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Reststoffe aus Biogasanlage als Futter für Algen
Algen sind genügsame Lebewesen. Sie produzieren Biomasse und brauchen nicht mehr dazu als Licht, Wasser, Mineralien und Kohlenstoffdioxid. Nun sollen diese Eigenschaften wirtschaftlich genutzt werden: Dr. Stefan Sebök von der Universität Hamburg möchte in einem zweijährigen Forschungsprojekt die ganzheitliche Verwertung von Abprodukten aus der Biogasanlage in Wallerstädten testen, indem er sie mit einer landgestützten Algenkultur verknüpft.
Vermutlich werden Algen auf unserem Speisezettel eine immer wichtigere Rolle spielen. Dies öffnet nicht nur neue Möglichkeiten in der Lebensmittelproduktion, es liefert auch eine innovative Strategie, biologische Stoffkreisläufe konsequent zu nutzen und erneuerbare Energien gezielt einzusetzen. In dem drittmittelgeförderten Projekt am Lehrstuhl für Aquatische Ökophysiologie und Phykologie der Universität Hamburg unter Leitung von Prof. Dr. Dieter Hanelt möchte der Wissenschaftler Dr. Stefan Sebök die Reststoffe verwerten, die an der Biogasanlage anfallen. Ebenso soll auf den Einsatz fossiler Energien sowie auf künstlichen Pflanzendünger verzichtet werden. Zusammen mit Biolandwirt Stefan Ruckelshaußen, dem Betriebsleiter der Biogasanlage in Wallerstädten (Stadtwerke Groß-Gerau Versorgungs GmbH), zeigt Sebök seit November 2018, dass für eine Zucht von Großalgen kein Meer gebraucht wird. Sebök studierte in Jena Biologie, Wirtschaftswissenschaften und Informatik, per Fernstudium später Abfall- und Deponiewirtschaft sowie Ökonomisches Umweltmanagement.
Gärreste, Wärme und CO2 für die Algen
Biogas wird durch Gemeinschaften von Mikroorganismen erzeugt, die fast alle organischen Stoffe abbauen und so nahezu jede Art von Biomasse vergären können. Als hochwertiger regenerativer Energieträger kann Biogas durch Blockheizkraftwerke in elektrische Energie und Wärme umgewandelt, als Kraftstoff genutzt oder in bestehende Erdgasnetze eingespeist werden. Die Biogastechnologie hat noch viele Vorteile: Biogas kann stets produziert werden und ist damit unabhängig von Sonne und Wind. Gleichzeitig wird nur der vorher in Pflanzen gebundene Kohlenstoff als CO2 freigesetzt und trägt so zur Verminderung des Treibhauseffektes bei. Die Abprodukte der Biogasproduktion sind das, was neben der Gaserzeugung hinten rauskommt, also Wärme, CO2 und die Gärreste als schwer abbaubares organisches und anorganisches Material. „Die Idee ist nun, diese Nebenprodukte für eine Algenkultivierung zu nutzen und den Rohstoff der Algenbiomasse weiter zu verwerten“, erklärt Sebök den alternativen Verwertungsansatz. Eine glückliche Verknüpfung, denn diese Abprodukte kurbeln das Algenwachstum an, da sie die Bedürfnisse der Wasserpflanzen befriedigen. Das CO2 kann als Kohlenstoffquelle in die Algenkultur geleitet werden, die Gärreste liefern wertvolle Mineralien und Nährstoffe. Sebök möchte nun untersuchen, unter welchen Umständen die Alge am produktivsten ist.
Reststoffe werden hochwertiges Produkt
Bisher hat niemand Makroalgenkulturen in eine Biogasanlage integriert, doch es ist aus vielen Gründen eine clevere Idee. Gärreste wurden zwar auch vorher als Dünger benutzt, mussten jedoch laut Düngemittelverordnung vor der Ausbringung drei bis sechs Monate gelagert werden. „In dieser Zeit kann man das Nährstoffpotenzial des Gärrestes nicht nutzen“, sagt Sebök, „er kann nicht aufs Feld und nicht den Pflanzen zugeführt werden.“ Mit der Auftrennung in Fest- und eine Flüssigphase der Gärreste können die flüssigen Anteile ohne Lagerung den Algen zugeführt werden. Bei der Biogasproduktion geht ein großer Teil des wertvollen pflanzlichen Kohlenstoffs als CO2 verloren. Mit bis zu 40 Prozent ist Kohlendioxid im Biogas enthalten, jedoch kann dieser nicht energetisch genutzt, wohl aber stofflich verwertet werden. „Es wäre schön, wenn man diese 40 Prozent wieder fixieren könnte, so wie Algen das tun, indem sie ihn in ihre Biomasse integrieren“, so der Ökologe.
Die Abwärme aus dem Prozess der Biogaserzeugung lässt sich tatsächlich nur energetisch nutzen. Viele Anlagen haben dennoch kein effektives Wärmekonzept und pusten die Wärme in die Halle oder nach außen. Nimmt man die Wärme und leitet sie durch Wärmetauscher, kann sie für die Kühlung der Kulturen verwendet werden, da die Algen je nach Art vorzugsweise unter 20 °C gedeihen. Sebök: „So schieben wir eine neue Wertschöpfungsstufe ein und haben die Ressourcen besser genutzt!“
Meersalat als Superfood?
Auch die Alge selbst kann vielseitig verwendet werden – das zweite große Ziel des Projekts. Ulva lactuca, der Meersalat, wächst im Meer und Brackwasser sehr schnell und kann bei guten Bedingungen seine Biomasse in drei bis vier Wochen verdoppeln. Die Alge kann dann getrocknet und wie gewünscht verwendet oder als Salat zubereitet werden. Sie ist eiweißreich, enthält kaum Fett oder Kalorien und liefert viele wichtige Nährstoffe. In Asien sind Algen als Lebensmittel schon weit verbreitet. Zukünftig können Algen aber auch als alternative Eiweißquelle dienen. „Bezogen auf die Trockensubstanz haben die Algen mit bis zu 40 Prozent einen sehr hohen Proteingehalt, das ist im Bereich von Soja“, erklärt Sebök. Ebenso kann der Meersalat als Viehfutter oder Düngemittel gewonnen werden oder auch in der Kosmetik und Pharmaindustrie tun sich verschiedenste Anwendungen auf. Selbst Treibstoff wäre denkbar: Gegenüber Raps haben Makroalgen den Vorteil, dass sie keine landwirtschaftlichen Flächen verbrauchen würden. Man kann sie im eigenen Garten, in Tanks oder sogar vertikal an Hausfassaden züchten. Derzeit gibt es noch keine Verwertungsstrategie für Makroalgen.
Sebök hofft, dass dies automatisch kommt, wenn das Projekt zeigt, dass die Produktion in entsprechend hohen Mengen möglich ist. „Bei einer wirtschaftlichen Betrachtung wählen wir die hochpreisigste Verwertungsart“, sagt Sebök, „als Lebensmittel werden Preise von bis zu 180 Euro pro Kilo Trockenmasse angegeben.“ Die Düngemittelindustrie würde nur ein bis zwei Euro pro Kilo zahlen und selbst, wenn sie 20.000 Tonnen pro Jahr nehmen, rechnet sich das nicht. Einen Markt gäbe es auf jeden Fall, vielleicht sogar im Superfood-Bereich, der momentan noch von den Mikroalgen dominiert ist.
Anbau ohne Meer und Küste
Die meisten Leute, die marine Makroalgen kultivieren, arbeiten mit Meerwasser. Sebök und sein Team tun dies landgestützt mit aufgesalztem Süßwasser. „Wir sind weltweit die ersten, die das so machen und wir sind drauf angewiesen, da Hessen einfach zu wenig Meerzugang hat…“, scherzt der Biologe. Insgesamt hat Deutschland wohl auch zu wenig Küste für eine wirtschaftliche Nutzung, denn in der Ostsee ist der Salzgehalt für die Algen zu niedrig und an der Nordsee ist das Wattenmeer überall Nationalpark. Die Aufsalzung des Süßwassers klingt dramatischer, als sie ist. Während in anderen Ländern das Meerwasser entnommen, 20-mal pro Tag durch die Tanks hindurch und wieder hinausgeleitet wird, reicht es hier, das Süßwasser einmalig aufzusalzen und dann einmal pro Woche mit einem Filter zu reinigen. Denn auch die energetische Betrachtung ist Teil des Projekts. Sebök arbeitet eng mit seinen Projektpartnern zusammen: Von der Sylter Algenfarm bezog Sebök die ersten Algen für seine Versuche. Die Ingenia GmbH widmet sich der CO2-Anreicherung und Temperierung des Kulturmediums sowie der schonenden Trocknung der Algen. Palaterra, ein Hersteller von Erde und Kompost, erforscht die präzise Auftrennung der Gärreste in hochwertige Algendüngemittel.
Insgesamt soll ein wirtschaftliches Nachnutzungsmodell geschaffen werden, das zukünftig auch dazu beitragen soll, weitere Biogasanlagen landwirtschaftlich aufzuwerten. „Wir müssen natürlich noch in großem Maßstab prüfen, ob das auch in einer realitätsnahen und wirtschaftlichen Dimension funktioniert“, sagt Sebök. Derzeit hat er zwei Tanks mit Algen in einer Halle, die je 2.000 Liter fassen, doch im Frühjahr möchte er nach draußen, ins Sonnenlicht und auf fünf Tanks je 25.000 Liter erhöhen. „Wenn der Biomasseertrag der Algen mit dem CO2 und den Gärresten aus der Biogasanlage stimmt, dann könnte man die Algen als Substrat für die Biogasproduktion einsetzen. Das wäre ein wunderbarer Kreislauf“, so der Forscher.