakterien andere Organismen, die Photosynthese betreiben, nicht mehr richtig wachsen. Das haben sie sich dann in Kooperation mit Kollegen und Kolleginnen der Organischen Chemie genauer angeschaut und festgestellt, dass ein durch die Cyanobaktieren hergestellter Zucker dafür verantwortlich ist. Er wirkt – analog zum bekannten und kurz vor einem weltweiten Verbot stehenden Unkrautvernichtungsmittel Glyphosat – auf den Shikimatweg, einen für Pflanzen unverzichtbaren Stoffwechselweg. Diesen Zucker haben die Kollegen und Kolleginnen unter dem Namen 7dSh patentiert.
Wie sind die nächsten Schritte, um den patentierten Zucker weiterzuentwickeln?
Harter: Für das Zuckermolekül ist ein rascher mikrobieller Abbau und geringe Ökotoxizität zu erwarten, die sich in ersten Tests bereits belegen ließ. Somit wäre eine punktgenaue und zeitlich limitierte Wirkung von 7dSh realisierbar, die keine Schäden in den Ökosystemen und eine breitere öffentliche Akzeptanz erwarten lässt. Das Interesse der Agrar- und Landwirtschaft sowie anderer Anwender ist daher groß. Aber derzeit sind noch einige Fragen zu klären, um den Zucker 7dSh attraktiv für Unternehmen zu machen: Die Synthese ist noch sehr teuer, daher werden wir die Produktion noch optimieren müssen. Zudem wollen wir in einer universitätsübergreifenden Zusammenarbeit unter Begleitung eines Partners aus der Agrarwirtschaft klären, ob die vielversprechenden Ergebnisse aus dem Labor auf die Anwendung im Freiland übertragen werden können, und ob der Zucker ggf. noch so „verpackt“ werden muss, dass er beispielsweise lange genug im Boden überdauert oder auf Blättern haftet, um eindringen und seine Wirkung entfalten zu können. Hierzu wurde ein Förderantrag beim BMBF gestellt.
Planen Sie eine Ausgründung, um das Herbizid selbst an den Markt zu bringen?
Harter: Wenn die nächsten Schritte wie eben beschrieben gelingen, soll das neue biogene Herbizid an Unternehmen lizensiert werden. Eine Ausgründung zur eigenen Produktion und Vermarktung ist gegenwärtig nicht geplant.
Über den Arbeitskreis der BioRegionen
Der Arbeitskreis der BioRegionen in Deutschland ist ein freiwilliger Zusammenschluss der deutschen BioRegionen und hat seine Geschäftsstelle bei der Biotechnologie-Industrie-Organisation Deutschland e. V. (BIO Deutschland) in Berlin. Die 31 Mitglieder beschäftigen sich mit Themen wie Finanzierung, Gründung und Technologietransfer sowie mit der Außendarstellung der deutschen Biotechnologiebranche. Seit 2007 vergibt der AK BioRegio jährlich den Innovationspreis der deutschen BioRegionen in einem bundesweiten Wettbewerb für anwendungsorientierte Ideen aus den Hochschulen und richtet gemeinsam mit BIO Deutschland die Deutschen Biotechnologietage aus.
Der Wettbewerb 2020 wurde trotz widriger Umstände von langjährigen Partnern, dem Fachjournal BIOspektrum, der Kanzlei Dehmel & Bettenhausen sowie dem High-Tech Gründerfonds gesponsert und gemeinsam von BIOPRO Baden-Württemberg (Stuttgart) und BioRN Network e.V. (Heidelberg) organisiert.