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Heil- und Gewürzpflanzen: Chance für den ökologischen Anbau in Baden-Württemberg
Eine Zentralstelle, die Spezialwissen bündelt, eine Marktbörse und eine angemessene Regionalauslobung: Das könnte den Öko-Anbau von Heil- und Gewürzpflanzen in Baden-Württemberg stärken. Landwirtschaftliche Betriebe könnten auf diese Weise das Interesse an Bio-Lebensmitteln, Naturkosmetik und an alternativen Heilverfahren noch stärker nutzen. So die Schlussfolgerungen aus einer Bestandsaufnahme, die das Fachgebiet Agrarmärkte der Universität Hohenheim in Stuttgart im Auftrag des Ministeriums für Ländlichen Raum und Verbraucherschutz Baden-Württemberg (MLR) durchgeführt hat. Alle Ergebnisse des Projektes „Ökologischer Heil-, Kosmetik- und Gewürzpflanzenanbau in Baden-Württemberg“ werden am 31. März 2022 der Öffentlichkeit vorgestellt.
Viele Menschen wünschen sich mehr Artenschutz und Nachhaltigkeit in der Landwirtschaft. „Das kann auch dem ökologischen Anbau von Heil-, Kosmetik- und Gewürzpflanzen neue Möglichkeiten eröffnen“, sagt Prof. Dr. Sebastian Hess vom Fachgebiet Agrarmärkte, Projektleiter der Studie in Kooperation mit dem Zentrum für Ökolandbau an der Universität Hohenheim und dem Netzwerk Kräuter Baden-Württemberg e.V..
„Der Trend zu Natürlichkeit sowie das steigende Gesundheitsbewusstsein und Interesse der Verbraucher:innen an Bio und Regio, schlägt sich auch im Anbau von Heil-, Kosmetik- und Gewürzpflanzen in Baden-Württemberg nieder“, fasst die Autorin der Studie, Dr. Beate Gebhardt zusammen. „Sowohl die Anzahl der Betriebe als auch die Anbauflächen für Heil- und Gewürzpflanzen haben sich in den letzten zehn Jahren von 2010 bis 2020 in Baden-Württemberg ebenso wie deutschlandweit nahezu verdoppelt.“ Laut Statistischem Bundesamt stieg in diesem Zeitraum die Anzahl der Betriebe im Land von 77 auf 147. Die Anbaufläche wuchs von 237 ha auf 438 ha.
Baden-Württemberg auf Platz zwei in Deutschland
Betrachtet man nur den ökologischen Anbau gab es 2020 eine Anbaufläche von 217 ha in 68 Betrieben. Damit liegt Baden-Württemberg auf Platz zwei in Deutschland – nur Bayern verfügt über mehr Betriebe und eine deutlich größere Fläche im ökologischen Anbau von Heil- und Gewürzpflanzen. „Allerdings reden wir hier von einer ‚Nische in der Nische‘. Insgesamt bauen 1,5 Prozent aller landwirtschaftlichen Betriebe im Land diese Sonderkultur ökologisch an“, betont Dr. Gebhardt, die für die Studie eine Bestandsaufnahme durchführte und 21 Expertinnen und Experten befragte.
Öko-Anteil: Stillstand auf überdurchschnittlich hohem Niveau
Dennoch ist Baden-Württemberg von der deutschlandweit starken Zunahme des Öko-Anteils in diesem Segment in den Jahren 2016 bis 2020 nahezu abgekoppelt. Während bundesweit die Gesamtanbaufläche um rund 42 Prozent anstieg, lag der Zuwachs im Land bei gerade mal einem Prozent. „Letztlich entspricht dies einem Stillstand des Öko-Anteils im Heil- und Gewürzpflanzenanbau in Baden-Württemberg, wenn auch auf überdurchschnittlich hohem Niveau“, fasst Dr. Gebhardt zusammen. Das in Baden-Württemberg anvisierte Flächenziel 30 Prozent Ökolandbau bis im Jahr 2030 wurde in dieser Sonderkultur bereits 2020 erreicht.
„Der Anbau von Heil- und Gewürzpflanzen ist kein Selbstläufer oder Garant für ein wirtschaftlich erfolgreiches Standbein in der Landwirtschaft“, fährt sie fort. „Typisch für Baden-Württemberg sind kleine und mittlere Betriebsgrößen, eine lange Tradition und ein schwer zugängliches Spezialwissen. Der Anbau von Heil- und Gewürzpflanzen in Baden-Württemberg ist sehr vielfältig, arbeitsintensiv und häufig Handarbeit. Und vor allem die kleineren Betriebe fallen oft durch das Raster der Erfassungsgrenzen der Agrarstatistik - und von Fördermaßnahmen.“
Empfehlung: Zentralstelle für Spezialwissen, Marktbörse und Kommunikation
Was die künftige Entwicklung anbetrifft, erwarten die Expert:innen in den nächsten fünf Jahren keine wesentlichen Änderungen. Um den ökologischen Anbau von Heil- und Gewürzpflanzen in Baden-Württemberg zu stärken, empfehlen die Forschenden als Kernelement die Verstetigung von Forschung und Wissenstransfer und Einrichtung einer Zentralstelle zur Bündelung und Verstetigung von Beratungsdienstleistungen.
„Wer mit dem Anbau neu startet, muss viel ausprobieren. Das führt oft jahrelang zu immer wiederkehrenden Rückschlägen“, so Dr. Sabine Zikeli vom Zentrum Ökologischer Landbau an der Universität Hohenheim und Vorstandsmitglied im Netzwerk Kräuter Baden-Württemberg. „Es gehört viel Pioniergeist und Technikbegeisterung dazu, um Maschinen für Ernte, Trocknung und Aufbereitung der Pflanzen selbst zu bauen oder anzupassen.“ Eine Zentralstelle könnte dieses Spezialwissen sammeln, vertiefen und über Neuigkeiten informieren – vergleichbar beispielsweise mit der Bayrischen Landesanstalt für Landwirtschaft (LfL).
Auch die einzelbetriebliche Unterstützung und eine stärkere Vernetzung der Wertschöpfungsketten sollten verbessert werden, so Dr. Gebhardt. „Da potenzielle Abnehmer bevorzugt nur mit einer Partei verhandeln möchten, sollte eine Marktbörse etabliert werden, in der sich Anbauer:innen in Baden-Württemberg zu einer Vertriebsgemeinschaft oder -genossenschaft zusammenschließen, welche Anbau und aufnehmende Hand zusammenbringt.“ Sinnvoll sei darüber hinaus eine Kommunikationsstrategie, welche die Nachhaltigkeit und Einzigartigkeit von ökologisch angebauten Heil- und Gewürzpflanzen aus Baden-Württemberg hervorhebt, mit einer angemessenen Regionalauslobung.
Wofür die Herkunft Baden-Württemberg bei Heil- und Gewürzpflanzen stehen kann und möchte, ist ein Zukunftsthema. Denn der Anbau von Heil- und Gewürzpflanzen geht mit einem hohen ökologischen Nutzen sowie der optischen Aufwertung von Landschaften einher und leistet einen Beitrag zur biologischen Vielfalt in Baden-Württemberg. Zudem ist das Wissen über Heilpflanzen und deren heilende Anwendung eine erhaltenswerte Kulturleistung.