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Recycling der Zukunft – markiertes Plastik als Kreislaufprodukt
Kunststoffe sind bei ihrer Produktion und Verbrennung klima- und gesundheitsschädlich und überhäufen unseren Planeten mit Müll. Ein großer Fokus liegt daher auf Recycling, das aber nicht effizient ist – bislang. Polysecure hat ein Verfahren entwickelt, mit dem einzelne Kunststoffe dauerhaft markiert werden, um sie so effizient trennen und einer Kreislaufwirtschaft zurückführen zu können. So kann dem Übermaß an (Mikro-)Plastik entgegengewirkt und der CO₂-Ausstoß gesenkt werden.
Flüssigwaschmittel in die Maschine geben, Müsli aus der Folie entnehmen, Zähne putzen. Bevor man beim Meeting auf dem Polyesterstuhl Platz nimmt, noch einen Coffee to go. Plastik ist aus unserem Alltag kaum noch wegzudenken. Der Kunststoff in seiner Vielfalt wird hauptsächlich aus Erdgas und Erdöl und unter Zugabe weiterer Zusätze wie Weichmacher, Barriere-Additive u. ä. hergestellt. Jährlich werden in Deutschland über 3 Mio. Tonnen Plastikverpackungsabfälle produziert1. Auch wenn der Müll in Gelben Säcken landet, wird nur ein Teil davon recycelt. Der Großteil wird verbrannt oder verschifft. Neue Verpackungen bestehen derzeit aus maximal 15 % recyceltem Kunststoff. Wo liegt der Knackpunkt?
Kunststoffe müssen sortenrein sein, um daraus wieder Verpackungen herstellen zu können
Verpackungen unterliegen in Deutschland wie auch in Europa der sogenannten erweiterten Produktverantwortung: Jeder, der verpackte Waren in den Verkehr bringt, ist dafür verantwortlich, dass diese Verpackungen die Umwelt möglichst wenig belasten. Das Fatale: Der gesellschaftliche Wandel steigert den Plastikverbrauch, etwa durch Außer-Haus-Verzehr, Convenience-Lifestyle oder Nutzung von Online-Angeboten. Auch wird verderbliche Ware besonders oder einzeln verpackt, um sie länger haltbar zu machen. Daher ist ein hochwertiges Recycling von Verpackungen besonders wichtig.
„Kunststoff-Rezyklate müssen sortenrein sein und bestmöglich einer bestimmten Spezifikation entsprechen, damit sie im Sinne eines Kreislaufs wieder in Verpackungen eingesetzt werden können“, erklärt Jochen Moesslein, Gründer und Geschäftsführer des Technologieunternehmens Polysecure in Freiburg. Herkömmliche Sortiersysteme können aber nur zwischen Hauptpolymeren wie PET (Polyethylenterephthalat), PE (Polyethylen) und PP (Polypropylen) unterscheiden. „Es ist keine Differenzierung in Unterklassen bzw. Spezifikationen möglich. Ferner können die für die Haltbarkeit von Lebensmitteln wichtigen Multilayer-Folien nicht identifiziert werden. Sie landen in den Mono-Strömen und stören dort eine sortenreine Aufbereitung. Auch lässt sich bisher nicht kontrollieren, ob eine Verpackung für Lebensmittel oder Nicht-Lebensmittel gedacht war.“ Diese Mängel herkömmlicher Sortiersysteme sind ein Grund dafür, dass von den 2017 in Deutschland angefallenen 5,2 Mio. Tonnen Kunststoffabfällen nur rund 15 Prozent wiederverwertet wurden1. Deshalb fordert die Bundesregierung im Verpackungsgesetz, dass die Recyclingquote für Verpackungen aus Kunststoff bis zum Jahr 2022 auf 63 Prozent steigen soll2. Moesslein verfolgt das Ziel einer besseren Sortierung und dadurch eines besseren und effizienteren Recyclings: „Wir streben eine Kreislaufwirtschaft an, bei der Abfallkunststoffe nach anwendungsspezifischen Gruppen und/oder Brands sortiert werden, damit sie wieder spezifikationsgerecht eingesetzt werden können.“ Außerdem lassen sich bestimmte Störstoffe abtrennen, z. B. Nicht-Lebensmittel-Verpackungen von Lebensmittel-Verpackungen. Möglich wird all dies mit der von Polysecure entwickelten markergestützten Sortiertechnologie, dem Tracer Based Sorting (TBS).
Weltweit einzigartige Markierungs-Technologie
Kernidee der Technologie ist die Markierung der verarbeiteten Kunststoffe mit fluoreszierenden Partikeln: „Die Tracer können über ihre Fluoreszenz differenziert werden. So kann jeder Kunststoff bzw. jede Verpackung entsprechend ihrer Spezifikation erkannt werden“, so der Physiker und Betriebswirt Moesslein, der in seiner Firma im Breisgau 13 Mitarbeiter beschäftigt. Die Tracer werden dazu in die Kunststoffe gemischt oder – insbesondere bei Verpackungen – über die Bedruckung auf die Oberfläche gebracht. Nach der Sortierung lassen sie sich zusammen mit den Etiketten und Druckfarben extrahieren und wieder einsetzen. Eine winzige Menge von 100 Mikrogramm pro Verpackung ist ausreichend, sodass die Tracer-Kosten im Verhältnis zum Wert der Kunststoffe gering sind. Wichtig ist, dass die Tracer-Materialien inert, unlöslich, mechanisch robust und thermisch stabil sind. Somit müssen die Kunststoffe nur einmal markiert werden, um über mehrere Recycling-Kreisläufe genutzt werden zu können. Zudem ist die Biokompatibilität wichtig, damit keine Risiken entstehen, falls markierte Verpackungen doch in der Umwelt landen.
Neben der Materialsortierung wird die Polysecure-Markertechnologie auch für die Produktauthentifizierung und als Plagiatschutz eingesetzt. „Mit unserer Markertechnologie können sich Originalhersteller vor unberechtigten Gewährleistungsansprüchen und somit Produktpiraterie schützen“, erklärt Moesslein die ursprüngliche Idee der Unternehmensgründung im Jahr 2009. Über zufällige Partikelmuster, die die Tracer in Materialien erzeugen, können sogar einzelne Objekte verfolgt werden. In diesem Sinn entwickelt das Team von Polysecure mit Partnern aktuell eine Lösung für die fälschungssichere Produktverfolgung von medizinischen Testsystemen.
Umfassende Wertschöpfungskette – national wie global
Rund 40 % der Kunststoffe weltweit sind Verpackungen. Jährlich landen ca. 150 Mio. Tonnen im Abfall. Sie sollten im Sinne der CO2-Reduktion bestmöglich weiterverwendet werden. Für hochwertiges Recycling wird aber eine wesentlich bessere Sortierung benötigt, als es die bestehende Sortiertechnik ermöglicht. Mit TBS und Design for Recycling kann laut Polysecure die Quote auf 70 %, möglicherweise sogar 80 % erhöht werden. Global betrachtet ließen sich so pro Jahr bis zu 60 Mio. Tonnen an frischen Kunststoffen ersetzen und damit über 100 Tonnen CO2 einsparen. „Der Nachhaltigkeitsaspekt ist für uns sehr wichtig“. Moesslein erklärt einen weiteren entscheidenden Faktor: „Für die Umsetzung einer nachhaltigen Innovation ist ebenso wichtig, dass TBS das Recycling von Kunststoffverpackungen nicht nur wesentlich verbessert, sondern auch günstiger macht. Erst wenn Rezyklate gegenüber frischen Kunststoffen wettbewerbsfähig sind, werden sie nicht mehr in der Natur und auf Deponien landen.“
Polysecure arbeitet kontinuierlich mit Partnern, wie dem Karlsruher Institut für Technologie (KIT), an der Weiterentwicklung der Tracer. Zusammen mit dem Grünen Punkt, Werner & Mertz und der Hochschule Pforzheim läuft aktuell das vom BMBF geförderte Projekt MaReK (Markerbasiertes Sortier- und Recyclingsystem). Für die Firma REHAU hat Polysecure die erste industriell eingesetzte TBS-Sortiermaschine entwickelt. Mit ihr lässt sich glasfaserhaltiges PVC und reines PVC aus co-extrudierten Fensterprofilen trennen.
Zur Umsetzung der neuen Markertechnologie haben die MaReK-Partner und Polysecure einen internationalen Stakeholder-Prozess begonnen. „Am Anfang ging es vor allem darum, das neue Verfahren bekannt zu machen“, berichtet Moesslein. „Jetzt werden die Gespräche mit Brands, Verpackungsherstellern, Entsorgern und der Politik konkreter. Technisch werden spezifische Anwendungen getestet und entsprechende Geschäftsmodelle durchgerechnet. Es ist eine sehr spannende Zeit. Vielleicht gelingt die schnellere Umsetzung auch in weniger entwickelten Ländern, die noch keine oder kaum Sortiertechnik haben und interessiert sind, eine neue Sortiertechnik wie TBS zu installieren. Dieses „Leapfrogging“, also das Überspringen von bestimmten Entwicklungsstufen, kennt man auch aus anderen Anwendungen, wie z. B. den Erneuerbaren Energien.“
Besonders wichtig ist dem Freiburger Unternehmen der verstärkte Austausch mit Stakeholdern, industriellen Partnern, Investoren und Politik. Ziel ist, durch Umsetzung des TBS-Verfahrens eine sinnvolle Transformation in eine nachhaltige Wirtschaft zu erreichen. Das einstige alchemistische Wunderwerk, zusammengebaut aus Erdöl und menschlichem Know-how, kann nur durch weiteres, fortschrittliches Know-how effizient wieder getrennt werden. Polysecure geht hier einen ambitionierten Schritt, um das „Plastic Litter“-Problem zu lösen.
Literatur:
1 https://www.boell.de/de/plastikatlas
2 https://www.bundesregierung.de/breg-de/aktuelles/mehr-recycling-und-weniger-verschwendung-451748