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"Die Grüne Gentechnik ist ein Sündenbock, aber kein Unschuldslamm mehr"
Von neuen molekularbiologischen Werkzeugen wie der ‚Genschere‘ CRISPR/Cas erwarten sich viele Wissenschaftler revolutionäre Fortschritte in Forschung, Entwicklung und Anwendung. Auch für die Landwirtschaft, insbesondere die Pflanzenzucht und die Ernährung und damit auch für die Bioökonomie, haben diese Verfahren offenkundig große Bedeutung. Allerdings droht die Debatte um die Grüne Gentechnik 2.0 erneut in ideologischen Grabenkämpfen zu enden. Wir haben mit Prof. Dr. Ortwin Renn (Jg. 1951) gesprochen, der die Debatte von Anfang an begleitet hat, und ihn nach Chancen für eine bessere Kommunikation befragt. Der Soziologe, Volkswirt und Nachhaltigkeitswissenschaftler war bis 2016 Lehrstuhlinhaber für Technik- und Umweltsoziologie an der Universität Stuttgart. Seit 2016 ist er wissenschaftlicher Direktor am Institut für transformative Nachhaltigkeitsforschung (Institute for Advanced Sustainability Studies e.V. (IASS)) in Potsdam. Darüber hinaus leitet er mit anderen ein Institut zur Erforschung und Erprobung innovativer Kommunikations- und Partizipationsstrategien in Planungs- und Konfliktlösungsfragen.
Nichtstaatliche Organisationen (non-governmental organisations, NGOs) klagen, dass mit der Bioökonomie „die Grüne Gentechnik durch die Hintertür und mit öffentlichen Mitteln vorangetrieben und eingeführt“ werde. Werden im CRISPR/Cas-Zeitalter wieder dieselben Grabenkämpfe um die Grüne Gentechnik wie seit den 90er Jahren ausgefochten?
Ja. Die Gentechnik hatte zwar als Streitthema in den letzten drei, vier Jahren in der Öffentlichkeit ein Schattendasein geführt. Mit CRISPR/Cas kommt eine neue Aktualität auf, die von den damals aktiven NGOs, wie Greenpeace, erneut aufgegriffen wird. Mein Eindruck ist, dass der Protest etwas verhaltener als früher ist, weil man doch Fortschritte in der Berücksichtigung der Anliegen von Kritikern sieht. Aber gegen Anwendungen in der industriellen Landwirtschaft mit Gentechnik bestehen nach wie vor große Vorbehalte, vor allem in den Umweltverbänden. Hier wird mit Argwohn beobachtet, ob man das Alte mit neuem Namen wie Bioökonomie und Biotechnologie wieder salonfähig machen will. Zwar ist die Auseinandersetzung nicht mehr so verbissen wie vor zehn Jahren, aber bei den NGOs bleibt das Thema sensibel.
Hat der Streit eine neue Qualität oder wiederholen sich die Muster?
Die Argumentation hat sich etwas geändert. Am Anfang stand der Gesundheitsschutz im Vordergrund, also die Frage, ob gentechnisch veränderte Lebensmittel unsere Gesundheit mittel- und langfristig gefährden können. Heute stehen andere Anliegen im Vordergrund: die industrialisierte Landwirtschaft, die Abhängigkeit von Großkonzernen, langfristige ökologische Veränderungen, wie die nach Erhalt der Biodiversität, wenn sich die Nahrungskette auf wenige gentechnisch veränderte Pflanzen beschränkt.
Warum wird um die Grüne Gentechnik so erbittert gestritten?
Hier prallen zwei unterschiedliche Entwürfe für die zukünftige Ernährung und Landwirtschaft aufeinander. Zum einen ist da die Vision einer naturnahen Landwirtschaft, getragen von kleinen ländlichen Betrieben, die sich und die umgebende Bevölkerung ausreichend ernähren können und dabei gleichzeitig auf ökologische Werte, wie hohe Bodenqualität, achten. Ziel ist die Selbstversorgung in einer Region, weniger der Export. Dieser Entwurf funktioniert global nur, wenn wir unsere Ernährung von Fleisch auf mehr pflanzliche Kost umstellen und auch höhere Preise für Lebensmittel tolerieren. Beim Gegenentwurf ist die Landwirtschaft ein Wirtschaftsfaktor wie jeder andere, mit hohem Modernisierungspotenzial auf der Basis von Digitalisierung und Gentechnik. Es geht um mehr Effizienz und Erhöhung der Erträge, weil immer weniger Boden zur Verfügung steht. Wegen der weiter steigenden Weltbevölkerung muss in dieser Vision die Produktivität enorm gesteigert werden. Dieser Entwurf würde eine Änderung unserer Ernährung nicht erforderlich machen und auch einen hohen Fleischbedarf in den sich entwickelnden Ländern verkraften. Gentechnik ist dabei nur ein Baustein unter vielen: Letztendlich sind es in dieser Vision die global agierenden Agrarkonzerne, die weltumspannend die Bodenbewirtschaftung für Nahrungsmittel oder Biostoffe mithilfe modernster Technik übernehmen.
Ist die Debatte um Grüne Gentechnik also eine Stellvertreterdiskussion?
Ja. Die Grüne Gentechnik ist ein Sündenbock, aber damit noch lange kein Unschuldslamm. Sie wird für vieles verantwortlich gemacht, wofür sie nichts kann. Gleichzeitig ist sie ein Symptom für diese zweite Vision, da sie für effiziente und industrielle Landwirtschaft steht.
Der Bioökonomierat fordert neue Formen des gesellschaftlichen Dialogs zu Genome Editing. Diese sollten sich nicht auf einen Austausch zwischen organisierten Interessengruppen beschränken. Was halten Sie davon?
Es gibt viele Bemühungen, auch des Bioökonomierates, zwischen beiden Visionen zu vermitteln, teilweise auch von Firmen. Bayer legt zum Beispiel ein neues Programm auf, das vor allem Kleinbauern in Entwicklungsländern helfen soll, ein gewisses Maß an Autarkie zu erhalten und gleichzeitig einen Produktivitätsfortschritt einzuleiten. Die Botschaft lautet wohl, dass auch die großen Agrarfirmen kein Interesse daran haben, alles in große Agrofarmen umzuwandeln. Es gibt also eine Reihe von Zwischentönen in der Debatte. Die reine Konfrontation ist zurückgetreten, die leiseren Töne werden jetzt auch stärker gehört. In Gremien und öffentlichen Diskussionen bemerkt man das Bestreben, von den extremen Positionen wegzukommen und einen sinnvollen Kompromiss zu finden.
Gibt es schon Formate und Verfahren für diesen breiteren gesellschaftlichen Dialog?
Es gibt so etwas in Ansätzen. Die Initiative sollte von einer Bundes- oder Landesregierung ausgehen, aber nicht parteigebunden. Wichtig wäre dabei der Einsatz einer Steuerungsgruppe, in der alle wesentlichen Parteien vertreten sind, und dann ein Runder Tisch mit allen interessierten Parteien, wo man unter professioneller Moderation zusammenkommt und gemeinsame Probleme definiert und Lösungsoptionen entwickelt. Der Bioökonomierat ging schon in diese Richtung. Ich würde es nur schärfen in Richtung eines gemeinsamen Zukunftsbildes zum Thema Landwirtschaft und Ernährung 2030 oder sogar 2040. Und natürlich muss man auch bei der Perspektive 2040 fragen: Was muss heute getan werden, damit wir unsere Vision von 2040 verwirklichen können? Ob das eher eine Ernährungswende oder eine Ernährungsevolution gibt, ist dann zu diskutieren.
Wird die Debatte eine neue Qualität erreichen, wenn man sie in einen größeren Rahmen setzt?
Das ist noch ein bisschen Wunschdenken. Ich sehe aber in naher Zukunft die Chance dafür gekommen. Noch ist es nicht so weit.
Aktueller Hinweis:
Das Bundesinstitut für Risikobewertung führt ab August 2019 eine Verbraucherkonferenz zur Gen-Chirurgie durch.
Jetzt weiterlesen: Interview | Prof. Dr. Regina Birner
An Grüner Gentechnik scheiden sich hierzulande weiterhin die Geister. Das scheint auch für CRISPR/Cas und andere Genome-Editing(GE)-Techniken zu gelten. Welche Folgen hat das für die Bioökonomie, die in wesentlichen Bereichen auf Biotechnologie setzt? Die Expertin Prof. Dr. Regina Birner spricht über Herausforderungen der globalen Ernährungssicherung und der Entwicklung einer nachhaltigen Landwirtschaft.