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Schwäbischer Lavendelanbau: ästhetisch und nachhaltig
Blau-violette, duftende Felder wie in der Provence sollen in Zukunft auch auf der Schwäbischen Alb ein normaler Anblick sein. Im Projekt AlbLavendel starteten die Universität Hohenheim, die Firma naturamus GmbH und die Deutschen Institute für Textil- und Faserforschung Denkendorf erste Untersuchungen zum regionalen Anbau von Lavendel sowie zur Produktion ätherischer Öle und Nutzung von Destillationsresten für die Herstellung von Textilfasern.
Als Folge industrieller Produktionstechniken, zunehmender Spezialisierung und weltweiter Vermarktung spielen regionale Wertschöpfungsketten heutzutage nur noch eine untergeordnete Rolle. Seit einigen Jahren findet allerdings ein Umdenken statt, denn kurze Transportwege sowie die lokale Rohstoffverarbeitung reduzieren nicht nur den ökologischen Fußabdruck, sondern können Arbeitsplätze schaffen und ländliche Regionen stärken. Zusätzlich steigt die Transparenz der Lieferketten, und die Beeinträchtigung durch globale Ereignisse verringert sich.
„Wir stellen unsere Rohstoffe gerne selber her, da wir so die Qualität gut kontrollieren können“, erklärt die Ernährungs- und Agrarwissenschaftlerin Maria Tippmann von der naturamus GmbH in Aichelberg. Das Tochterunternehmen der WALA Heilmittel GmbH ist nicht nur verantwortlich für den Einkauf von fast 1.000 Rohstoffen zur Herstellung von Naturkosmetika und anthroposophischen Arzneimitteln, sondern produziert in seiner Ölmanufaktur durch Pressen von eingelagerten Samen und Nüssen auch selbst fette Öle, also flüssige Fette (Triglyceride). Des Weiteren arbeitet die Firma in ihrem Bereich für Destillation und Analytik unter anderem ätherische Öle weiter auf. Diese aus Blüten, Blättern oder Früchten gewonnenen Stoffgemische sind leicht flüchtig und werden direkt nach der Ernte im Anbauland hergestellt.
Regionaler Lavendelanbau auf dem Prüfstand
Der 2020 zur Arzneipflanze des Jahres gekürte Echte Lavendel Lavandula angustifolia wird bereits seit Jahrhunderten als Heilmittel zur Beruhigung und Entspannung bei Stress, Schlaflosigkeit und Angstzuständen genutzt.1) Auch im alten Rom und bei den Griechen fand Lavendel, dessen Name sich vom lateinischen Verb lavare für waschen ableitet, als Duftstoff und Badezusatz Verwendung (damals allerdings bevorzugt der Schopflavendel). Der aromatische, kleine Strauch entstammt den Küstenregionen des Mittelmeeres und benötigt viel Sonne, aber nur einen nährstoffarmen Boden. Bekannt ist vor allem die Provence als großes Anbaugebiet, inzwischen zählt aber auch Bulgarien zu den Hauptproduzenten von Lavendelöl.
Die Idee, die Pflanze auf der Schwäbischen Alb zu kultivieren und daraus vor Ort das beliebte und häufig verwendete ätherische Öl herzustellen, entstand bei der WALA bereits vor 20 Jahren. Im Rahmen einer geplanten Bioökonomiekooperation zwischen Ralf Kunert, dem Geschäftsführer der naturamus, Dr. Sabine Zikeli vom Zentrum Ökologischer Landbau der Universität Hohenheim und PD Dr. Thomas Stegmaier von den Deutschen Instituten für Textil- und Faserforschung Denkendorf (DITF) wurde der Gedanke wieder aufgenommen und um den Aspekt der Fasergewinnung erweitert. Denn das im Rahmen der Landesstrategie Nachhaltige Bioökonomie vom Ministerium für Ernährung, Ländlichen Raum und Verbraucherschutz (MLR) von August 2021 bis Ende 2022 geförderte Projekt AlbLavendel zielt auf eine umfassende Verwertung der Pflanze ab.
Im ersten Schritt entschieden sich die Kooperationspartner für drei französische sowie zwei bulgarische Sorten des Echten Lavendels. Die ausgewählten Standorte in Hülben in der Nähe von Reutlingen, Bichishausen bei Münsingen und Bad Boll im Landkreis Göppingen repräsentieren unterschiedliche Wachstumsbedingungen auf der Schwäbischen Alb. „Leider kamen die Stecklinge sehr spät, sodass wir sie erst Ende November 2021 einpflanzen konnten“, erzählt Carolin Weiler, die für den Anbau verantwortliche Wissenschaftlerin aus Hohenheim. Da sich die Pflanzen bereits in der Winterruhe befanden, konnten ihnen die kurz darauf einsetzenden Nachtfröste glücklicherweise nicht mehr viel anhaben. Im Gegensatz dazu erfror die einzige aus Samen gezogene französische Sorte vollständig und musste im folgenden Sommer nachgepflanzt werden. In Hülben war es im November allerdings zu feucht, sodass die hierfür gedachten Pflanzen eingelagert wurden und erst im Frühjahr 2022 aufs Feld kamen. Weiler schildert: „Das hat sich im Nachhinein als Glücksgriff herausgestellt, dieser Standort steht derzeit am besten da. Idealerweise sollte im Frühjahr oder September gepflanzt werden, damit die Sträucher Zeit haben, sich zu etablieren.“
Zum Pflanzen nutzte die Wissenschaftlerin in den Betrieben vorhandene Maschinen, die eigentlich für Lauch gedacht sind. Dies erforderte vorab das Kürzen von Wurzeln und Blättern und somit zusätzlich viel Handarbeit. Die einzelnen Sorten wurden jeweils in drei mindestens 90 m langen Streifen in drei Wiederholungen kultiviert, sodass sich an jedem Standort ein Versuchsfeld von 0,6 bis 0,7 ha ergab.
Erste Aussagen über Wachstumsverhalten bereits möglich
Schon im ersten Jahr zeigten sich deutliche Unterschiede, sowohl zwischen den Lavendelvarianten als auch den Anbaugebieten. In Bad Boll auf einer Höhe von etwas über 400 m über Normalhöhennull (NHN) entwickelten sich alle Pflanzen ein bis zwei Wochen schneller als an den beiden anderen Standorten, die auf einer Höhe von ungefähr 700 m ü. NHN liegen. Die bulgarischen Sorten blühten überall etwa zwei Wochen eher als die französischen und gediehen insgesamt besser als diese. Da die Pflanzen für eine gute Ölausbeute möglichst kräftig und buschig sein sollten, wurde der überwiegende Teil allerdings bereits vor der Blüte zurückgeschnitten, und es blieben jeweils nur einige Exemplare für die Wachstumsanalysen stehen.
„Zur Qualität der Öle können wir bisher kaum etwas sagen“, führt Tippmann aus. „Zurzeit [Juli 2023] finden die ersten Ernten in Bad Boll statt. Die Ausbeute liegt bei etwa zwei Prozent und damit in einem ähnlichen Bereich wie bei anderen Lavendelölproduzenten. Das heißt, aus 10 kg Pflanzenmaterial gewinnen wir ungefähr 200 g Öl.“ Geerntet werden vorzugsweise nur die Blüten, idealerweise bei trockenem Wetter am Nachmittag. Da Lavendelbüsche aber auch seitliche, niedrigere Triebe ausbilden, ist die Einstellung der Erntemaschine nicht so einfach, und das Schnittgut enthält immer einen gewissen Anteil an Stängeln.
Mittels Wasserdampfdestillation wird dann das ätherische Öl gewonnen. Die Rohstoffeinkäuferin ergänzt: „Für den Vergleich ernten und verarbeiten wir die Pflanzen von jedem Standort sortenrein. Die Sensorik lässt sich allerdings erst nach einigen Wochen bewerten, denn die enthaltenen Komponenten reagieren noch miteinander oder dampfen auch ab.“
Jede Sorte hat ihr eigenes Aroma, das mitgeerntete Beikraut kann jedoch einen Einfluss haben. „Vor allem in den ersten Jahren, bis die Reihen geschlossen sind, erfordert der Lavendelanbau viel Handarbeit, man muss ausgiebig Unkraut hacken“, berichtet Weiler aus eigener Erfahrung. Erfreulicherweise stehen die Pflanzen, wenn sie schädlingsfrei bleiben, dann aber bis zu 20 bis 25 Jahre auf dem Feld, sodass sich der Aufwand lohnt.
Grundlegende Arbeiten zur Fasergewinnung abgeschlossen
Neben der Herstellung ätherischer Öle hat das Projekt AlbLavendel außerdem die Verwertung der Destillationsreste zum Ziel. „Wir haben im letzten Jahr bereits die Möglichkeiten erarbeitet, wie man hieraus Fasern gewinnen kann“, vermeldet Stegmeier. Dies war durchaus eine Herausforderung, denn zur Textilherstellung werden relativ feine Fasern benötigt, um die Hautverträglichkeit zu gewährleisten. Zudem stellt die Lavendelpflanze eine Ausnahme dar, denn bei ihr befinden sich die Fasern nicht in, sondern unter der Rinde, jeweils in den „Ecken“ des Pflanzenhalmes. Für die bisherigen Untersuchungen nutzten der Ingenieur und sein Team Material aus Frankreich. „Die Trennung der Elementarfaser vom Ligningerüst [verholzte Pflanzenteile, Anm. d. Red.] war die entscheidende Aufgabe. Dies ist uns mit Hilfe von Enzymen gelungen, und wir konnten schlussendlich Garne ausspinnen, die für Bekleidung tauglich sind.“ Die Faserausbeute aus den Destillationsresten beträgt zwischen fünf und zehn Prozent.
Doch es gibt noch viele offene Fragen. Da für die Faserproduktion nur Stängel benötigt werden, könnte es sinnvoll sein, diese vor der Destillation von den Blüten zu trennen. Ob sich die Fasern allerdings genauso gut oder vielleicht sogar besser aus frischen Pflanzen gewinnen lassen, muss noch untersucht werden.
Weitere Finanzierung notwendig
Momentan liegen die Arbeiten an den DITF aber auf Eis, da die Förderung auslief und es an Zeit und Ressourcen fehlt. Aus demselben Grund musste auch die Universität Hohenheim ihre Aktivitäten zurückfahren. Trotzdem sind alle Beteiligten weiterhin sehr interessiert an AlbLavendel und hoffen, dass es bald weitere finanzielle Unterstützung gibt, sodass die Vision von Naturkosmetik aus regionalen Inhaltsstoffen kombiniert mit nachhaltigen Textilien verwirklicht werden kann. Schon jetzt zeigt sich aber, dass die ästhetischen Lavendelfelder großes Interesse in der Bevölkerung hervorrufen.
Literatur:
1) Echter Lavendel: Arzneipflanze des Jahres 2020. Pharmazeutische Zeitung. https://www.pharmazeutische-zeitung.de/arzneipflanze-des-jahres-2020-114013/