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Landwirtschaft mit Abwasser? Hydroponik-Systeme mit biointelligenter Sensorik und Steuerung machen es möglich
Eine ressourcenschonende Landwirtschaft mit einer sinnvollen Abwasserverwertung verbinden – dank Hydroponik wird das möglich. Die innovative Anbauform kommt gänzlich ohne Boden aus. Die Nährstoffe, die Pflanzen zum Wachsen benötigen, werden komplett über das Wasser zugeführt. Dafür lässt sich auch gebrauchtes Wasser verwenden. Eine entscheidende Rolle spielt dabei eine biointelligente Sensorik und Steuerungstechnik, mit der Wasserqualität und Pflanzenwachstum kontrolliert werden – für eine optimale Nährstoffverteilung und zum Schutz vor möglichen Schadstoffen.
Heutzutage entfallen rund 70 Prozent des weltweiten Wasserverbrauchs auf landwirtschaftliche Aktivitäten. Dabei sind zunehmende Trockenheit und abnehmende Bodenqualität die größten Herausforderungen der Landwirtschaft. Der voranschreitende Klimawandel verschärft diese Trends und somit auch den Bedarf an Wasser. Noch denkt man beim Wort »Dürre« zuerst an gelegentliche Katastrophen in weit entfernten Regionen, doch auch in Deutschland ist das Problem bereits deutlich spürbar. Die Trockenperioden der letzten Jahre, vor allem die Rekordsommer 2018 und 2019 haben zu erheblichen Einbußen in der deutschen Landwirtschaft geführt. So stiegen beispielsweise die Preise für Kartoffeln 2019 auf ein Rekordniveau an. Um zukünftige Konflikte zwischen den Ansprüchen von Landwirtschaft, Industrie, Versorgung und Umwelt vorzubeugen, bedarf es neuer Ansätze. Am Fraunhofer IGB arbeiten wir daher an Lösungen, die sich diesen Herausforderungen annehmen: zum Beispiel durch die Nutzung von aufbereitetem Abwasser für eine bodenschonende Landwirtschaft.
Hydroponik: Intelligente Wasserverwertung und bodenschonender Pflanzenanbau
Eine dieser Lösungen heißt Hydroponik. Gemeint ist eine landwirtschaftliche Anbautechnik, die komplett ohne Bodensubstrat und mit weniger Wasser auskommt. Das Grundprinzip kennt jeder, der schon einmal einen Setzling von einer Zimmerpflanze gezogen hat: Der Spross wird nicht direkt in Erde gepflanzt, sondern zunächst in einer Vase oder einem Glas voll Wasser gestellt, bis er darin Wurzeln treibt. In hydroponischen Anbausystemen wachsen Pflanzen also in Behältern, die durch ein Verteilungssystem regelmäßig mit Wasser und den darin enthaltenen Nährstoffen versorgt werden. Ein Bodensubstrat wird überhaupt nicht benötigt. Diese Form des Pflanzenbaus ist sehr produktiv und kommt mit weniger Platz, Dünger und Pestiziden aus. Durch die Unabhängigkeit vom Boden werden auch weitere innovative Anbauformen möglich, wie z. B. das Vertical Farming. Durch das geschlossene System, bei dem weniger Wasser verdunstet und keine Versickerung stattfindet, sind Wassereinsparungen von bis zu 90 Prozent möglich. Wenn man nun anstelle von Frischwasser aufgereinigtes Abwasser verwendet, also Wasser, das bereits einer Verwendung zukam und entsprechend behandelt wurde, erhöht man die Wassereffizienz sogar noch weiter.
Im Rahmen des Projekts »Hypowave« haben wir eine Reihe von Technologien und Verfahren erprobt, um die kommunale Abwasserentsorgung mit landwirtschaftlicher Wiederverwertung des Wassers zu kombinieren. Das Ziel war, zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen: Den Partnergemeinden eine sinnvolle Nutzung ihres Abwassers zu bieten und Landwirten einen ressourcenschonenden Pflanzenanbau mit erhöhter Produktivität zu ermöglichen. Die zentrale Herausforderung bestand dabei weniger im Aufbau einer entsprechenden hydroponischen Anlage, sondern in deren Verbindung mit der kommunalen Abwasserinfrastruktur und dem laufenden Betrieb. Letzterer erfordert schließlich eine adaptive und präzise Steuerung.
Biointelligente Sensor- und Steuerungstechnik: Selbstlernende Prozessoren imitieren Gehirn
Unsere Aufgaben waren also viel komplexer als einfach nur Leitungen zur Wasserverteilung zu verlegen und Wasser aufzubereiten. Die eigentliche Leistung ist, für eine gleichbleibend gute Wasserqualität und für eine optimale Verteilung der enthaltenen Nährstoffe zu sorgen. Gleichzeitig muss aber auch sichergestellt werden, dass in der zuvor erfolgten Aufbereitung des Wassers jegliche Schadstoffe oder Krankheitserreger entfernt werden, die sich möglicherweise in den angebauten Pflanzen ablagern und somit gesundheitsschädlich sein könnten. Dafür wurde in einem der Freilandversuche eine Kombination aus einem Oxidationsverfahren und einem neuartigen Aktivkohle-Biofilter erfolgreich erprobt. Im dabei produzierten Salat konnten keine schädlichen Rückstände mehr nachgewiesen werden.
Damit das auch so bleibt, muss die Wasserqualität bzw. müssen die enthaltenen Stoffe permanent kontrolliert werden. Das erfordert eine ausgefeilte biointelligente Sensorik und Steuerungstechnik. Bei deren Etablierung und Erprobung war es für uns besonders herausfordernd, die teilweise gegensätzlichen Zielstellungen miteinander in Einklang zu bringen. Also einerseits die Nährstoffversorgung der Pflanzen sicherzustellen und andererseits die behördlichen Auflagen für die Nährstoffelimination im Zuge der Abwasserreinigung einzuhalten. Zudem müssen wir betriebliche Störungen der Wasseraufbereitungsprozesse vermeiden, die zu erhöhten Risiken bei der Verwendung des aufbereiteten Wassers führen könnten − etwa durch pathogene Keime.
Die technische Umsetzung von so komplexen und variierenden Anforderungen ist nur mithilfe leistungsstarker, intelligenter Steuerung der einzelnen Systemelemente möglich. Unsere Wahl fiel auf künstliche Neuronale Netze, die aus zahlreichen Prozessoren bestehen. Diese Elemente sind dabei selbstlernend und imitieren unser Gehirn. Auf der Grundlage von Messdaten können sie das Gesamtsystem optimieren und die Steuergrößen der Abwasseraufbereitungsanlagen automatisch anpassen.
Für diesen Zweck ist es notwendig, dass die physische Infrastruktur der hydroponischen Anlage nicht nur eine Datenerfassung ermöglicht, sondern diese im System kommunizieren kann und Rückkopplungen ermöglicht. Die Grundlage dafür bilden Sensoren für die Überwachung kritischer Wasserqualitätsparameter an verschiedenen Stellen des Gesamtsystems. Diese liefern hochaufgelöste Daten an einen Server, der als Schnittstelle zwischen der Datenaufnahme und -verarbeitung fungiert. Die im Projekt konzeptionierte selbstlernende Steuerung optimiert so anhand Neuronaler Netze die Prozesse zur Abwasseraufbereitung sowie zum Pflanzenanbau.
Kombination aus Hydroponik und Abwasserverwertung: Fallstudie zeigt großes Potenzial
Die betreffende Fallstudie im Rahmen von HypoWave haben wir in der Gemeinde Weißenberge im Kreis Gifhorn durchgeführt. Hier rückten auch die möglichen Vorteile für die Abwasserwirtschaft in den Fokus. In dem 500-Einwohner-Ort gab es bisher keine eigene Kläranlage, sondern lediglich einen Klärteich – also eine einfachere Form der Abwasserreinigung, die nicht in der Lage ist, den zukünftigen Anforderungen − wie etwa der weitergehenden Entfernung von Nährstoffen − gerecht zu werden. Das Hauptaugenmerk unseres Projektteams lag auf der Frage, ob der Anschluss der Siedlungen an eine zentrale Kläranlage durch ein Gewächshaus mit einem hydroponischen System ersetzt werden könnte.
Wir wollten zeigen, dass es möglich ist, die im Ablauf des Klärteichs enthaltenen Nährstoffe im hydroponischen Gewächshaus deutlich zu reduzieren, um eine landwirtschaftliche Nutzung und Abwasserentsorgung auf intelligente Art und Weise miteinander zu verbinden. Denn das würde sich auch wirtschaftlich für die Beteiligten lohnen: Einerseits durch die Einsparung der Kosten für den Bau einer Anlage und andererseits durch die Erschließung einer neuen Einkommensquelle durch die landwirtschaftliche Nutzung, die im Gewächshaus sogar ganzjährig möglich ist. Auch hier waren die Ergebnisse derart vielversprechend, dass dieser Frage im Folgeprojekt »HypoWave Plus« nachgegangen wird.
Die bisherigen Forschungsergebnisse zeigen, dass die Kombination von Hydroponik und Abwasserrecycling ein zukunftsfähiges Konzept mit großem Potenzial ist. Denn die beschriebene Kombination von Abwasserverwertung und Agrarwirtschaft bedeutet eine Win-win-Situation für Landwirtschaft und Abwasserbetriebe.
Die Aussichten für die Anwendung sehen wir äußerst positiv, weil viele Kläranlagen derzeit ohnehin umstrukturieren, weil sie zum Beispiel eine vierte Reinigungsstufe für Spurenstoffe einführen oder aus anderen Gründen einen Umbau ihrer Wasserinfrastruktur vornehmen müssen. Gleichzeitig verstärkt sich durch den Klimawandel auch hierzulande das Problem der Wasserknappheit, was die Landwirtschaft vor weitere Herausforderungen stellt.