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Von der Biomasse zu Hightech und zurück: Mit gängigen Herstellungsverfahren aus Papier-, Verpackungs- und Batterieproduktion zur biologisch abbaubaren Elektronik
Heute gab es bei Familie Müller Joghurt zum Frühstück. Jetzt stehen 4 Becher auf dem Tisch, die früher einfach in den Restmüll gewandert sind. Heutzutage wird aber der Müll sauber und sortenrein getrennt. Der Deckel wandert in den gelben Sack, die Pappumhüllung des Plastikbechers wird entfernt und dem Papierrecycling zugeführt, der jetzt nackte Becher darf auch in den gelben Sack. Das ist schon etwas zeitintensiv. Noch komplexer war es gestern, als eine der Verpackungen einen Frischesensor hatte. Solch ein unscheinbarer Aufkleber enthält Metalle, leitfähige Polymere, ionische Flüssigkeiten und Plastik. Diese Wertstoffe mussten mit einer Pinzette, einem Wasserbad oder einem Ultraschallbad getrennt werden. Da hatte Herr Müller fast eine Stunde zu tun. Er macht das natürlich noch freiwillig. Sollte der Gesetzgeber dies dem Verbraucher in Zukunft vorschreiben oder gibt es vielleicht einen besseren Weg?
Bitte beachten Sie, dass es sich bei diesem Beitrag um keine Pressemitteilung, sondern um einen Blogpost handelt.
Diese Frage muss in naher Zukunft beantwortet werden, da wir im Moment Berge von Elektroschrott produzieren. Und weltweit betrachtet wird nur ein ziemlich geringer Bruchteil der ausgedienten Alltagselektronik recycelt. Denn es ist aufwendig und teuer, diese Wiederverwertung umweltgerecht durchzuführen.
Ursachen sind schnelllebige Produkte und eine rasante Entwicklung: Immer mehr Sensorik zieht in unseren Alltag ein – Tendenz weiter steigend. Beispielsweise können wir Lieferketten durch Digitalisierung überwachen. Standort, Temperatur und Feuchte zu kontrollieren, wird dadurch Paketdiensten und Verpackungsindustrie möglich. Damit wir aber nicht im Elektroschrott versinken, brauchen wir innovative Lösungen. Einer davon ist die Entwicklung von elektronischen Komponenten auf Basis nachwachsender und vor allem biologisch abbaubarer Rohstoffe. Damit können wir ohne aufwendiges Recycling und ohne Einsatz giftiger Chemikalien einen nachhaltigen Stoffkreislauf durch biologische Abbauprozesse schaffen.
Digital, aber nachhaltig!
Die Forschung auf diesem Gebiet nimmt gerade richtig an Fahrt auf. So wurden beispielsweise bereits biologisch abbaubare Displays entwickelt und sogar gedruckte elektronische Schaltkreise, die sich unbedenklich im menschlichen Körper auflösen.
Eine große Herausforderung sind vor allem die Energiespeicher für solche portablen Anwendungen. Herkömmliche Batterien enthalten meist Materialien und teils giftige Chemikalien, die nicht biologisch abbaubar sind. Forscher der Empa, des interdisziplinären Forschungsinstituts der eidgenössischen Hochschulen für Materialwissenschaften und Technologieentwicklung, haben bereits erfolgreich biologisch abbaubare Superkondensatoren und Batterien als Energiespeicher aus dem 3D-Drucker getestet.
Superkondensator auf Papierbasis
Am Fraunhofer IPA wird der Ansatz einer großtechnischen Produktion solcher nachhaltigen Energiespeichersysteme verfolgt. Dazu werden Materialien und Prozesse erforscht, mit denen es in Zukunft möglich sein soll, solche Energiespeicher im kontinuierlichen Bandbetrieb herzustellen. Nun wurde erstmals ein Superkondensator auf Papierbasis entwickelt, der ausschließlich aus biologisch abbaubaren Materialien besteht und dessen Herstellungsprozess auf eine kontinuierliche Bandanlage übertragbar ist. Das Papier wird mittels Kohlenstoff elektrisch leitfähig gemacht und fungiert außerdem als Separator. Handelsübliche PLA-Folie (vom englischen Wort polylactic acid[i]), wie sie bereits bei kompostierbaren Verpackungen zum Einsatz kommt, dient als Kapselung sowie als Träger einer leitfähigen, ebenfalls kohlenstoffbasierten Beschichtung für die elektrische Kontaktierung des Superkondensators. Schellack wird als Bindemittel der leitfähigen Beschichtung und als zusätzliche Barriere auf der PLA-Folie verwendet. Der Funktionsnachweis des Prototyps (siehe Bild) der eine Uhr mit Strom versorgt, war bereits erfolgreich. Mit der Feinjustierung der Materialzusammensetzungen sollen Kapazität, Leistungsdichte sowie Prozessstabilität weiter erhöht werden.
Einsatzgebiete kompostierbarer Elektronik
Als erste industrielle Einsatzgebiete sind die Stromversorgung der bereits genannten kompostierbaren Elektronik und Bereiche der Medizintechnik denkbar. PLA stellt in der Verpackungsindustrie schon heute eine wichtige biologisch abbaubare Alternative zu konventionellen Kunststoffverpackungen dar. Überwachungssensoren, beispielsweise beim Temperaturtracking während des Transports, können damit sogar von einem in der Verpackung selbst integrierten Energiespeicher versorgt werden. Dieser landet nach dem Auspacken einfach mit der Verpackung auf dem Kompost.
In der Medizin wird aus hygienischen Gründen oft auf Einwegprodukte gesetzt. Durch fortschreitende Individualisierung und Messmethoden werden zukünftig verstärkt In-situ-Messungen direkt im menschlichen Körper stattfinden. Um die benötigten Sensoren und Speichereinheiten mit Elektrizität zu versorgen und zugleich einen großen Berg Sondermüll zu vermeiden, bieten sich die flexiblen Energiespeicher ebenfalls an, da sie direkt auf der Haut angebracht und so einfach am Patienten ohne größere Einschränkungen mitgetragen werden können.
Auch in Umwelt-, Forst- und Landwirtschaft könnten komplett biologisch abbaubare Messsysteme einen großen Beitrag zur Digitalisierung und zum Monitoring leisten. Kleine Messinstrumente könnten so zukünftig in großer Anzahl und riesigen Gebieten flächendeckend von Drohnen verteilt werden, ohne dabei Flora und Fauna zu gefährden. Die hohen Kosten für das manuelle Aufsammeln aller Messinstrumente entfallen außerdem, denn diese müssen nicht wieder eingesammelt werden. Im Gegenteil: Sie zersetzen sich nach einer gewissen Zeit automatisch zu Biomasse.
Höchste Produktivität durch Technologietransfer
Durch den neuen Materialverbund ist es möglich, mit gängigen Herstellungsverfahren aus Papier-, Verpackungs- und Batterieproduktion eine nachhaltige Lösung für biologisch abbaubare Elektronik zu generieren. Bereits in früheren Projekten wurden am Fraunhofer IPA Superkondensatoren auf Papierbasis mithilfe einer Bandbeschichtungsanlage hergestellt. Wir verwenden Technologien, die auch bei der Herstellung konventioneller Batteriezellen zum Einsatz kommen, damit Hersteller bereits bestehende Anlagen nutzen können. Damit wäre es möglich, mit höchster Produktivität standardisierte Energiespeicherzellen herzustellen, die jedoch individuell für jede Anwendung gestapelt und kombiniert werden können – ähnlich dem Herstellungsprozess heutiger Akkus.
[i] Polylactide sind synthetische Polymere, die aus vielen, chemisch aneinander gebundenen Milchsäuremolekülen aufgebaut sind.