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CRISPR/Cas9 und die Gentechnik-Gesetze

Transgen-freie Pflanzenzüchtung durch Genome Editing

Tübinger Pflanzengenetiker haben durch Genomdeletion mittels CRISPR/Cas9 in kurzer Zeit eine gegen Mehltau resistente Tomate gezüchtet. Sie konnten zweifelsfrei zeigen, dass die neue Sorte keine Fremd-DNA enthält und nicht von natürlich vorkommenden Deletionsmutanten zu unterscheiden ist. Die Arbeit liefert einen überzeugenden Nachweis, wie realitätsfern und wissenschaftsfeindlich die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs war, neue Züchtungstechniken wie das Genome Editing stets unter die Auflagen der Gentechnik-Gesetze zu stellen. Dieses Urteil sollte revidiert werden.

Tomate Blatt Echter Mehltau
Mehltau auf einem Tomatenblatt © Goldlocki (GFDL)

Vor dem Hintergrund des globalen Klimawandels und der Begrenzung und fortschreitenden Zerstörung natürlicher Ressourcen muss man zweifeln, ob die für die wachsende Weltbevölkerung notwendige Steigerung der landwirtschaftlichen Produktion überhaupt noch möglich ist. Umso wichtiger ist es, Nutzpflanzen zu züchten, die besser an schwierige Umweltbedingungen angepasst sind – seien es erhöhte Temperaturen, geringere Niederschläge, versalzte Böden oder neue Schädlingsepidemien. Um diesen Herausforderungen zu begegnen, setzen Pflanzengenetiker große Hoffnungen in die neuen, vergleichsweise billigen und einfach zu handhabenden Genomeditierungs-Verfahren, mit denen Gene gezielt und punktgenau verändert werden können. Diese neuen Techniken sind in ihrer Effizienz, ihren Kosten und ihrer Geschwindigkeit den Methoden der konventionellen Pflanzenzüchtung weit überlegen.

Eine Mehltau-resistente Tomate durch Genome Editing

Besonders das auf dem CRISPR/Cas9-System beruhende Genome Editing hat sich innerhalb weniger Jahre zu einer weltweit genutzten Methode entwickelt, um Gene zu erforschen und Pflanzen mit verbesserten Eigenschaften für eine sich verändernde Umwelt zu züchten. Die durch CRISPR/Cas9 gesetzten Genveränderungen (Mutationen) unterscheiden sich nicht notwendigerweise von entsprechenden Mutationen, die auch durch klassische Züchtungsverfahren entstehen können. Während sie aber mit der neuen Technik zielgerichtet und punktgenau gesetzt werden können, entstehen die Mutationen in der klassischen Pflanzenzucht zufällig (häufig induziert durch radioaktive Bestrahlung) und müssen erst durch aufwendige, oftmals Jahre andauernde Rückkreuzungsexperimente selektioniert werden. Der immense Vorteil der neuen Technologie soll hier am Beispiel der Mehltauresistenz von Tomaten beschrieben werden. 

Mehltau ist eine bei Pflanzen – darunter vielen wichtigen Nutzpflanzen – weit verbreitete Pilzkrankheit, die in der Landwirtschaft hauptsächlich durch Einsatz chemischer Fungizide bekämpft wird. Um deren Einsatz zu reduzieren, ist es ein Ziel der Pflanzenforschung, Mehltau-resistente Nutzpflanzensorten zu züchten, wie man sie bei der Gerste beispielsweise schon vor langer Zeit entdeckt hatte. Auf Tomaten wurde Echter Mehltau (Oidium neolycopersica) erstmals 1992 nachgewiesen und hat sich seitdem in Treibhauskulturen und zunehmend auch in Freilandkulturen von Tomaten über den ganzen Globus ausgebreitet und enorme Schäden angerichtet. 

Schematische Zeichnung des integralen Transmembranproteins Mlo mit 7 membrandurchspannenden Domänen
Schema des Mlo-Proteins in der Plasmamembran einer Pflanzenzelle © angepasst und geändert nach S. Kusch, L. Pesch & R. Panstruga: Genome Biology and Evolution 8(3): evw036(2016)

Die Interaktion des Parasiten mit der Wirtspflanze erfolgt über das Mlo-Protein, ein hoch konservatives, integrales Membranprotein, das sich wie eine Schlange siebenmal durch die Plasmamembran windet. Seine biochemische Aktivität ist unklar, doch Mutationen, die zum Funktionsverlust des kodierenden Gens führen, bewirken Mehltau-Resistenz (daher der Name „mildew resistance locus O“, Mlo). Man kennt eine ganze Reihe solcher Gene, die in den Genomen aller höheren Pflanzen vorhanden sind. Bei der Tomate (Solanum lycopersicum) ist das Gen SlMlo1 Hauptträger für die Anfälligkeit gegenüber Mehltau. Man hat auch schon natürlich entstandene SlMlo1-Mutationen gefunden, die das Gen funktionslos machen und eine Mehltau-Resistenz bewirken. Derartige Mutationen durch klassische Züchtungsverfahren wie Hybridisierung und Rückkreuzung auf wirtschaftlich hochwertige Tomatensorten zu übertragen, ist jedoch ein sehr langwieriger und mühseliger Prozess.

Der Pflanzengenetiker Prof. Dr. Detlef Weigel, Direktor am Max-Planck-Institut für Entwicklungsbiologie in Tübingen, beschrieb 2017 zusammen mit britischen Kollegen, wie sie mit der CRISPR/Cas9-Technologie in weniger als zehn Monaten eine gegen Mehltau vollständig resistente Tomate („Tomelo“) mit einer Deletion im SlMlo1-Gen erzeugt haben. Die Arbeit ist nicht nur von Bedeutung, weil sie zeigt, wie präzise CRISPR/Cas9 eingesetzt und mit welcher Geschwindigkeit und Effizienz damit eine neue Nutzpflanzensorte erzeugt werden kann, sondern auch deshalb, weil die neue, durch eine Deletion von 48 Basenpaaren im SlMlo1-Gen entstandene Tomatensorte keinerlei Fremd-DNA-Sequenzen enthält und in keiner Weise von entsprechenden, auf natürliche Weise entstandenen Deletionsmutanten zu unterscheiden ist. Das konnten Weigel und Mitarbeiter durch vollständige Genomsequenzierung (whole genome sequencing) eindeutig nachweisen.

Der Europäische Gerichtshof urteilt über die Tomelo

Bei Tomelo handelt es sich also um einen zwar gentechnisch hergestellten, nicht aber transgenen Organismus. Es wurde keine „natürliche Artgrenze“ überschritten. Die neue Tomatensorte ist kein GMO („genetically modified organism“) im Sinne der US-amerikanischen Rechtsprechung und auch kein „gentechnisch veränderter Organismus“ (GVO) nach der Definition des deutschen Gentechnikgesetzes als eines „Organismus, dessen genetisches Material in einer Weise verändert worden ist, wie sie unter natürlichen Bedingungen durch Kreuzen oder natürliche Rekombination nicht vorkommt.“ Es sei noch einmal betont, dass diese durch Genome Editing an Pflanzen erzielten DNA-Veränderungen denen gleichen, die in der traditionellen Züchtung durch Mutagenese mithilfe von Chemikalien (zum Beispiel Ethylmethansulfonat, EMS) oder radioaktiver Strahlung erzielt werden. Während diese aber vollkommen unkontrolliert ablaufen, sind Veränderungen mithilfe von CRISP/Cas9 hochspezifisch. Dennoch hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) in seinem Urteil am 26. Juli 2018 entschieden, dass alle durch Genome Editing entstandenen Mutanten als GVOs anzusehen und damit den strengen Auflagen des Gentechnikgesetzes unterworfen sind. Entgegen den Empfehlungen der Expertenkommissionen und sogar der Bewertung des Generalstaatsanwalts am EuGH war für die obersten Richter in Luxemburg die Methodik entscheidend, nach der der Organismus hergestellt worden ist, nicht das Ergebnis.

Die EuGH-Richter hatten sich, wie es scheint, nicht viel Mühe gemacht, die molekulargenetischen Zusammenhänge zu verstehen. Wenn es unmöglich ist, bei einer Mutation in einer neuen Pflanzensorte zu entscheiden, ob sie durch CRISP/Cas9 oder durch „natürliche“ Züchtung entstanden ist, kann auch ein Gesetz nicht realistisch die Anwendung des Genome Editing in der Züchtung verhindern. Es kann aber sehr wohl exzellente Pflanzenforschung in Europa massiv behindern und Wissenschaftler demotivieren. In Ländern wie den USA, Kanada und Israel haben wir dagegen eine pragmatische Rechtsprechung: Sofern es sich nicht um einen transgenen Organismus handelt (d.h. die „natürliche Artgrenze“ nicht überschritten wurde) und keine größeren Gensegmente neu eingeführt wurden, darf die neue Pflanzensorte kultiviert und gehandelt werden wie klassisch hergestellte Pflanzensorten auch. In den genannten Agrarexportnationen (dazu auch in Brasilien, Argentinien und Australien) wollen Pflanzenzüchter genom-editierte Pflanzensorten nicht nur anbauen, sondern auch exportieren. Wie will man verhindern, dass sie unerkannt in Europa eingeführt werden? 

Porträtbild Prof. Dr. Detlef Weigel
Prof. Dr. Detlef Weigel, Direktor der Abteilung Molekularbiologie am Max-Planck-Institut für Entwicklungsbiologie, Tübingen © MPI for Developmental Biology

Nach dem ersten Schock über das EuGH-Urteil forderten Wissenschaftler und Forschungsorganisationen eine Revision des Gentechnikrechts mit Berücksichtigung der wissenschaftlichen Fakten und des Erkenntnisstandes. Unterstützung erhalten sie inzwischen nicht nur von den Interessenverbänden der Agrar- und Lebensmittelwirtschaft, sondern auch von der Politik. Theresia Bauer, die baden-württembergische Wissenschaftsministerin, plädiert „für eine differenzierte Regulierung bei der Gentechnik. Gleiches muss zum Beispiel gleich und Ungleiches ungleich reguliert werden“ (zitiert aus der Wochenzeitung DIE ZEIT vom 24.10.2019). Die Ministerin betonte, dass auch die (Partei der) Grünen die Chancen der Gentechnik nicht länger ignorieren können. 

Die Züchtung von Tomelo, mit der Weigel und Mitarbeiter den Beweis für die „Gleichheit“ einer durch Genom Editing entstandenen mit einer „natürlichen“ Pflanzensorte erbracht haben, belegt auf überzeugende Weise, wie realitätsfern das EuGH-Urteil vom 26. Juli 2018 gewesen ist. Es sollte dringend revidiert werden. Leider wird bis dahin sicher viel Zeit vergehen, denn höchstrichterliche Rechtsprechungen sind für ihre Beharrlichkeit bekannt. Aber wir sollten darauf vertrauen, dass die Kraft der Fakten am Ende siegt. 

Über Prof. Dr. Detlef Weigel

Der Deutsch-Amerikaner Detlef Weigel gehört zu den renommiertesten Pflanzengenetikern weltweit. Er ist gewähltes Mitglied hochberühmter wissenschaftlicher Gesellschaften wie der National Academy of Sciences der Vereinigten Staaten, der Royal Society, der Deutschen Akademie der Naturforscher Leopoldina und der European Molecular Biology Organization. Unter Weigels vielen Auszeichnungen sei der „Barbara McClintock Prize for Plant Genetics and Genome Studies“ besonders hervorgehoben, der ihm für das Jahr 2019 im Andenken an eine der bedeutendsten Frauen der Naturwissenschaften des 20. Jahrhunderts verliehen worden ist.

Literatur:

Nekrasov V, Wang C, Win J, Lanz C, Weigel D, Kamoun S: Rapid generation of a transgene-free powdery mildew resistant tomato by genome deletion.
Scientific Reports 7:482. DOI:10.1038/s41598-017-00578-x(2017)

Seiten-Adresse: https://www.biooekonomie-bw.de/fachbeitrag/aktuell/transgen-freie-pflanzenzuechtung-durch-genome-editing