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pre-Start-up Wheyfinery

Sauermolke als wertvoller Rohstoff für Plattformchemikalien und mehr

Mit Sauermolke kann man nicht besonders viel anfangen. Deshalb werden mehrere Mio. Liter dieses Abfallprodukts der milchverarbeitenden Industrie jedes Jahr entsorgt – teuer und nicht sehr nachhaltig. Dabei geht es auch anders, wie Forschende der Universität Tübingen zeigen: Sie stellen Bioöl als Grundstoff für Kraftstoff, Feinchemikalien oder antimikrobiellen Tierfutterzusatz aus der Sauermolke her. Mit dem pre-Start-up Wheyfinery möchten sie ihr skalierbares Bioraffineriekonzept für die Zukunft marktfähig machen.

Eine Glasflasche halbvoll mit gelblicher Sauermolke.
Sauermolke ist ein Abfallprodukt, das bei der Milchverarbeitung in großen Mengen anfällt. Forschende der Universität Tübingen können nun zeigen, dass sie als Rohstoff für Wertvolles genutzt werden kann. © Universität Tübingen

Durchschnittlich konsumiert jeder von uns in Deutschland mehr als 100 kg Milchprodukte im Jahr.1 Was gesund und natürlich klingt, ist aber nicht gut für die Umwelt: Von jeder Joghurt-, Quark- oder Frischkäseportion, die wir essen, fällt eine riesige Menge Abfall in Form von Molke an – rund 13 Mio. Tonnen jährlich.2 Hat der gelbliche, wässrige Reststoff aus der Milch einen nahezu neutralen pH-Wert von 5,5 - 6, dann wird er als Süßmolke bezeichnet und kann noch weiterverarbeitet werden – etwa als Proteinpulver für Kraftsportler, Tiernahrung, Wellness-Getränk oder in Kosmetika. Sobald aber Milchsäurebakterien bei der Herstellung der Milchprodukte beteiligt sind, fällt Sauermolke mit einem pH-Wert von rund 4 und einem geringeren Proteingehalt an, sodass die Weiterverarbeitung unwirtschaftlich, die Entsorgung jedoch gleichzeitig teuer und energieintensiv ist.


Eigentlich zu schade, wie der Umweltbiotechnologe Prof. Dr. Largus Angenent fand, denn Sauermolke enthält ebenso wie ihr „süßes“ Pendant wertvolle Inhaltsstoffe, die für Mikroorganismen noch sehr schmackhaft sind und daher genutzt werden können. Angenent, der heute als Humboldt-Professor am Zentrum für Angewandte Geowissenschaften der Universität Tübingen die Arbeitsgruppe Umweltbiotechnologie leitet, begann schon vor Jahren in den USA, das Potenzial von Sauermolke zu erforschen und brachte die Idee mit nach Tübingen. Hier werden seit 2019 im vom BMBF geförderten Projekt MolkeKraft gemeinsam mit Prof. Dr. Falk Harnisch vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) Technologien entwickelt, um mittels kombinierter mikrobiologischer und elektrochemischer Reaktionen aus Sauermolke synthetische Kraftstoffe oder grüne Chemikalien herzustellen. Das doppelt Positive daran: Nicht nur die Abfallmenge kann deutlich reduziert werden, sondern auch noch fossile Rohstoffe ersetzt und ökologisch und sozial bedenkliches Palmöl eingespart werden.

Bakterien machen Bioöl aus Sauermolke

Eine bunt gezeichnete Übersicht über das Verfahren von der Kuh bis zur Tankstelle.
Im Projekt MolkeKraft wurde ein Verfahren entwickelt, um synthetische Kraftstoffe oder grüne Chemikalien aus dem Reststoff Sauermolke herzustellen. © Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung GmbH - UFZ / Susan Walter

„Der Bedarf der milchverarbeitenden Unternehmen an Verwertungsmöglichkeiten für Sauermolke ist groß“, berichtet Dr. Richard Hegner, Post-Doc in Angenents Team und von Anfang an im Projekt dabei. „Sauermolke wird aktuell praktisch nicht wirtschaftlich genutzt, sogar ihre Verwendung in Biogasanlagen ist zu unwirtschaftlich. Deshalb war unsere Motivation, dass es eine tolle Sache wäre, wenn man aus diesen Unmengen an Sauermolke etwas Sinnvolles machen könnte.“ Mit Erfolg, das Verfahren steht und funktioniert – ein temperaturkontrollierter, natürlicher Fermentationsprozess zur Herstellung von biobasiertem Öl.3 Herzstück der Bioraffinerie ist ein GMO-freier Mix (GMO: gentechnisch modifizierte Organismen) aus Mikroorganismen, die natürlicherweise in der Umwelt vorkommen. In diesem offenen biotechnologischen System führen die winzigen lebenden Bioreaktoren die nötigen Reaktionen in zwei Stufen ganz ohne Zusatz weiterer Ressourcen aus – einfach, aber effizient.

Hauptsubstrat der Mikroorganismen ist der in der Sauermolke noch reichlich vorhandene Milchzucker - Laktose -, aus dem in der 1. Stufe des Verfahrens zunächst das Zwischenprodukt Milchsäure - Laktat - entsteht. Diese wird dann in einer 2. Stufe in ein Gemisch aus mittellangkettigen Fettsäuren – Carbonsäuren mit sechs bis acht Kohlenstoffatomen – umgewandelt, ein wertvoller Mix aus Molekülen mit öligen Eigenschaften, der auf verschiedene Arten weiter genutzt werden kann.

Fossile Rohstoffe ersetzen, Palmöl und Antibiotika reduzieren

„Interessanterweise lassen sich die aus der Sauermolke hergestellten Carbonsäuren elektrochemisch zu einem Gemisch aus Kohlenwasserstoffen veredeln, die in ihrer Zusammensetzung dem Kerosin sehr ähnlich sind“, erklärt Hegner. „Dieses elektrochemische Verfahren wurde von unseren Partnern am UFZ entwickelt4 und kann in eleganter Weise als Power-to-Fuel-Ansatz mit Elektrizität aus erneuerbaren Energien gespeist werden. Darüber hinaus entsteht in diesem Prozess Wasserstoff als Co-Produkt.“

Neben der Veredelung von Sauermolke zu synthetischen Kraftstoffen werden aber auch andere Anwendungen anvisiert. „Aus dem im Bioöl enthaltenen Carbonsäuren lassen sich Feinchemikalien für Duft- und Aromastoffe in Kosmetika, aber auch für die Lebensmittelindustrie herstellen“, sagt der Umweltbiotechnologe. „Diese werden aktuell oft aus nicht nachhaltigem Palmkernöl extrahiert. Eine weitere interessante Anwendungsmöglichkeit ist der Einsatz als Tierfuttermittelzusatz, denn die biologisch hergestellten Carbonsäuren haben einen hohen Nährwert und wirken zusätzlich auch noch antimikrobiell. Als Beimischung zum Tierfutter könnte das Bioöl also dazu beitragen, Antibiotika in der Tierfütterung zu reduzieren.“

Pre-Start-up Wheyfinery: Grüne Plattformchemikalien für zirkuläre Wertschöpfung und Sektorenkopplung

Die Sauermolke erhalten die Forschenden aus Tübingen direkt aus den Produktionsprozessen größerer Firmen der milchverarbeitenden Industrie. „Wir bekommen die Sauermolke regelmäßig in 300-Liter-Tanks angeliefert“, berichtet Hegner. „Die Sauermolke wandeln wir dann in unserem Labor, wo der Prozess aktuell im 2- bis 3-Liter-Maßstab seit über 700 Tagen kontinuierlich und stabil durchläuft, zu Carbonsäuren um. Diese werden kontinuierlich extrahiert und entweder in Form von Carbonsäure-Salzen im elektrochemischen Prozess unserer Partner vom UFZ umgewandelt oder lassen sich über Destillation zu den jeweiligen Carbonsäure-Bioölen fraktionieren.“

Der Umweltbiotechnologe bei der Preisverleihung mit einem Scheck und einem Pokal in der Hand.
Dr. Richard Hegner ist Sieger des „Start-up BW Elevator Pitch“ Tübingen und für das Landesfinale im Juli 2022 nominiert. © Start-up BW

Das Verfahren zur Herstellung mittellangkettiger Carbonsäuren funktioniert erwiesenermaßen – viele gute Gründe also, um Sauermolke zukünftig bioökonomisch sinnvoll zu recyceln. Damit die Technologie jedoch nicht nur im kleinen Labormaßstab der Universität verbleibt, sondern auch in der Praxis unseres Alltags ankommt, entschlossen sich die Tübinger Wissenschaftler, eine Unternehmensgründung anzugehen: Wheyfinery („Molke-Raffinerie“) ist ein pre-Start-up, das sich auf den konkreten Einstieg als Firma vorbereitet. „Unsere forschungsgetriebene Ausgründungsidee steht derzeit im Raum. Wir streben die Möglichkeit zur Förderung über das EXIST-Förderprogramm des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz an, wenn die Förderung des BMBF für das Projekt dieses Jahr ausläuft.“

Noch steht Wheyfinery ganz am Anfang. Dass das Konzept aber eine gute Sache ist, fanden auch bereits andere: Als Sieger des Gründungswettbewerbs „Start-up BW Elevator Pitch“ Tübingen ist die Geschäftsidee für das Landesfinale im Juli 2022 nominiert. Derzeit besteht das Wheyfinery-Team aus Angenent, der auch bereits Gründer der Firma Capro-X in den USA ist, Hegner, Doktorandin Monika Temovska und einigen fleißigen Studierenden als Unterstützung. „Da wir aber alle Forschende sind und ein solches Unternehmen auch noch andere Expertise braucht, wird zunächst die Erweiterung des Teams um Fachleute hinsichtlich Qualitätskontrolle, Buchhaltung und Business Development angestrebt“, so der Wissenschaftler. „Parallel wollen wir dann die Pilotanlage mit einem Arbeitsvolumen von 50 bis 70 Litern – die wir gerade bauen – in Betrieb nehmen.“ Auch eine Ausweitung auf andere Abfallstoffströme der milchverarbeitenden Industrie ist möglich – aktuell liegt der Fokus jedoch auf der Sauermolke.

Quellen

1) Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft: Versorgungsbilanz Milch und Milcherzeugnisse 2020. www.bmel-statistik.de/ernaehrung-fischerei/versorgungsbilanzen/milch-und-milcherzeugnisse/

2) Forschungskreis der Ernährungsindustrie e.V.: „Nicht-bittere Frischkäse-Produkte aus Mikrofiltrations-Vollkonzentraten – Sauermolkefreies Processing (2017).

3) Xu, J. et al. (2018): „Temperature-Phased Conversion of Acid Whey Waste Into Medium-Chain Carboxylic Acids via Lactic Acid: No External e-Donor“. Joule 2, 280 – 295.

4) Urban, C. et al. (2017): „Production of drop-in fuels from biomass at high selectivity by combined mircrobial and elecrtochemical conversion“. Energy Environ, Sci 10, 2231.

Seiten-Adresse: https://www.biooekonomie-bw.de/fachbeitrag/aktuell/sauermolke-als-wertvoller-rohstoff-fuer-plattformchemikalien-und-mehr