Hauptnavigation
PeePower™ – Energie aus Urin
Grünen Wasserstoff und Plattformchemikalien aus Abwasser zu gewinnen, ist das Ziel des Verbundforschungsprojekts PeePower™ BUGA 2023. Damit sind die Forschenden auf der BUGA 2023 mit den vier Leitthemen Klima, Energie, Umwelt sowie Nahrungssicherung in guter Gesellschaft.
Neun Mrd. Kubikmeter Abwasser, also verändertes Wasser aus häuslichem, gewerblichem, landwirtschaftlichem Gebrauch (Schmutzwasser), sowie Niederschläge aus bebauten Bereichen haben die Bundesbürger im Jahr 2019 produziert.1) Besonders im sogenannten Schmutzwasser sind erhebliche Anteile organischer Reststoffe enthalten, die Potenzial haben, weiterverwertet zu werden. Im Jahr 2020 wurden in Baden-Württembergs Kläranlagen 192 Mio. kWh Strom und 271 Mio. kWh Wärme aus Klärgas erzeugt, die sie nahezu vollständig selbst verbrauchen.2) Ferner wird der in den Kläranlagen bei der Reinigung des Abwassers entstehende Klärschlamm zum großen Teil thermisch verwertet. Die Rückgewinnung von Phosphor aus Klärschlämmen ist in Vorbereitung.
Wasserstoff: Energieträger der Zukunft
Im Verbundforschungsvorhaben PeePower™ BUGA 2023 nehmen sich die DVGW-Forschungsstelle am Engler-Bunte-Institut (EBI) des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT) unter der Leitung von Prof. Dr. Harald Horn und das Institut für technische Mikrobiologie der Technischen Universität Hamburg unter der Leitung von Prof. Dr. Johannes Gescher nun eines bestimmten Anteils des Schmutzwassers an, dem Urin. Die Forschenden aus Karlsruhe konnten bereits im Labormaßstab mit einem 10-l-Reaktor zeigen, dass die Gewinnung von Wasserstoff aus Urin möglich ist. „Das in ein 100-l-System zu übertragen, was kontinuierlich über sechs Monate betrieben werden soll, geht nun über den Labormaßstab hinaus“, erläutert Chemieingenieur Jonas Ullmann, der am EBI das Projekt betreut. Das Projekt wird beratend von Prof. Dr. Yannis Ieropoulos von der Universität Southhampton begleitet.
Der Energieträger Wasserstoff hat auf die Masse bezogen einen Energiegehalt von 33 kWh/kg. Im Vergleich dazu ist in 1 l Diesel lediglich ein Energiegehalt von 10 kWh enthalten.3) Es ist daher nicht verwunderlich, dass Wasserstoff als der Energieträger der Zukunft gehandelt wird. Aktuell wird sogenannter grüner Wasserstoff durch Elektrolyse aus erneuerbaren Energien gewonnen. „Ganz konkret geht es in diesem Projekt darum, Urin als Ausgangsstoff für die Wasserstoffherstellung zu nutzen, weil im Urin sehr viele biologisch abbaubare Kohlenstoffverbindungen enthalten sind. Diese Kohlenstoffverbindungen können von Mikroorganismen als Energiequelle genutzt werden, um Wasserstoff mit geringerem Energieaufwand herzustellen als ohne die Mikroorganismen“, erklärt Ullmann. Mit dem Projekt soll ein Proof of Concept erbracht werden, durch den sich die Herstellung weiterer chemischer Energieträger oder Plattformchemikalien aus organischen Abfallströmen in einem ähnlichen Maßstab eröffnen soll.
Teamwork der Bakterien
Getestet werden soll das System auf der BUGA 2023 in Mannheim. Die Forschenden setzen dafür einen am EBI entwickelten 100-l-Reaktor auf Basis eines Scheibentauchkörpers ein, der als mikrobielle Elektrolysezelle dient. Solche Tauchkörper werden häufig in der biologischen Abwasserbehandlung verwendet. Dort siedeln sich Mikroorganismen auf den Scheiben an und bilden einen Biofilm. Für das PeePower™-Projekt, das durch das Ministerium für Umwelt, Klima und Energiewirtschaft Baden-Württemberg im Rahmen des Förderprogamms BWPLUS gefördert wird, kommen zunächst die elektroaktiven Bakterienspezies Shewanella oneidensis und Geobacter sulfurreducens in einer Co-Kultur zum Einsatz. Es handelt sich dabei um Modellorgnismen mit besonderen Eigenschaften, die in der Co-Kultur am besten zur Geltung kommen. Mit der Zeit wird sich die mikrobielle Gemeinschaft um weitere, ebenfalls elektroaktive Spezies erweitern. Die Vorversuche zum Wachstum der beiden Modellorganismen in Urin wurden an der Technischen Hochschule Hamburg durchgeführt. So galt es beispielweise zu klären, ob Urin sich ab bestimmten Konzentrationen wachstumshemmend auf die Bakterien auswirkt.
Die elektroaktiven Bakterien sind in der Lage, kohlenstoffhaltige Verbindungen aus dem Urin abzubauen. Die dabei erhaltenen Elektronen übertragen sie auf das leitfähige Material (Elektronenakzeptor, Anode) im Reaktor. „In unserem Fall legen wir ein elektrisches Potenzial auf der Aufwuchsfläche an, welches den Mikroorganismen suggeriert, sie sei deren bevorzugter Elektronenakzeptor und diese die Elektronen aus dem Zellinneren auf die Aufwuchsfläche, die Anode, abgeben können“, erklärt der Chemieingenieur, der schon in anderen Projekten mit der Wasserbehandlung in Kontakt gekommen ist. Die dabei an der Anode freiwerdenden Elektronen werden über eine Spannungsquelle an die Gegenelektrode (Kathode) übertragen, um dort durch die Reduktion von Protonen Wasserstoff (H2) zu produzieren. Die Spezies Geobacter ist ein guter Biofilmbildner, da sie über Zellfortsätze die Elektronen sehr gut ausschleusen und an die Anode weitergeben kann. Shewanella dagegen kann Sauerstoff verstoffwechseln, was hilfreich ist, um einer eventuellen Sauerstoffkontamination entgegenzuwirken.
Noch zahlreiche Herausforderungen
Auf der BUGA wird es eine Trenntoilette geben, sodass feste und flüssige Bestandteile des Toilettengangs getrennt gesammelt werden können. Während die festen Bestandteile mit Sägespänen kompostiert werden, wird der flüssige Bestandteil, der Urin, in einem Vorratstank gesammelt und anschließend in den 100-l-Reaktor überführt. Mit dem produzierten Wasserstoff soll vor Ort über eine 50-W-Brennstoffzelle eine Ladestation für Smartphones betrieben werden. „Wir erwarten, dass wir mehr Urin erhalten werden als wir brauchen, denn Urin ist eine „dicke Suppe“ an organischen Kohlenstoffverbindungen. Allerdings ist die Menge der Wasserstoffproduktion auch von der Prozessführung abhängig, denn Geobacter kann Wasserstoff wieder verstoffwechseln und dadurch die Ausbeute verringern. Wir erwarten, mit einer optimierten Prozessführung und einer kontinuierlichen Anwendung auf mindestens 200 l pro Tag zu kommen“, so Ullmann.
Eine Herausforderung stellt der Urin für die im Reaktor eingebauten Messsysteme wie pH-Elektroden dar. Denn Urin ist sehr salzhaltig und kann daher bei filigranen Messsensoren zu Verschleiß führen. Auch wollen die Forschenden beobachten, wie die im Urin nativ vorliegenden Bakterienkulturen die gewünschte Co-Kultur auf den Aufwuchsflächen verändern.
Bioökonomie der Zukunft
Sollte der Proof of Concept auf der BUGA erfolgreich sein, könnte diese Art der Wasserstoffgewinnung zum Beispiel in Bürogebäuden zum Einsatz kommen, wenn dort Trenntoiletten eingebaut würden. Doch die Forschenden wollen mehr: „Wir wollen zeigen, dass mit dieser Art Reaktor organische Abfallströme nutzbar gemacht werden können“, so Ullmann. Interessant sei dies besonders in einem Klärwerk, da dort das organische Aufkommen sehr hoch ist. Momentan werde in den Kläranlagen der Kohlenstoff lediglich zu CO2 abgebaut. Ziel sei es daher, die Abwassertechnik neu zu denken und den wertvollen Kohlenstoff mit dem Reaktorkonzept nutzbar zu machen. So könnten nicht nur Energieträger, sondern auch Plattformchemikalien hergestellt werden.
™ denotes trademark of University of West England, used under licence by University of Southampton
Quellen:
1) Statista "Statistiken zur Abwasserwirtschaft": https://de.statista.com/themen/3492/abwasserwirtschaft-in-deutschland/#topicHeader__wrapper
2) Statistisches Landesamt, Pressemitteilung: "Stromerzeugung aus Klärgas etwa auf Vorjahresniveau": https://www.statistik-bw.de/Presse/Pressemitteilungen/2021252
3) Wasserstoff DIHK Faktenpapier: https://www.dihk.de/resource/blob/24872/fd2c89df9484cf912199041a9587a3d6/dihk-faktenpapier-wasserstoff-data.pdf