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Von Insekten abgeschaut: Neuer biologischer Holzklebstoff in Entwicklung
Kunststoff ist überall um uns – leider immer noch. Denn die Auswirkungen auf die Umwelt sind bestens bekannt. Die Suche nach Nachhaltigerem ist in vollem Gang, und dies durchaus mit Erfolg. Allerdings braucht es bisher nicht oder nur schwer biologisch abbaubaren Klebstoff, um Alternativen aus der Natur wie Holz oder Stroh zu verbinden – also eine insgesamt noch nicht wirklich umweltfreundliche Lösung. Fraunhofer-Forschende arbeiten nun an einem insekteninspirierten Holzklebstoff, mit dem verklebte Holzprodukte sowohl widerstandsfähig als auch biologisch abbaubar sind.
Einige Wespen und Hornissen bauen papierartige Nester von erstaunlicher Stabilität. Hierfür verarbeiten sie abgefressene Holzpartikel mithilfe ihres Speichels zu einem extrem leichten Material, mit dem sie komplexe Wabennester bauen: Architektonische Meisterwerke – jedoch wohl von den meisten von uns völlig unterschätzt, wenn wir sie als unscheinbare graue Gebilde im Herbst achtlos im Biomüll entsorgen. Damit soll nun Schluss sein, denn dieses erstaunliche Material ist in den Fokus von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern gerückt, die sich die Natur zum Vorbild nehmen, um neue, nachhaltige Produkte zu entwickeln. Ebenso die Seide von Köcherfliegenlarven. Sie produzieren eine klebrige Flüssigkeit, um sich einen wasserfesten, schützenden Köcher für die Zeit ihrer Entwicklung zu bauen, indem sie Pflanzenteile, Steine oder Schneckenhäuser miteinander verkleben. Die Idee der Forschenden: Aus den für den Bau von Wespennestern oder sogenannten Köchern eingesetzten Enzymen und Klebeproteinen soll ein biologischer Holzklebstoff entwickelt werden. Mit diesem können Holzreste – etwa aus forstwirtschaftlichen Abfällen – mittels 3D-Druck zu neuen Naturstoffkompositprodukten verarbeitet werden. Diese sind dann bis zum letzten Rest biologisch abbaubar und verbrauchen keinerlei fossile Ressourcen.
Klebermoleküle aus Insektenspeichel biotechnologisch herstellen
Aus dem ursprünglichen Gedanken, Klebstoffe aus der Natur zu kopieren, sind in den letzten Monaten bereits konkrete Forschungsarbeiten geworden: Teams des Fraunhofer-Instituts für Produktionstechnik und Automatisierung IPA in Stuttgart und des Fraunhofer-Instituts für Molekularbiologie und Angewandte Oekologie IME in Gießen entwickeln gemeinsam im Projekt „DiscoverIWB – Insect Inspired Wood Binder“ seit Mai 2023 den Insektenklebstoff. Zunächst steht die Identifizierung der Klebemoleküle an, Aufgabe des Fraunhofer IME. „Wir wollen herausfinden, wie die Wespen es schaffen, ein solch witterungsbeständiges und stabiles Material herzustellen“, berichtet Stephanie Eigner, Wissenschaftlerin in der Arbeitsgruppe Biointelligente Technologien des Fraunhofer IPA und neben Tobias Granse fachliche Ansprechpartnerin für das Projekt. „Wir vermuten, dass die Insekten Klebemoleküle im Speichel besitzen, die die Holzpartikel miteinander zu den papierartigen Wabennestern verbinden. Dies wollen wir imitieren und für ein als Binder Jetting bezeichnetes 3D-Druckverfahren für Holz nutzen.“
Bis es aber so weit ist, dass mit dem Wespenkleber gedruckt werden kann, müssen zunächst die in Frage kommenden Moleküle im Speichel aufgespürt und charakterisiert - deren Sequenz bestimmt - werden. Diese Arbeiten sind am Fraunhofer IME derzeit im Gange: „Hierfür wird das Transkriptom der Insekten analysiert – mit Sicherheit alles andere als eine einfache Aufgabe -“, erklärt Eigner. „Deshalb wurde das Projekt auch im Frühjahr gestartet, wenn Wespen ihre Nester bauen, um genügend Material zur Verfügung zu haben. Selbstverständlich wird man dann in der Folge aber keine weiteren Wespen mehr brauchen, denn die Klebeproteine sollen biotechnologisch, z. B. in Bakterien produziert werden, sobald wir mehr über diese Moleküle wissen.“
Pulver aus bislang ungenutzten Holzabfällen als Ausgangsmaterial
Die so im Labor hergestellten Proteine möchte das Team zu einer Klebersuspension aus Enzymen bzw. Klebermolekülen und einem passenden flüssigen Medium verarbeiten, ganz ähnlich der Zusammensetzung des Insektenspeichels – also damit optimale Bedingungen für die Biomoleküle schaffen. Dieses Stoffgemisch muss nicht nur Holz stabil verbinden können, sondern auch bestimmte Fließeigenschaften erfüllen, um sie mit einem Tintenstrahldrucker verarbeiten zu können. Diese Entwicklungsarbeiten sind Part des IPA: „Sobald wir den Kleber haben, stellen wir eine Tinte her, die sich verdrucken lässt und planen entsprechende Untersuchungen mit unseren Messgeräten“, sagt Tobias Granse, Wissenschaftler am Zentrum für additive Produktion des Fraunhofer IPAs und Experte für den Inkjet-Druck.
Aber auch die Zeit ohne Insektentinte lassen die Stuttgarter Fraunhofer-Forschenden nicht ungenutzt: „Derzeit führen wir Rakel-Versuche mit dem Holzpulver durch. Da das Material so später im 3D-Druck-Prozess aufgetragen werden soll. Zusätzlich werden verschiedene Eigenschaften wie die Rieselfähigkeit oder die Schüttdichte untersucht. Ziel ist es, möglichst homogene Holzpulverschichten erzeugen zu können. Eventuell werden wir auch noch Zusätze beimischen müssen. Das werden die Versuche in den nächsten Wochen zeigen.“
Holz plus Tinte ergibt ökologische, ressourcenschonende Objekte
Bei dem 3D-Druck-Verfahren - dem Binder Jetting - soll die neue biologische Klebetinte als Binder zum Einsatz kommen und mithilfe des Tintenstrahldruckers über einen Druckkopf in kleinen Tropfen selektiv in die jeweiligen Holzpulverschichten eingebracht werden. So werden die Holzpulverpartikel durch die Klebesuspension miteinander verbunden und ein dreidimensionales Bauteil erzeugt. Dieses soll dann durch Trocknen bei geeigneten Temperaturen aushärten.
Die Objekte werden im Gegensatz zu ihren aktuell gängigen Pendants dann komplett aus biogenen Rohstoffen bestehen, sind also völlig frei von Chemikalien und erdölbasierten Polymeren. Die finale Tinte soll entwickelt werden, sobald die Insektenproteine zur Verfügung stehen: „Derzeit machen wir Vorversuche mit dem flüssigen Medium, das gemeinsam mit den Proteinen die Tinte ausmachen soll“, berichtet Eigner. „Aber da kann sich noch vieles ändern, denn die Insektenenzyme sollen in ihrer aktiven Form gelöst werden und keinesfalls ausfallen. Ob man sie dann beispielsweise direkt in die Tinte gibt oder als Proteinpulver dem Holzpulver beimischt, wird unter anderem davon abhängen, wie gut sie löslich sind. Und: die Mischung muss dann letzten Endes natürlich auch verdruckbar sein. Das wird nun Stück für Stück im kleinen Maßstab getestet.“
Industriebeteilung gerne gesehen
Grundsätzlich möchte man alle Hölzer verarbeiten können – also forstwirtschaftliche Abfälle aller Art nutzen. „Wir rechnen auch damit, dass das möglich ist“, sagt die Biochemikerin. „Wespen verwenden schließlich auch verschiedene Holzmaterialien.“ Sobald die Ausgangsmaterialien zur Verfügung stehen, wollen die Forschenden Prüfkörper für Zugversuche herstellen und auf ihre mechanischen Eigenschaften untersuchen – und natürlich testen, ob das neue Material dem Vergleich mit den gängigen Kunststoffen standhalten kann.
DiscoverIWB endet in der ersten Jahreshälfte 2024. „Bei Interesse aus der Industrie wäre ein Anschluss im größeren Rahmen dann natürlich sehr gerne gewünscht“, so Granse. Auch ganz neue Ideen würde man in Zukunft gerne ausprobieren, beispielsweise alternative Materialien wie Pilzmyzel dreidimensional verdrucken oder auch die Holzreste in Spritzgussverfahren einsetzen.
Infobox: Das Projekt „DiscoverIWB“
Insect Inspired Wood Binder – Biologischer Holzkleber für den 3D-Druck
Laufzeit: 01.05.2023 – 29.02.2024
Partner: Fraunhofer-Institut für Molekularbiologie und Angewandte Ökologie IME, Institutsteil Gießen und Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung IPA, Stuttgart
Ziel: Aus Speichel von Hornissen oder Seide von Köcherfliegenlarven bisher unbekannte Klebemoleküle identifizieren und gewinnen, sodass daraus eine stabile Klebersuspension hergestellt werden kann, die auf ihre Verarbeitungsmöglichkeit in Kombination mit Holzpulver im 3D-Druck hin überprüft wird.
Gefördert durch die Fraunhofer-Gesellschaft