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Vision Insekten-Bioraffinerie: Baustein einer nachhaltigen Bioökonomie
Ökologische und verantwortungsvoll hergestellte Produkte sind heute gefragter denn je. So wird an Materialien und Anwendungen für die verschiedensten Lebensbereiche mit Nachdruck geforscht. Eine Lösung für ganz viele solcher Fragestellungen könnten Insekten sein. Das Fraunhofer-Institut für Grenzflächen- und Bioverfahrenstechnik IGB erarbeitet deshalb derzeit gemeinsam mit der Hermetia Baruth GmbH die Vision einer Insekten-Biofabrik, die Abfallstoffe verwerten und daraus vielerlei Produkte wie Biotenside, Futtermittel oder Folien wertschöpfen könnte.
Die Idee, aus Abfällen wie Lebensmittel- oder Pflanzenresten wertvolle neue Produkte wie Waschmittel oder Kunststoffe herzustellen, scheint auf den ersten Blick zu schön, um wahr zu sein. Sie ist es aber nicht: Möglich machen es Insekten wie die Schwarze Soldatenfliege Hermetia illucens, die die verschiedensten solcher Reststoffe für ihren Entwicklungszyklus verwerten können. Aus den Insekten können dann Chitin, Protein und Fett als Rohstoffe für neue Produkte gewonnen werden. Wie man möglichst alle Bestandteile der Insekten in einer solchen Bioraffinerie verwerten könnte, erarbeitet Dr. Susanne Zibek derzeit mit ihrer Arbeitsgruppe „Industrielle Biotechnologie“ am Fraunhofer-Institut für Grenzflächen- und Bioverfahrenstechnik IGB in Stuttgart in verschiedenen Projekten.
Die Insekten als Baustein für die Biofabrik erhalten die Wissenschaftler von der Hermetia Baruth GmbH, einer Firma im brandenburgischen Baruth, die schon seit vielen Jahren auf die Züchtung von Hermetia illucens spezialisiert ist. „Bei uns verläuft der Produktionsprozess der lebenden Recycling-Maschinen in drei Stufen – ähnlich wie bei der Schnitzelproduktion“, erklärt Heinrich Katz, Geschäftsführer der Firma. „Die Tiere haben den typischen holometabolischen Lebenszyklus aus Ei, Larve, Puppe und erwachsener Fliege, den sie durchlaufen. Für die Rohstoffgewinnung ziehen wir die Junglarven in Bioreaktoren heran und gewinnen aus ihnen die Insektenhäute sowie Proteinmehl und Insektenfett, die wir als Rohstoffe an unsere Technologiepartner liefern. Dabei möchte ich betonen, dass es sich bei den Tieren um keine Schadinsekten handelt. Sie sind zudem äußerst genügsam. Denn sie nehmen im adulten Stadium keinerlei Nahrung auf und sind erwiesenermaßen keine Überträger von Krankheiten. Sie können praktisch jede nicht ligninhaltige Biomasse abbauen und umsetzen, und die gesamte Prozesskette läuft unter kontrollierten Bedingungen ab.“
Aus Chitin wird Beschichtung für Textilien
Für ihre Vision der Insekten-Bioraffinerie haben die Fraunhofer-Forscher bereits eine ganze Menge an Ideen. Ein übergeordnetes Projekt, um die Biofabrik der Zukunft ganzheitlich betrachten zu können, wurde in der „Landesstrategie Nachhaltige Bioökonomie“ bereits zur Unterstützung beantragt. Parallel dazu gibt es in Stuttgart aber auch schon konkrete Forschungsarbeiten: Eine der ersten – das Projekt „ChitoTex“ (Förderung durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung, BMBF, FKZ 031A567A), an dem schon seit einiger Zeit mit den Partnern Protix, Deutsche Institute für Textil- und Faserforschung Denkendorf (DITF), Textilchemie Dr. Petry GmbH, Lauffenmühle GmbH & Co. KG und der Norwegian University of Life Sciences (NMBU) geforscht wird, ist die Möglichkeit der Verwertung der Insektenhäute. Dabei konnten Chitin – eines der häufigsten Polysaccharide der Natur – und Chitosan aus Larvenexoskeletten und Puppenexuvien bereits mit hoher Reinheit gewonnen und in der Textilbranche eingesetzt werden. „Chitosan haben wir als Schlichtemittel während des Webprozesses getestet“, berichtet Zibek. „Dabei handelt es sich um eine zeitlich begrenzte Beschichtung des Garns, bevor dieses in der Webmaschine bearbeitet wird, um Reibung zu vermeiden und das Garn vor Bruch zu schützen. Das Schlichtemittel muss anschließend wieder abgewaschen werden. Aber wir hatten mittlerweile auch die Idee, modifiziertes Chitosan als Permanent-Coating für Textilien zu verwenden. Mit seiner hydrophoben Matrix wirkt es wasser- und schmutzabweisend und könnte zukünftig eine gute Alternative zu perfluorierten Kohlenwasserstoffen sein, die derzeit bei Regen- und Arbeitskleidung eingesetzt werden.“
Darüber hinaus wäre auch eine Anwendung von Chitosan im medizinischen Bereich – etwa zur Ausrüstung von Wundauflagen – oder in der Lebensmitteltechnologie zur Konservierung von Früchten denkbar. „Wir sind da sehr ambitioniert und stecken mitten in der Testphase“, meint die Wissenschaftlerin.
Nahrungsmittel für Mensch und Tier aus Insektenprotein
Ein weiterer Stoffstrom, der aus der Insekten-Bioraffinerie gewonnen werden kann, sind Proteine. Die Proteine aus Insektenlarven enthalten unter anderem alle essenziellen Aminosäuren und eignen sich für die verschiedensten Anwendungen. „Hier ist zunächst der Tierfutterbereich zu sehen“, berichtet Katz. „Allerdings haben wir da nach EU-Recht ganz strenge Auflagen zu beachten; das ist derzeit für mich ein täglicher Kampf.“ So dürfen lediglich Insekten verarbeitet werden, die Reststoffe aus pflanzlichen Substraten und Lebensmitteln wie Molkereiprodukten und Eiern für ihre Entwicklung verwertet haben; die Fütterung mit überlagerten Lebensmitteln aus Fleisch oder Fisch, Speiseresten generell, Schlachtabfällen oder Gülle ist verboten, obwohl dies eine überaus gute Möglichkeit zur Abfallverwertung wäre. Trotz aller Auflagen darf das Protein bislang lediglich für die Fütterung von Haustieren und für die Aquakultur verwendet werden; für Schweine und Geflügel ist es bislang noch nicht zugelassen. „Dabei könnten wir den Nachhaltigkeitsanspruch so gut erfüllen, wenn wir einfach noch mehr Abfälle verwerten dürften. Das wäre auch wirklich wirtschaftlich – das müssen wir unbedingt nach vorne bringen“, meint der Züchter, der gerade eine große Insektenfabrik mit einer Kapazität für rund 80 Milliarden Larven plant.
„Bei Insektenprotein handelt es sich um eine sehr nachhaltige Proteinquelle, weil sie heimischen Ursprungs ist und für die Herstellung unter anderem weniger Wasser und Pestizide benötigt werden“, sagt Katz. „Allerdings könnte man auch anmerken, dass diese nicht mehr vegetarischen Ursprungs ist. Wenn wir aber noch weiter in die Zukunft blicken, wird man Insekten sicher auch einmal als Nahrungsquelle für den Menschen in Betracht ziehen können – es gibt ja heute schon Insektenburger oder -Energieriegel zu kaufen. Grotesk ist dabei allerdings, dass die Regeln für den Lebensmittelbereich viel weniger streng sind als fürs Tierfutter; in der Kategorie „Neue Lebensmittel“ kann man heutzutage sehr schnell etwas umsetzen. Aber generell wird es so sein, dass Insekten in anderen Kulturbereichen sicher schneller akzeptiert werden als in Europa.“
Aber nicht nur als Nahrungsmittel eignen sich die natürlichen Makromoleküle, wie Zibek sagt: „Das Insektenprotein kann durch Spaltung und Quervernetzung auch zu stabilen Folien verarbeitet werden und ist damit eine Alternative zu klassischen Kunststoffen oder solchen aus Materialien wie Molke oder Casein, die auch zur Lebensmittelherstellung verwendet werden können.“
Biotenside aus Insektenfett
Und noch ein dritter Stoffstrom aus Insekten könnte eine Vielzahl an neuen Möglichkeiten für technische Anwendungen eröffnen: die Insektenfette. „Dieses Fett hat eine interessante Zusammensetzung und ist eine nachhaltige heimische Quelle als Ersatz für tropische Öle“, sagt die Biotechnologin. So wird in einer „Allianz Biotenside“ (Förderung BMBF, Förderkennzeichen 031B0469A-Q) aus renommierten deutschen Firmen und Forschungseinrichtungen unter anderem auch das Potenzial von Insektenfett erforscht. Je nach Substrat, das man den Insektenlarven anbietet, kann man die Fettsäurezusammensetzung des Endprodukts steuern. „Die Ergebnisse sind vielversprechend, denn wir konnten mithilfe von Mikroorganismen aus dem Fett schon die verschiedensten Biotenside für den Kosmetik- oder Waschmittelbereich herstellen“, so Zibek. „Das klappt alles schon sehr gut. Nun sind wir gerade dabei, den Fermentationsprozess zu optimieren.“
Insektengülle fürs Feld oder die Biogasanlage
Zu guter Letzt wäre es auch möglich, Insektenhäute und andere Reststoffe als Dünger zu verwenden. „Eigentlich zu schade“, meint die Wissenschaftlerin. „Denn das Chitin können wir ja wertschöpfen. Aber denkbar wäre es, die Häute auszusortieren und die Insektengülle als Düngemittel auf die Felder auszubringen. Oder sogar in einer Biogasanlage zu verwerten. Dann hätten wir aus unserer Insekten-Bioraffinerie sogar noch einen vierten Stoffstrom.“