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NewFoodSystems: Innovationsraum für die Lebensmittel von morgen
Eine rasant wachsende Weltbevölkerung und zugleich rapide schrumpfende Anbauflächen – das ist nur ein Teil der enormen Herausforderungen, denen die Lebensmittelindustrie gegenübersteht. Doch wie lassen sich Lösungen dafür finden, wenn diese nicht nur die Wissenschaft, sondern auch Wirtschaft, Politik und Öffentlichkeit mit ins Boot holen müssen? Antworten sucht der Innovationsraum Bioökonomie NewFoodSystems. Im vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderten Verbund kommen Wissenschaft und Industrie zusammen, um nachhaltige Lebensmittelsysteme der Zukunft zu entwickeln.
Burger aus Insekten? Fleisch aus dem Labor? Überall nur noch Hafermilch? Wer Diskussionen über neue Lebensmittel wie diese in der Öffentlichkeit verfolgt, merkt schnell: Sicherheitsstandards und rechtliche Vorgaben zu erfüllen, ist für Neuerungen wie Insektenproteine, In-vitro-Fleisch oder Pflanzen aus Indoor-Farmen bei weitem nicht die größte Hürde. Lebensmittel, die von den Verbrauchenden nicht akzeptiert werden und für die Wirtschaft unrentabel sind, schaffen es nie von der Idee auf den Teller.
Genau diesem Knackpunkt widmet sich der bundesweit tätige Innovationsraum NewFoodSystems. Das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderte und vom Max-Rubner-Institut in Karlsruhe koordinierte Projekt ist einer von insgesamt vier Innovationsräumen Bioökonomie der „Nationalen Forschungsstrategie BioÖkonomie 2030“.
NewFoodSystems holt alle Beteiligten mit ins Boot
NewFoodSystems bringt Wissenschaft und Wirtschaft zusammen, um die Lebensmittel der Zukunft für den Markt fit zu machen. Die neuen Produkte und Produktionssysteme, die im Innovationsraum entwickelt und bewertet werden, sollen nicht nur gesünder, sicherer und nachhaltiger werden als bisher, sondern auch den Weg vom Konzept bis ins Supermarktregal erfolgreich meistern. Und das scheint zu funktionieren: Ein Produkt aus dem Innovationsraum, das diesen Sprung bereits geschafft hat, ist zum Beispiel der bekannte pflanzliche Milchersatz der Firma Prolupin, der ausschließlich auf Lupinen basiert und im Teilprojekt „Nachhaltige Proteinzutaten“ entstanden ist.
Doch nicht nur die Entwicklung und Bewertung neuer Lebensmittel und Lebensmittelsysteme fördert NewFoodSystems. Auch der Austausch mit der Öffentlichkeit ist ein Schwerpunkt des Innovationsraums. Denn letztlich sind es die Verbrauchenden, die die Ernährung von morgen am meisten betrifft, und von denen der Wandel der Lebensmittelsysteme entscheidend abhängt. Und ein Wandel ist dringend nötig.
Ohne Lebensmittelinnovationen geht es nicht
„Wir stehen heute ganz klar vor einer Transformation unserer Lebensmittelsysteme“, meint Prof. Dr. Sabine Kulling, Koordinatorin des Innovationsraums NewFoodSystems. Bis 2050 wird die Weltbevölkerung voraussichtlich auf rund zehn Milliarden Menschen anwachsen.1) Diese müssen nicht nur von durch den Klimawandel schrumpfenden Anbauflächen ausreichend versorgt, sondern auch gesund ernährt werden. Bereits heute haben immer mehr Krankheiten in armen wie reichen Ländern mit Ernährung zu tun.2) Hinzu kommt, dass Lebensmittelproduktion für ein hohes Maß an Umweltbelastungen verantwortlich ist:3),4) Weltweit verursacht diese z. B. rund ein Drittel der menschenemittierten Treibhausgase, befand eine 2021 in Nature Food veröffentlichte Studie.5)
Neue Produktionsmethoden, wie sie in NewFoodSystems entstehen, werden daher in naher Zukunft nicht nur mit wirtschaftlichen Interessen, sondern vor allem mit der Aufrechterhaltung der Grundversorgung zu tun haben. Im Innovationsraum entwickelte neue Anbaukonzepte wie Vertical oder Indoor Farming, die mit weniger Platz und Ressourcen auskommen, alternative Proteinquellen wie Insekten oder proteinreiche Pflanzen, die einen geringeren ökologischen Fußabdruck als Tierzucht aufweisen, oder schlicht sicherere und schadstoffärmere Produktionsmethoden für gesündere Lebensmittel stehen ganz oben auf der Liste der zukunftsträchtigen Themen.
Projekte profitieren vom Austausch der Branchen
Vertical Farming ist dabei eines der Themen, das angesichts des Klimawandels besonders vielversprechend erscheint. Im NewFoodSystems-Projekt In4Food geht es um den möglichst ressourcenschonenden, effizienten und sicheren Indoor-Anbau von Parakresse, Borretsch, Oregano und anderen Gewürzen und Aromapflanzen. Indoor Farming von Nutzpflanzen für die industrielle Lebensmittelproduktion bietet große Vorteile. Dabei kommen geschlossene Anbausysteme wie OrbiPlant oder OrbiLoop des In4Food-Projektpartners Fraunhofer IME zum Einsatz. Diese Systeme nutzen ein rotierendes Förderband sowie spezielle Sprüh- und Lichttechniken, um optimale Wachstumsbedingungen zu schaffen. Das spart nicht nur viel Platz und damit Anbaufläche, sondern reduziert auch den Wasserverbrauch drastisch und verhindert, dass Schadstoffe wie Nitrat ins Grundwasser gelangen.
Indoor Farming bietet aber mehr als platzsparenden und nachhaltigen Anbau. Das In4Food-Team arbeitet daran, Pflanzen auf natürliche Weise dazu zu bringen, mehr wertvolle Inhaltsstoffe wie ätherische Öle zu produzieren und gleichzeitig potenziell schädliche Stoffe zu reduzieren. Dazu werden zum Beispiel die Lichtverhältnisse variiert. Mikroorganismen dienen zudem als natürlicher Dünger, der das Wachstum der Pflanzen fördert - ganz ohne Pestizide.
Die Forschung läuft in unmittelbarem Austausch mit Industriepartnern, die die Ergebnisse auch für innovative Lösungen nutzen wollen, beispielsweise um Zucker in Lebensmitteln zu reduzieren. „Der Innovationsraum ist natürlich ideal, weil hier eine enge Vernetzung von Forschungs- und Industriepartnern stattfindet. Das hat man ja so nicht immer, wenn man Forschungsprojekte beantragt“, sagt Dr. Melanie Huch, Wissenschaftlerin am Max-Rubner-Institut und Leiterin von In4Food.
Den Austausch auf kurzen Wegen und der Zugriff auf das Know-how verschiedener Branchen hält auch Kulling für besonders wertvoll. Forschungseinrichtungen teilen ihr Equipment mit Start-ups, Kanzleien beraten zur Novel-Food-Verordnung und Industriepartner vermitteln ihr Netzwerk und ihre Markterfahrung. Seit 2019 arbeiten viele der mittlerweile mehr als 60 beteiligten Institutionen zusammen, und dabei sei ein enormes Vertrauen entstanden, sagt Kulling. Daher hofft sie, dass die Kontakte über die Laufzeit von NewFoodSystems bis 2025 hinaus bestehen bleiben und man auch langfristig gemeinsam nach Lösungen sucht.
Bei der Aufklärung gibt es viel Nachholbedarf
Mitziehen muss aber vor allem auch die Öffentlichkeit, wenn der Wandel gelingen soll, und hier sehen die Forscherinnen noch einen großen Aufholbedarf. Dies liege jedoch weniger am Unwillen der Bevölkerung, sondern an einem verklärten Bild, das über Jahre unter anderem durch die Werbung in die Welt getragen worden sei, meint Kulling: „Offensichtlich hat man gedacht, man kann den Verbrauchern nicht zumuten, zu zeigen, wie Lebensmittel heute produziert werden, und dass das viel mit Stahltanks und weniger mit Wiese zu tun hat.“
In anderen Teilen der Welt sieht das ganz anders aus. Singapur, das Land, das als erstes die Vermarktung von In-vitro-Fleisch zugelassen hat,6) geht schon lange offen damit um, dass Alternativen zur herkömmlichen Lebensmittelproduktion unumgänglich sind. Dem kleinen Land fehlt schlicht die Anbaufläche. „Die Akzeptanz für Neues ist dort sehr viel höher“, berichtet die Professorin.
Um auch hierzulande mehr Transparenz zu schaffen, ist es ein wichtiger Teil der Arbeit von NewFoodSystems, die Öffentlichkeit beispielsweise über Social Media, Workshops oder Ausstellungen über die Lebensmittelproduktion zu informieren. Das Team ist unter anderem noch bis zum 8. Oktober 2023 auf der Bundesgartenschau vertreten und hat ebenfalls Aktionstage und Exponate im Deutschen Museum in Nürnberg. Es geht um Aufklärung, mehr Vertrauen und darum zu vermitteln, dass ein Wandel unumgänglich ist. „Ich denke, man muss alle mitnehmen, sonst schafft man es nicht“, meint Huch.
Dass sich dieser Wandel zumindest in Teilen der Bevölkerung bereits vollzieht, zeigen die Ergebnisse einer kürzlich in der Fachzeitschrift Appetite7) veröffentlichten Studie zur Akzeptanz von Insekten als Lebensmittel. Gerade die jüngere Generation scheint hier aufgeschlossener zu sein. Voraussetzung dafür sei jedoch, so eine weitere Erkenntnis der Studie, dass vorher darüber aufgeklärt wurde, was genau im Essen steckt.
Quellen:
1) Agrawal, M. (2021). Future of Food: Exploring Challenges to Global Food Systems. State of the Planet. https://news.climate.columbia.edu/2021/01/15/global-food-systems-challenges/
2) Puteri B. et. al. (2023): Booming the bugs: How can marketing help increase consumer acceptance of insect-based food in Western countries? Appetite1;187:106594. https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S0195666323001472?via%3Dihub
3) Hamrick, C. & Chen, G. (2021): The challenges of future foods from prevention of nutrient deficiencies to the management of diabetes. Journal of future foods 1(1), 47–57. https://doi.org/10.1016/j.jfutfo.2021.08.001
4) Climate Change and Land: An IPCC Special Report on climate change, desertification, land degradation, sustainable land management, food security, and greenhouse gas fluxes in terrestrial ecosystems. (2019). https://www.ipcc.ch/site/assets/uploads/2019/08/4.-SPM_Approved_Microsite_FINAL.pdf
5) Milman, O. (2021): Meat accounts for nearly 60% of all greenhouse gases from food production, study finds. The Guardian. https://www.theguardian.com/environment/2021/sep/13/meat-greenhouses-gases-food-production-study
6) Stöhr, M. (2022): Stammzellenfleisch aus Singapur- So schmeckt die Zukunft. Spiegel. https://www.spiegel.de/ausland/stammzellenfleisch-aus-singapur-wie-wir-in-zukunft-essen-a-f6321eea-5b82-4f32-8566-8bdc7f46d8e2
7) Xu, X., et al. (2021). Global greenhouse gas emissions from animal-based foods are twice those of plant-based foods. Nature Food, 2(9), 724–732. https://doi.org/10.1038/s43016-021-00358-x