Hauptnavigation
Wissenschaftler bekämpfen resistente Bakterien im Abwasser
In Deutschland werden jährlich rund 1.500 Tonnen Antibiotika in Human- und Tiermedizin verabreicht. Dadurch bilden immer mehr Bakterien Resistenzen gegen gängige Antibiotika aus, was die Therapie bakterieller Infektionen massiv erschweren kann. Im Rahmen des vom BMBF geförderten Verbundprojekts HyReKA untersuchen Wissenschaftler um Professor Thomas Schwartz vom KIT, wie sich die resistenten Erreger verbreiten und wie sie daran gehindert werden können.
Vor der Entdeckung der Antibiotika vor rund 90 Jahren mussten Menschen mit einer bakteriellen Infektion auf ihr Immunsystem hoffen. Das könnte in Zukunft wieder häufiger der Fall werden, denn die Anzahl wirksamer Antibiotika nimmt ab. Was nach Schwarzmalerei klingt, sorgt zahlreiche Wissenschaftler und die Weltgesundheitsorganisation schon seit Jahren. Die Warnungen werden immer eindringlicher: Infektionen mit multiresistenten Bakterien, die Resistenzen gegen mehrere oder sogar gegen alle gängigen Antibiotika ausgebildet haben, sind nur schwer zu behandeln. Gleichzeitig sinkt die Anzahl neu zugelassener Antibiotika. So sterben schon heute jährlich weltweit etwa 700.000 Patienten an Infektionen mit antibiotikaresistenten Keimen. „Es gibt Hochrechnungen, nach denen 2050 mehr Menschen an solchen Infektionen sterben werden als an Krebs oder Diabetes“, sagt Prof. Dr. Thomas Schwartz, Leiter der Abteilung Mikrobiologie am Karlsruher Institut für Technologie (KIT).
Besonders häufig kommen multiresistente Erreger in Krankenhäusern vor. Da solche Keime aber zunehmend auch bei Menschen ohne Krankenhausaufenthalt nachgewiesen werden, liegt die Vermutung nahe, dass die resistenten Erreger in die Umwelt gelangen und von dort zurück zum Menschen. Vor diesem Hintergrund untersuchen Wissenschaftler im Rahmen des Forschungsverbunds HyReKA, das vom Bundesforschungsministerium bis 2019 mit rund 7,4 Millionen Euro gefördert wird, wie sich resistente Bakterien über das Abwasser ausbreiten, in der Umwelt verhalten und wie ihr Eintrag in die Umwelt verhindert werden kann.
Hotspot Kläranlage
Die Forscher haben dazu 18 Kläranlagen deutschlandweit beprobt. Eine wichtige Erkenntnis aus dem Projekt: Kläranlagen sind ein Hotspot für resistente Bakterien. „Dort sammeln sie sich und werden weiter in die Umwelt verbreitet“, erklärt Schwartz, „denn die derzeit in Deutschland üblichen Abwasserbehandlungsverfahren sind nicht für die Elimination unerwünschter Bakterien und Antibiotikaresistenzgene ausgelegt.“ So wurden resistente Bakterien schon in Seen, Bächen und Böden nachgewiesen – von wo aus sie auch ihren Weg zurück zum Menschen finden und diesen besiedeln können.
„Wer beispielsweise mit kontaminiertem Oberflächenwasser in Kontakt kommt, kann sich mit solchen Bakterien infizieren“, so Schwartz, „Bei einem gesunden Menschen ist das nicht problematisch, aber bei älteren Menschen oder solchen mit einem geschwächten Immunsystem können die Bakterien schwer behandelbare bakterielle Krankheiten hervorrufen.“
So funktioniert Evolution
Die Untersuchungen zeigen außerdem, dass etwa das Abwasser aus Krankenhäusern und Tiermastbetrieben schwer belastet ist. Hier landen nicht nur antibiotikaresistente Erreger, sondern auch große Mengen an Antibiotikarückständen im Abwasser. Doch schon in geringen Konzentrationen können diese einen Selektionsdruck auf Bakterien ausüben. Das heißt, es überleben jene Bakterien, denen dank einer Erbgutveränderung, etwa einer zufälligen Mutation oder der Aufnahme von Resistenzgenen, der Wirkstoff nichts mehr anhaben kann. „Verschärfend kommt hinzu, dass Bakterien ihre erworbenen Resistenzen übertragen und untereinander austauschen können, auch artübergreifend“, sagt Schwartz. Je mehr Antibiotika also in die Umwelt gelangen, desto höher die Wahrscheinlichkeit für weitere resistente Bakterienarten und deren Verbreitung.
Lösung: Ultrafiltration
Das Team um Thomas Schwartz und weitere HyReKA-Partner fordern daher, dass gerade kommunale Kläranlagen, die ein Sammelbecken unterschiedlicher Abwässer darstellen, mit geeigneten Verfahren zur Reduktion/Elimination antibiotikaresistenter Bakterien ausgestattet werden müssen. „Kläranlagen sind ein direkter Link zur aquatischen Umwelt und damit auch zum Menschen“, stellt Schwartz klar. Weswegen sie zukünftig mit einer zusätzlichen Klärstufe ausgerüstet werden sollten. „In Neu-Ulm existiert bereits eine Großkläranlage, die das Abwasser durch eine besonders feinporige Membran filtert. Das Ergebnis ist sehr gut, ein Großteil resistenter Bakterien wird sogar eliminiert beziehungsweise zurückgehalten und gelangt dadurch nicht mehr in die Umwelt“, sagt Schwartz.
Eine Alternative ist die Ozonung, bei der das Wasser mit Ozon behandelt wird und dies Oxidationsprozesse auch an Bakterien hervorruft. Für die Eliminierung von resistenten Bakterien ist die Methode nicht so effektiv wie die Ultrafiltration, hat aber dennoch Vorteile: „Durch die oxidative Behandlung werden Strukturen von Antibiotikamolekülen verändert“, so Schwartz, die aufgrund ihrer geringen Größe die Membran passieren. „Durch den Einsatz solcher Verfahren in kommunalen Kläranlagen würden die Verbreitungspfade für Antibiotikaresistenzen deutlich eingeschränkt", sagt der Mikrobiologe.
Denkbar und sinnvoll wäre auch die dezentrale Abwasser-Aufbereitung beispielsweise an Krankenhäusern, um so die kommunalen Kläranlagen zu entlasten. „Eine zusätzliche Abwasserbehandlung bei Tiermastbetrieben, die einen hohen Antibiotikaverbrauch gerade in Deutschland aufweisen, wäre ebenfalls ein wichtiger Beitrag zum Schutz vor resistenten Bakterien“, so Schwartz, der außerdem Grenzwerte und ein Monitoring fordert und die träge Umsetzung der Maßnahmen bemängelt: „Die Datenlage ist klar, die Technologie ist da, nun müssen die Behörden aktiv werden.“
Die technische Aufrüstung könnte durch eine Anhebung der Abwassergebühr finanziert werden: „Die Betreiber erkennen die Notwendigkeit, und Umfragen in der Bevölkerung haben ergeben, dass sie bereit wäre, das mitzutragen“, so Schwartz. Schätzungsweise 20 Euro pro Kopf und pro Jahr würden die Neuerungen kosten.
Weitere Schritte zur Bekämpfung resistenter Bakterien
Um die Antibiotikaresistenzen aber dauerhaft erfolgreich einzudämmen, sind noch weitere Schritte notwendig. Zum einen muss auch der Gülleeintrag auf den Feldern kontrolliert werden: Gülle wird wie Abwasser auch bislang nicht behandelt, enthält aber ebenfalls resistente Bakterien und Antibiotikarückstände. „Über die Düngung mit Gülle wird einerseits die Bodenmikrobiologie verändert, sodass auch dort resistente Bakterien eingetragen werden. Andererseits werden dadurch Kulturpflanzen kontaminiert und die Bakterien gelangen dann über die Nahrung wieder zum Menschen“, erklärt Schwartz.
Außerdem muss der Eintrag von Antibiotika reduziert werden: „Im Krankenhaus ist das schwierig. Aber es muss sich in der Bevölkerung noch weiter herumsprechen, dass Antibiotika bei Schnupfen nicht wirken. Vor allem aber muss ihr Einsatz in der Tiermast vernünftig kontrolliert werden: In der Hühnermast wird beispielsweise Colistin, ein Reserveantibiotikum der Humanmedizin, dem Trinkwasser beigemengt. Das ist äußerst kritisch, da Resistenzen gegen Colistin bereits in der Umwelt angekommen sind“, kritisiert Schwartz.
Nicht zuletzt sollte auch die Pharmaindustrie angeregt werden, in die Antibiotikaforschung zu investieren: Da die rasche Resistenzentwicklung von Bakterien den Profit schmälert, befindet sich die Forschung im Rückgang.
HyReKA
HyReKA steht kurz für „Biologische beziehungsweise hygienisch-medizinische Relevanz und Kontrolle Antibiotika-resistenter Krankheitserreger in klinischen, landwirtschaftlichen und kommunalen Abwässern und deren Bedeutung in Rohwässern“. Der Forschungsverbund will einen aktiven Beitrag zum umweltbezogenen Gesundheitsschutz der Bevölkerung leisten. Zu seinen Zielen gehört, den Eintrag antibiotikaresistenter Bakterien und Antibiotikarückstände in die Umwelt zu untersuchen, deren Verbreitungswege, Risikopotenziale und Übertragungsrisiken abzuschätzen, technische Verfahren der Abwasseraufbereitung an Kläranlagen zu entwickeln und Handlungsempfehlungen zu formulieren. Der Verbund setzt sich aus Forschern verschiedener Fachrichtungen wie Medizin, Biologie, Geografie, Ingenieurwesen, Agrarwissenschaft, Lebensmitteltechnologie und Ernährungswissenschaft sowie Partnern aus kommunalen Wasserwirtschaftsbetrieben und der Industrie zusammen.
Zu den Forschungspartnern des Verbundprojektes HyReKA zählen neben dem KIT das Universitätsklinikum Bonn, die Universität Bonn, die Technische Universität Dresden, die RWTH Aachen, das Umweltbundesamt (UBA), das Technologiezentrum Wasser in Karlsruhe (TZW) und kommunale Partner, wie der Erftverband Bergheim, der Oldenburgisch-Ostfriesische Wasserverband (OOWV), der Zweckverband Klärwerk Steinhäule und der Industriepartner XYLEM Services GmbH.
Literatur:
apps.who.int/iris/bitstream/handle/10665/193736/9789241509763_eng.pdf?sequence=1
www.hyreka.net/
www.hyreka.net/uploads/PDF/D46_D54_HyReKA_%C3%9Cbersicht_HM_5_18.pdf