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Proteine aus Grünland-Schnitt: Erste Fütterungsversuche verlaufen erfolgreich
Den Küken schmeckt’s: Die ersten 50 Kilogramm Proteinextrakt – gewonnen aus Grünland-Schnitt – konnten Forschende der Universität Hohenheim in Stuttgart an die Tiere verfüttern. Doch in den Pflanzen von Wiesen und Weiden steckt noch mehr als eine neue Eiweißquelle für Schweine und Geflügel: Auch in der menschlichen Ernährung könnten sie eine Alternative zu Soja darstellen. Außerdem sind sie Ausgangsmaterial für biobasierte Kunststoffe und Papier, Energie und Dünger. Um dieses enorme Potenzial nutzbar zu machen, erforschen drei Hohenheimer Arbeitsgruppen die Möglichkeiten im Sinne einer Kreislaufwirtschaft im Projekt „Proteine aus der Grünlandnutzung – ProGrün“. Es wird vom baden-württembergischen Ministerium für Ernährung, Ländlichen Raum und Verbraucherschutz MLR mit rund 1 Mio. Euro gefördert – ein Schwergewicht der Forschung an der Universität Hohenheim.
Gras und andere Grünlandpflanzen enthalten viel Eiweiß. Doch nur Wiederkäuer wie Rinder und Schafe können die enthaltenen Proteine verwerten – so dachte man lange Zeit. Doch wenn das in den Grünlandpflanzen enthaltene Eiweiß zuvor aus seiner pflanzlichen Struktur herausgelöst wird, ist es grundsätzlich auch als Tierfutter für Nicht-Wiederkäuer geeignet, zeigen Forschende der Universität Hohenheim im Projekt ProGrün.
Und das ist ganz im Sinne der Bioökonomie und einer nachhaltigen Kreislaufwirtschaft: Denn auch der Rest der Biomasse wird genutzt – für die Herstellung von hochwertigen Materialien, aber auch zur Wärme- und Energieerzeugung. Dafür entstand auf der Versuchsstation Agrarwissenschaften der Universität Hohenheim am Standort „Unterer Lindenhof“ eine Bioraffinerie-Demonstrationsanlage, die es erlaubt, den gesamten Prozess im Technikumsmaßstab zu testen. „Damit haben wir dort alles, also Gras, Bioraffinerie sowie Hühner und Schweine, um eine Bioökonomie im Kleinen aufzubauen“, sagt Projektkoordinatorin Prof. Dr. Andrea Kruse vom Fachgebiet Konversionstechnologien nachwachsender Rohstoffe.
Neue Proteinquelle und Alternative zu Soja
Der Bedarf an Protein in der Ernährung von Mensch und Tier wird derzeit zu einem großen Teil durch Soja gedeckt. Daraus ergeben sich gleich mehrere Probleme: Zum einen erfolgt der Anbau von Soja überwiegend außerhalb von Europa und ist in vielen Fällen nicht nachhaltig und umweltfreundlich. Gleichzeitig gelangen mit dem Import vermehrt Stickstoffverbindungen nach Europa, die letztlich über die Gülle auf den Feldern landen – mit negativen Folgen für die Umwelt.
Zum anderen fehlen diese Stickstoffverbindungen im Anbauland. „Dieses Defizit muss dort mit Mineraldünger gedeckt werden. Sowohl der Transport von Soja als auch die Mineraldünger-Herstellung führen zu einem erheblichem Energie-Verbrauch und damit zu erheblichen Kohlendioxid-Emissionen“, erläutert die Bioökonomie-Expertin..
Keine Konkurrenz zur Nahrungsmittelproduktion
Allerdings sind die Möglichkeiten begrenzt, Sojaprotein durch andere Proteine zu ersetzen, die regional oder in Europa erzeugt werden. Insofern stellt Grünland eine bislang unterschätzte Proteinressource dar. Mit 4,7 Millionen Hektar macht das Dauergrünland in Deutschland mehr als ein Viertel der landwirtschaftlich genutzten Fläche aus, die zudem nicht in Konkurrenz zur Nahrungsmittelproduktion steht.
Aktuell wird nur ein Teil direkt als Futter genutzt: Grünlandschnitt, der im Rahmen der Landschaftspflege anfällt, wird ebenso wie Material aus Obstplantagen, Streuobstwiesen, landwirtschaftlichen Nebenflächen etc. oft nicht verfüttert.
Eiweiß-Zusammensetzung mit der von Soja vergleichbar
Damit auch Nicht-Wiederkäuer das Grünfutter verstoffwechseln können, ist ein Zwischenschritt zur Extraktion und zum Aufschluss der verdaulichen Proteine notwendig. Dazu wird das in den meisten Fällen verwendete Gras zunächst zerkleinert und gepresst. Heraus kommt der Presssaft mit einem hohen Anteil an löslichen Proteinen, einer Restmenge an Kohlenhydraten sowie weiteren chemischen Verbindungen. Die festen Bestandteile und rund zwei Drittel des Proteins bleiben im sogenannten Presskuchen zurück.
„Zucker, Säuren und andere Substanzen im Presssaft können die Verdaulichkeit der Proteine beeinträchtigen“, erklärt Prof. Dr. Rodehutscord vom Fachgebiet Tierernährung. Deshalb werden diese weitgehend abgetrennt. Anschließend werden die Proteine schonend getrocknet, mit weiteren Tierfutterbestandteilen gemischt und pelletiert. „Aus rund 45 Tonnen frisch geschnittenen Grases kann so proteinreiches Futter mit 1.000 Kilogramm Proteinanteil hergestellt werden“, ergänzt Prof. Dr.-Ing. Reinhard Kohlus vom Fachgebiet für Lebensmittelverfahrenstechnik und Pulvertechnologie.
„Die Zusammensetzung der Aminosäuren in dem Proteinextrakt entspricht in etwa der von Soja“, weiß Prof. Dr. Rodehutscord, „und ist damit im Prinzip hervorragend für die Ernährung von Hühnern und Schweinen geeignet.“ Auf eine Schwierigkeit, die die Forschenden erst überwinden mussten, weist sein Mitarbeiter Dr. Wolfgang Siegert hin: „Das Futter muss den Tieren auch schmecken, sonst fressen sie es nicht. Hierfür waren ein paar Vorversuche notwendig. Aber jetzt konnten wir die ersten 50 Kilogramm an Küken verfüttern.“
Langfristig soll es laut den Expert:innen auch möglich sein, den gewonnenen Proteinextrakt für die menschliche Ernährung einzusetzen.
Kreislaufwirtschaft: Verwertung der restlichen Biomasse
Ganz im Sinne einer nachhaltigen Kreislaufwirtschaft soll auch die restliche Biomasse verwertet werden. „So kann der anfallende Presskuchen zur Herstellung von Graspapier oder von Fasermatten zur Isolierung dienen“, erläutert Prof. Dr. Kruse.
„Da er zudem noch genügend Protein enthält, ist der Presskuchen auch für die Fütterung von Rindern geeignet. Und zu guter Letzt kann er auch in einer Biogas-Anlage verwertet werden. Deren Gärrest wird als Dünger auf die Felder ausgebracht und schließt so den Nährstoffkreislauf“, ergänzt ihr Mitarbeiter und Projektleiter Przemyslaw Maziarka.
Im Presssaft enthaltene Kohlenhydrate und Zucker stellen wiederum ein vielversprechendes Ausgangsmaterial für die Herstellung von sogenannten Plattformchemikalien, wie HMF (5-Hydroxymethylfurfural) dar, das die Grundlage für die Herstellung biobasierter Kunststoffe bildet. „Wir wandeln die Zucker direkt im Saft um und entziehen ihm dann das entstandene HMF“, beschreibt er den Prozess.
Hohenheimer Ansatz: Modulare, dezentrale On-Farm-Bioraffinerie
„Letztlich ist dieser Hohenheimer Ansatz eine Weiterentwicklung bestehender Konzepte, bei denen die Wertschöpfung aus Presssaft und Presskuchen maximiert werden soll“, erklärt Prof. Dr. Kruse weiter. Kleine On-farm-Bioraffinerien, direkt am Bauernhof angesiedelt, sind für sie der Schlüssel, um Kreisläufe zu schließen und so Natur, Umwelt und Klima zu schützen.
Der Clou dabei: Die Anlagen bestehen aus einzelnen Modulen, die je nach Anforderungen miteinander gekoppelt werden können. „Wenn man verschiedene Prozesse effizient hintereinander schaltet, wird Biomasse entlang der ganzen Wertschöpfungskette zu Lebensmitteln, Futtermitteln, Werkstoffen, Materialien, Chemikalien und Energie veredelt“, ist Prof. Dr. Kruse überzeugt.
HINTERGRUND: Verbundprojekt Proteine aus der Grünlandnutzung ProGrün
Das Projekt ProGrün startete am 1.12.2020 und endet voraussichtlich am 30.11.2023. Es wird vom Ministerium für Ernährung, Ländlichen Raum und Verbraucherschutz Baden-Württemberg (MLR) mit 1,07 Mio. Euro gefördert. Beteiligt sind die Arbeitsgruppen von Prof. Dr. Andrea Kruse vom Fachgebiet Konversionstechnologien nachwachsender Rohstoffe, Prof. Dr. Markus Rodehutscord vom Fachgebiet Tierernährung und Prof. Dr. Reinhard Kohlus vom Fachgebiet Lebensmittelverfahrenstechnik und Pulvertechnologie.
HINTERGRUND: Tierversuche an der Universität Hohenheim
Die Universität Hohenheim sucht nach Erkenntnisgewinn und Wissensvermittlung zum Nutzen aller Lebewesen und zum Schutz unseres Planeten. Dies ist auch auf absehbarer Zeit nicht ohne Forschung und Lehre mit Tieren möglich.
Für den Fütterungsversuch wurden 200 Masthuhn-Küken auf der Versuchsstation Agrarwissenschaften in Gruppen gehalten und mit dem Grünland-Proteinextrakt gefüttert. Es wurde das Wachstum, der Futterverzehr und das Verhalten der Küken beobachtet. Rechtlich handelt es sich dabei nicht um Tierversuche.
Aufschluss über den Umfang der Tierversuche an der Universität Hohenheim gibt die offizielle Versuchstiermeldung. Jährlich meldet die Universität darin jedes Versuchstier, an dem ein Tierversuch abgeschlossen wurde. Laut der Versuchstiermeldung von 2020 waren dies genau 3.500 Tiere. Mit 66 % waren Hühner die häufigsten Versuchstiere an der Universität Hohenheim gefolgt von anderem Geflügel (14,3 %) und Mäusen (9,6 %).