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Eine Revolution kündigt sich an
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Kompetenzzentrums Biointelligenz und Fraunhofer halten eine nachhaltige Transformation der industriellen Wertschöpfung für die Umwelt, die Gesellschaft und nicht zuletzt für die Wirtschaft für unaufschiebbar. In 17 Vorträgen zur Biologischen Transformation in der Württembergischen Landesbibliothek in Stuttgart skizzieren sie Antworten auf den globalen Ressourcenverbrauch, den Klimawandel, die Luftverschmutzung und Vermüllung der Weltmeere.
Am 5. Mai war es so weit: Erdüberlastungstag in Deutschland. Für dieses Jahr haben wir unseren Vorrat an natürlichen Ressourcen schon im Frühjahr aufgebraucht. Wäre der Ressourcenverbrauch weltweit so hoch wie in Deutschland, würden wir drei Erden brauchen, um unseren Bedarf zu decken.
Ressourcenverbrauch und Wohlstand in Einklang zu bringen (und das bedeutet zu entkoppeln!), bleibt die entscheidende Herausforderung des 21. Jahrhunderts. Mit heutigen Produktionsweisen können die materiellen Bedürfnisse zukünftiger Generationen nicht gerecht befriedigt werden. Das macht zum Auftakt der Vortragsreihe am 13. Juli Professor Thomas Bauernhansl, der Institutsleiter des Fraunhofer IPA, in seinem einführenden Vortrag klar. Seine Alternative: Biointelligenz als eine neue Perspektive für eine nachhaltige Wertschöpfung. Die Biologie findet Einzug in die Wertschöpfung. Biointelligente Produktionssysteme bieten die Chance zur Steigerung der Innovations- und Wettbewerbsfähigkeit sowie der Nachhaltigkeit. Die Technologien existieren, entscheidend ist die transdisziplinäre Forschung und Entwicklung!
Soft-, Hard- und Bioware – die Bausteine für eine Neuorientierung der industriellen Wertschöpfung
Bauernhansl versteht die Biologische Transformation als Prozess der zunehmenden Nutzung von Materialien, Strukturen und Prinzipien der belebten Natur in der Technik mit dem Ziel einer nachhaltigen Wertschöpfung. Neben der schon lange praktizierten Nachahmung von Natur und Biologie in technischen Produkten und Systemen (Bionik=Imitation) wird es künftig eine Integration und Interaktion von technischen und natürlichen Systemen geben. Hier wird die Informationstechnik eine wichtige Rolle einnehmen. Die Nutzung von großen Datenmengen in den konvergierenden Systemen führt zu Biointelligenz. Mit biointelligenten Systemen werden vollkommen neuartige Produkte und Produktionsverfahren möglich.
Kennzeichen biointelligenter Produktionsmittel sind
- Biologische Komponente(n) und Ressource(n)
- Echtzeit-Informationsaustausch (Biologie-Technik Schnittstelle)
- Intelligente Online-Prozessregelung (KI)
- Digitaler Schatten (Echtzeitabbild) und Digitaler Zwilling (Prognosemodelle)
Von der Bionik über die Bioökonomie bis zur Biointelligenz: die Vorträge decken viele Aspekte der Biologischen Transformation ab
Ein Forschungsschwerpunkt des Fraunhofer IGB sind biointelligente Lösungsansätze für die Herstellung nachhaltiger Produkte aus nachwachsenden Rohstoffen, Reststoffen und CO2. Über die Möglichkeiten der Bioökonomie für einen Wandel hin zu einer nachhaltigen Wirtschaftsweise referiert Institutsleiter Dr. Markus Wolperdinger am 20. Juli auch als Sprecher des Strategischen Forschungsfelds Bioökonomie der Fraunhofer-Gesellschaft und stellvertretender Vorsitzender im nationalen Bioökonomierat der Bundesregierung sowie Co-Vorsitzender des Beirats »Nachhaltige Bioökonomie« des Landes Baden-Württemberg.
In seinem einführenden Vortrag »Was wir aus der Natur lernen können« beleuchtet Professor Oliver Schwarz am 29. Juli die Rolle und Relevanz der Bionik (Akronym aus Biologie und Technik) für die Biologische Transformation. Der Wissenschaftler zeigt, wie das Wissen aus der Natur, das die Biologie als beschreibende Wissenschaft gewinnt, etwas bewirken kann: Die drei »B« Bionik, Biotechnologie und Bioökonomie transferieren das Wissen aus der Biologie und bringen es in einen wirtschaftlich anwendbaren Kontext.
Referentinnen und Referenten vom Fraunhofer IGB, UMSICHT und IPA, von der Universität Stuttgart, der Universität für Bodenkultur Wien, vom Naturwissenschaftlichen und Medizinischen Institut (NMI) in Reutlingen sowie von der Firma Trumpf decken dann in weiteren Vorträgen verschiedene Aspekte und Handlungsfelder der Biointelligenz ab:
So stellt NMI-Direktorin Professorin Katja Schenke-Layland neue Ansätze für die Personalisierte Medizin vor (13. September 2021) und Ivica Kolaric, Leiter der Abteilung Funktionale Materialien am Fraunhofer IPA, spricht über den künstlichen Muskel (23. September 2021). Über intelligente Wege zur Wassernutzung referieren Lukas Kriem und Bryan Lotz vom Fraunhofer IGB (9. November 2021). Johannes Full von der Abteilung Nachhaltige Produktion und Qualität am Fraunhofer IPA stellt Bio-Wasserstoff aus Rest- und Abfallstoffen vor (7. Dezember 2021). Mit intelligentem biobasiertem Wohnen beschäftigt sich Junior-Professorin Hanaa Dahy von der Universität Stuttgart am 26. April 2022.
»Die Digitale Transformation der Produktion, die unter dem Schlagwort Industrie 4.0 bereits weit fortgeschritten ist, reicht nicht aus, um die essenziellen Herausforderungen der Gesellschaft zu meistern. Simultan zur Digitalen Transformation bahnt sich mit der Biologischen Transformation eine neue Revolution an. Sie ist mindestens von ebenso hoher, wenn nicht höherer Bedeutung als Industrie 4.0.«
Prof. Dr.-Ing. Thomas Bauernhansl ist seit September 2011 Leiter des Fraunhofer-Instituts für Produktionstechnik und Automatisierung IPA in Stuttgart und gleichzeitig Leiter des Instituts für Industrielle Fertigung und Fabrikbetrieb IFF der Universität Stuttgart. Seine wissenschaftlichen Schwerpunkte sind u. a. die Personalisierte Produktion, die Biologische Transformation sowie Industrie 4.0. Bauernhansl engagiert sich in zahlreichen Beiräten und Vorstandsgremien in Industrie, Verbänden, Forschung und Politik und ist Autor sowie Herausgeber zahlreicher Bücher u.a. zur Wandlungsfähigkeit in der Produktion, zu Industrie 4.0 und dem Management in der Produktion.